Unis in den neuen Bundesländern:Lockruf aus Fernost

Mit Begrüßungsgeld und Schnuppertouren gegen das Plattenbau-Vorurteil: Wie Hochschulen in den neuen Bundesländern um Studenten aus dem Westen buhlen.

Varinia Bernau

Bonn wäre näher gewesen; aber je länger Leonie Völsgen das Studienangebot durchsuchte, desto mehr sprach für Neubrandenburg: Ein Nischenfach, moderne Labore, Seminargruppen mit 20 Kommilitonen. So entschied sich die 19-Jährige für Bioprodukttechnologie im fernen Nordosten Deutschlands statt für Agrarwissenschaften in der Heimat. Noch ist die Rheinländerin damit zwar eine Ausnahme. Die absolute Ausnahme aber ist sie nicht mehr. Von den 600 Studienanfängern, die sich zum Wintersemester an der Fachhochschule Neubrandenburg eingeschrieben haben, kommen 13 Prozent aus den alten Ländern. Im Vorjahr lag der Anteil nur bei sieben Prozent.

Nicht nur in Neubrandenburg hofft man, dass die Quote weiter steigt. Die fünf ostdeutschen Länder haben sich im Hochschulpakt verpflichtet, jene Studienplätze bereitzustellen, um die sich vor allem Westdeutsche bewerben. Denn während im Osten die Zahl der Abiturienten voraussichtlich in den nächsten vier Jahren fast um die Hälfte sinken wird, soll sie im Westen steigen.

Der Bund stützt die "Umleitung" des Studentenstroms bis 2018 mit 216 Millionen Euro. Doch die West-Abiturienten wollen oft nicht "rübermachen". Die Gegend zwischen Ostsee und Erzgebirge gilt vielen als marode und trostlos. So warnt auch Gerhard Wünscher vom Kultusministerium in Sachsen-Anhalt vor zu viel Euphorie über die ersten Erfolge: "Wir kämpfen gegen enorm verfestigte Vorurteile."

Auch Leonie Völsgen dachte, als sie vom Studium in Neubrandenburg hörte, zunächst an Plattenbauten - und nicht an die dortige Backsteingotik, den See oder den Jazz-Frühling. Damit sich das ändert, laden ostdeutsche Hochschulen zu Schnuppertouren, verschicken Postkarten mit einer offenen Heringsdose und dem Slogan "Lieber ohne Platzangst studieren", zahlen Begrüßungsgeld und setzten stark auf das Internet.

Clubszene am Ostseestrand

Im Netzwerk SchülerVZ haben 44 ostdeutsche Hochschulen eigene Profile, von Studenten betreut - und zwar so, dass sie für Abiturienten attraktiv sind. "Dass eine Uni fünf DFG-Cluster und 17 Sonderforschungsbereiche hat, ist für Studienanfänger zunächst weniger interessant", sagt Christof Biggeleben, der die Kampagne betreut.

So preisen die Studenten der Uni Rostock lieber den nahen Ostseestrand und die Clubszene - offenbar mit Erfolg: Mehr als 3000 Nutzer des Portals haben Rostock als Wunschhochschule mit ihren Profilen verlinkt. Knapp ein Drittel davon kommt aus dem Westen - und macht dort, so hoffen die Initiatoren, andere Abiturienten neugierig. Die Uni zählt zum Wintersemester etwa 4000 Studienanfänger - ein neuer Rekord, beliebter ist im Osten nur die Uni Leipzig.

Zu weit weg von Zuhause

Schwieriger haben es Hochschulen fernab der Metropolen. Nach Neubrandenburg etwa fährt nur ein Regionalzug - und der braucht bis Berlin zwei Stunden. Ein Nachteil, den die gute Betreuung kaum kompensieren kann. Denn ganz gleich, ob sie ihr Abi im Osten oder im Westen machen: Wichtig ist es Schülern meistens, nah an der Heimat zu studieren. Deshalb sind im Werben um die Wessis jene ostdeutschen Hochschulen etwas erfolgreicher, die nicht ganz so weit im Osten liegen: An der Fachhochschule Wismar, nur eine halbe Autostunde von Schleswig-Holstein entfernt, studieren inzwischen mehr West- als Ostdeutsche.

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