Unis droht Studentenansturm:Krisenregion Campus

Nach der Wehrpflicht-Reform droht den Unis eine neue Studentenschwemme. Es fehlen Räume und Mitarbeiter um den Ansturm zu bewältigen. Um die Lage zu verbessern, müsste der Bund mehr Verantwortung übernehmen.

Tanjev Schultz

Die Hochschulen in Deutschland sind Krisenregionen. Der Campus in Paderborn erinnert in diesem Winter an ein Flüchtlingslager. Auf der Wiese stehen vier große und leider schlecht beheizte Zelte als provisorische Hörsäle. In Kassel mussten Studenten und Professoren Obdach in einer Kirche suchen. Den Universitäten fehlen schlicht die Räume und die Mitarbeiter, um den Ansturm der Studenten zu bewältigen. Verglichen mit den echten Krisenregionen dieser Welt, in denen die Menschen Hunger leiden und von einem Studium allenfalls träumen, mögen die deutschen Sorgen läppisch erscheinen. Aber zu Glanz und Ruhm einer Wissenschaftsnation tragen sie bestimmt nicht bei.

Überfüllter Hörsaal an Universität Halle

Sitzen, wo Platz ist: Den Universitäten fehlt es an Raum und Personal, um den Studentenansturm bewältigen zu können. Und die Wehrpflicht-Reform macht alles noch schlimmer. 

(Foto: dpa)

Und nun kommt auch noch die Bundeswehr mit ihrer Reform. Wenn im kommenden Jahr der verpflichtende Wehr- oder Zivildienst entfällt, könnten auf einen Schlag Zehntausende zusätzliche Abiturienten an die Hochschulen drängen, mit denen zu diesem Zeitpunkt niemand gerechnet hat. Wie viele es genau sein werden, ist schwer vorherzusehen und hängt davon ab, wie groß die Nachfrage bei den neuen freiwilligen Diensten sein wird.

Viele Abiturienten werden aber auch kaum eine andere Wahl haben, als sich nach Alternativen zum Studium umzusehen. Denn in Bayern und Niedersachsen verlassen 2011 jeweils zwei Jahrgänge die Gymnasien, eine Folge der verkürzten Schulzeit (G8). Es werden deshalb bundesweit so viele junge Menschen um einen Studienplatz konkurrieren wie nie zuvor. In Fächern wie Medizin oder Psychologie ist das Angebot schon jetzt so schmal, dass nur Abiturienten mit Bestnoten darauf vertrauen können, sofort mit dem Studium beginnen zu dürfen. Es ist nicht nur eng im Hörsaal. Viele kommen gar nicht erst rein.

Bund und Länder haben zwar einen "Hochschulpakt" geschlossen, der einen Ausbau der Universitäten ermöglicht. Die Folgen der Wehrreform sind dabei aber noch nicht berücksichtigt. Und der "Ausbau" hat in den vergangenen Jahren allenfalls dazu beigetragen, die Not zu lindern. Wirklich verbessert hat der Pakt die Lage auf dem Campus nicht, zumal den Unis an anderer Stelle Mittel entzogen werden. In Bayern trifft die Hochschulen eine Haushaltssperre zum Jahresende, in Hessen und Thüringen verlieren sie mehrere Millionen Euro durch die Sparpolitik der Landesregierungen. Die Universität Lübeck konnte in diesem Sommer nur gerettet werden, weil die Bundesregierung einsprang und Schleswig-Holstein Finanzhilfen versprach.

Jede Sperre und jede Kürzung, die in Kiel, München oder Wiesbaden beschlossen werden, strahlen weit über das jeweilige Bundesland hinaus. Sie verschlechtern das bundesweite Studienangebot, und sie beschädigen den Ruf des Hochschulstandorts Deutschland. Da ist es ein schwacher Trost, dass englische und kalifornische Universitäten derzeit ebenfalls unter massivem Spardruck stehen.

Entspannung erst 2020

Deutschland hätte jetzt die Gelegenheit, seine Hochschulen auch international noch besser zu positionieren. Dafür wäre ein Qualitätspaket von jährlich mindestens einer Milliarde Euro nötig, das der Wissenschaftsrat seit Jahren vergeblich fordert. Es reicht nicht, die Zahl der Studienanfänger in die Höhe zu treiben, ohne ihnen eine gute Lehre und Betreuung bieten zu können. Und es reicht nicht, wenn die Abiturienten zwar einen Platz in einem Bachelor-Studiengang ergattern, es aber anschließend zu wenige Plätze für ein Master-Studium gibt.

In den kommenden Jahren werden nicht nur Abiturienten fleißig Bewerbungen an die Unis schreiben, sondern auch Bachelor-Absolventen, die ihr Studium fortsetzen möchten. Sie stehen erneut vor Hürden, und weder die Hochschulen noch die Kultusminister haben zurzeit eine Idee, wie viele Master-Plätze gebraucht werden. Diese Mischung aus Unsicherheit und Finanznot verheißt für die kommenden Semester nichts Gutes.

Erst nach dem Jahr 2020 könnte sich die Lage entspannen, weil dann die Zahl der Schulabgänger so weit sinkt, dass einige Unis vielleicht sogar Probleme bekommen, genügend Bewerber anzulocken. Deshalb wäre es auch nicht sinnvoll, lauter neue Hochschulen zu gründen wie in den siebziger Jahren. Engpässe müssen durch zügige Erweiterungen bestehender Hochschulen behoben werden; in den überfüllten Studiengängen sind zusätzliche Stellen für Professoren, Dozenten und Tutoren nötig.

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren bereits erhebliche Summen in die Unis investiert, obwohl für diese in erster Linie die Länder zuständig sind. Ohne die Hilfe des Bundes wäre der Pakt für Studienplätze wahrscheinlich nie zustande gekommen. Wenn nun die Reform der Bundeswehr die Hochschulen in Bedrängnis bringt, sollte die Kanzlerin den Ländern erneut zur Seite springen. Für Lehre und Forschung in Deutschland wäre es ohnehin gut, wenn der Bund noch mehr Verantwortung für die Universitäten übernähme (und die Länder ihn ließen). In der föderalen Schweiz trägt der Bund die berühmten Eidgenössischen Technischen Hochschulen, die Studenten und Wissenschaftler aus aller Welt anlocken. In Deutschland begnügt sich die Bundesregierung bisher, ausgerechnet, mit den Universitäten der Bundeswehr.

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