Uni-Psychologin über Versagensangst:"Manche haben das Gefühl, sie schaffen es nicht"

Überlastung, Erschöpfung, Angst vor dem Versagen an der Uni: Psychologin Petra Holler über die Probleme von Studenten und darüber, was Studienreform und Zeitgeist damit zu tun haben.

Ralf Steinbacher

Jeder Zweite, der 2010 beim Studentenwerk München Hilfe suchte, kam mit "studienbedingten Problemen", im Jahr zuvor war es nur jeder Dritte. Diplom-Psychologin Petra Holler leitet dort die psychosoziale Beratungsstelle.

Uni-Psychologin über Versagensangst: Beraterin Petra Holler.

Beraterin Petra Holler.

(Foto: Robert Haas)

SZ: Mit welchen Problemen sind Sie konfrontiert, was hat sich verändert?

Holler: Wir hören häufiger von Arbeits- und Lernstörungen, Prüfungsängsten, Aufschiebeverhalten, Problemen bei der Entscheidungsfindung. Dagegen sind die klassischen Identitätsfragen seltener geworden: Wer bin ich, was kann ich, wo soll ich hin im Leben? Ansonsten gibt es Krisen jeglicher Art, zum Beispiel Überlastungs- und Erschöpfungskrisen. Auch die Selbstwertproblematik spielt eine Rolle. Manche haben das Gefühl, sie schaffen es nicht. Das steht häufig in Zusammenhang mit dem eigenen, überzogenen Leistungsideal. Das kann bis zur Depression führen.

SZ: Wie äußert sich diese?

Holler: Die Betroffenen haben häufig Schlafstörungen, sie sind freud- und lustlos, ziehen sich von ihren Freunden zurück. Vor allem aber leiden sie unter tiefen Selbstzweifeln und Versagensgefühlen.

SZ: Ist für diese Entwicklung die Einführung des Bachelor- und Masterstudiums verantwortlich?

Holler: Der Leistungsdruck ist hoch, aber die Umstellung ist nur zum Teil schuld. Auch der Zeitgeist hat sich gewandelt. Die Gesellschaft erwartet ein schnelles, ökonomisches, effizientes Studium. Das war früher anders. Noch in den 90er Jahren war die Zeit, die den Studenten, der sogenannten Elite, für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit gewährt wurde, sehr viel weniger festgezurrt.

SZ: Bedeutet das ein Ende des akademischen Ideals?

Holler: Es gibt durchaus noch idealistische Studenten, die sich davon nicht beirren lassen. Aber es ist häufig nicht mehr möglich, auch mal etwas auszuprobieren, mal in eine Vorlesung aus einem anderen Fachbereich zu gehen.

SZ: Man könnte den Eindruck gewinnen, dass gerade Studenten besonders viele Probleme haben. Aber junge Leute, die eine Lehre machen, dürften doch auch Stress haben.

Holler: Untersuchungen zur durchschnittlichen Krankheitshäufigkeit belegen da keine großen Unterschiede. Aber es gibt welche. Lehrlinge bekommen viel früher Anerkennung und Geld. Ein Student muss Jahre vorausdenken und sich bewusst machen, dass er den Lohn für seine Mühe erst viel später erhält. Für viele ist dieser Spannungsbogen zu lang.

SZ: Ist dann ein Studium der falsche Weg?

Holler: Ja, wenn es quälend wird, weil man eigentlich gar nicht studieren wollte, sondern das Studium nur als Verlegenheitslösung sieht, nach dem Motto: Ich habe Abitur, da wäre es doch Verschwendung, nicht an die Uni zu gehen.

SZ: Wollen denn viele Studenten aufgeben?

Holler: Nein. Die allermeisten sagen: Ich will es schaffen, ich muss es schaffen, ich darf nicht zweifeln. Da ist es für einen Berater dann schwierig, mit dem Studenten gemeinsam über einen Plan B nachzudenken.

SZ: Was raten Sie in so einem Fall?

Holler: Sich vielleicht eine Auszeit zu nehmen. Aber vielen macht das Angst. Sie interpretieren normales Zweifeln bereits als Scheitern.

SZ: Welche Ängste treiben Studenten noch um?

Holler: Die Angst, mit dem erworbenen Wissen keinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Das kann gerade für Geisteswissenschaftler problematisch sein und sich am Ende des Studiums zu einer Krise auswachsen. Nun gehören Krisen aber zum Leben. Man kann sie durchstehen. Doch die heutigen Rahmenbedingungen lassen dafür keinen Raum mehr.

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