Ungerechtes Arbeitsrecht:Die Justiz und die kleinen Leute

Hart nach unten, mild nach oben: Schon wer eine Büroklammer entwendet, muss mit einer Kündigung rechnen. Manager haben dagegen meist nichts zu befürchten.

Heribert Prantl

Vor dem Gesetz sind nicht alle Menschen gleich. Es gibt welche, die sind gleicher und andere, die nicht nur gleicher, sondern viel besser dran sind. Das kann man an jedem Tag in jedem Strafgericht beobachten. Der Ton am Amtsgericht ist, gelinde gesagt, robust - jedenfalls dann, wenn gegen Angehörige der unteren sozialen Schichten verhandelt wird. Mit der Höhe der sozialen Stellung des Angeklagten ändern sich Tonlage, Verhandlungsklima und Verhandlungsergebnis.

justizia Arbeitsrecht Emmely

Wirklich blind, wenn es um die soziale Stellung der Angeklagten geht? Die Justiz behandelt Angehörige der Unterschicht anders als wichtige Manager.

(Foto: ddp)

Der Arbeitslose, der sich nebenbei dreitausend Euro verdient hat, kann froh sein, wenn er mit einer Bewährungsstrafe davonkommt. In Wirtschaftsstrafsachen kann der Manager damit rechnen, dass Straftaten mit x-fach höherer Schadenssumme als unerheblich aussortiert werden. "Fällt nicht beträchtlich ins Gewicht", heißt es dann zur Begründung (bei Prominenten wird neuerdings nicht mehr ganz so großzügig verfahren). Das deliktische Handeln des Arbeitslosen aber gilt stets als "sozialschädlich" - und schreit daher nach harter Strafe.

Im Arbeitsrecht gibt es diese Unterschiede auch. Dort heißt der Differenzierungsbegriff "Vertrauen". Wenn der kleiner Verkäufer einer kleinen Bäckereifiliale, Vater von zwei Kindern, im Lager einen Becher Milch austrinkt, Wert 59 Cent, Ablaufdatum schon überschritten, darf er fristlos gekündigt werden - das Vertrauen des Arbeitgebers ist angeblich rettungslos zerstört.

Rechtlicher Automatismus

Bei kleinen Angestellten gibt es nämlich einen rigorosen rechtlichen Automatismus zwischen Bagatelldelikt und fristloser Kündigung. Dieser Automatismus wird aber mittlerweile auch in der Fachliteratur heftig kritisiert: Achim Klueß, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Berlin, meinte jüngst in der Fachzeitschrift Arbeit und Recht, dass nach den geltenden Kriterien selbst wegen der "Mitnahme einer einzigen Büroklammer" fristlos gekündigt werden könnte.

Schon beim kleineren und mittleren Management ist das freilich ganz anders, da stellt sich die Verhältnismäßigkeit wieder ein, in den Führungsetagen gleich gar. Da reicht es keinesfalls für eine Kündigung aus, dass auf Dienstkosten privat getankt wurde. Es geht ja um Benzin, nicht um, siehe oben, abgelaufene Milch.

Vertrauen ist schnell dahin

Einem GmbH-Geschäftsführer wurde vorgeworfen, mit der Firmen-Kreditkarte Privatausgaben von 83,95 Euro gemacht zu haben. Das Oberlandesgericht Celle hielt dazu milde fest: Das sei "angesichts des geringfügigen Betrages nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen".

Bei den Zivilgerichten geht es, wenn sie die gehobenen Streitigkeiten gehobener Herrschaften zu beurteilen haben, moderat zu. Da ist das Vertrauen nicht so schnell dahin - und bei den Beamten ist es ähnlich. Die Verwaltungsgerichte, die über die Disziplinierung von straffälligen Beamten zu entscheiden haben, wissen das Verhältnismäßigkeitsprinzip sorgfältig anzuwenden.

Bei Beamten muss es dick kommen

Das Beamtenverhältnis ist zwar ein ganz besonders intensives Vertrauensverhältnis - aber da muss es schon ganz, ganz dick kommen, auf dass der Dienstherr und die Gerichte von der irreparablen Zerstörung des Vertrauens sprechen. Als jüngst bekannt wurde, dass hohe Richter und Staatsanwälte Leistungen der justizeigenen Autowerkstatt kostenlos in Anspruch genommen haben, passierte: gar nichts. Man hörte von zwei freiwilligen Spenden in Höhe von 500 und tausend Euro.

Das Recht ist auch für die Schwachen da. Das ist ein eigentlich selbstverständlicher Satz. Vielleicht wird das Selbstverständliche aber nun allmählich wieder selbstverständlicher als bisher: Seit der bundesweiten Kritik an der Emmely-Kündigung haben sich etliche Arbeitsgerichte bei Krimskrams-Kündigungen wieder auf die Seite der gekündigten Arbeitnehmer gestellt.

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