Umfrage:Die ideale Schule

Was macht eine gute Schule aus? Mehr Druck? Mehr Freiheit? Mehr Moral? Mehr Elite? Mit Diskussionsforum.

Eine gute Schule - das wünschen sich Eltern, Schüler, Lehrer und Politiker gleichermaßen. Doch was heißt das genau? Wir haben acht Menschen gefragt, die das deutsche Bildungssystem in unterschiedlichen Funktionen mitgestalten. Wo liegen die Differenzen ihrer Vorstellungen, wo die Schnittmengen? Und gibt es einen gemeinsamen Kern, eine Essenz der guten Schule, unabhängig von Status, Schulform, politischer Couleur?

Was macht eine gute Schule aus? Lehrer, Eltern, Politiker und Schüler über ihre Vorstellungen einer idealen Lernumgebung. Mit Diskussionsforum.
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Ute Erdsiek-Rave ist Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und derzeit Präsidentin der Kultusministerkonferenz

Eine gute Schule sollte folgende Merkmale haben: Sie hat ein Förderkonzept, das jedes einzelne Kind ernst nimmt. Sie definiert ihre Ziele und Leistungen und legt Wert auf eine systematische Rückmeldung über die eigene Arbeit. Sie versteht sich als offener Lernort und gibt Impulse für erfolgreichen Unterricht. Sie fördert Integration und nutzt heterogene Lerngruppen als Chance.

Sie entwickelt ihr Schulprogramm stets weiter. Sie hat ein tragfähiges Konzept gegen Unterrichtsausfall. Sie hat eine Schulleitung, die die Unterrichtsqualität kontinuierlich verbessern will. Sie besteht aus einem Team engagierter Lehrkräfte, die sich und damit die Schule fort- und weiterbilden. Sie beteiligt Schüler und Eltern am Schulgeschehen. Sie ist ansprechend gestaltet - von den Klassenzimmern bis zum Pausenhof - und angemessen ausgestattet. Sie macht Schülerinnen und Schülern auch außerhalb des Unterrichts Bildungsangebote. Und sie öffnet sich für außerschulische Partner aus Wirtschaft, Politik, Kultur.

Die ideale Schule

Gert Upadek ist Schulleiter der Gesamtschule Hamburg-Blankenese

Ute Erdsiek-Rave ist Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und derzeit Präsidentin der Kultusministerkonferenz
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Eine gute Schule ist daran zu erkennen, dass sie sich die Frage stellt: Ist unsere Schule eine gute Schule? Wer darüber nachdenkt, wird alle einbeziehen: Eltern, Schüler und weitere Personengruppen, die mit der Schule zu tun haben. Die in vielen Gesprächen erarbeiteten Qualitätsmerkmale bestimmen den Schulentwicklungsprozess, der für jede Schule ihr eigener sein muss.

Unsere Schule ist eine pädagogische Schule für alle Kinder. Jeder Schüler wird als Individuum betrachtet und ernst genommen, soll Verantwortung für sich und die Gemeinschaft lernen. Unsere Schule hat einen erkennbaren Bildungsanspruch im Sinne von Hartmut von Hentig. Lernen ist kein abstrakter, sachbezogener Vorgang. Es basiert auf einer Beziehung zwischen den Beteiligten, die im Alltag spürbar und erkennbar sein muss. Über den Unterricht hinaus werden immer wieder außerschulische, realistische Anlässe gesucht, an denen Schüler und Schülerinnen lernen und wachsen können. Die Schule macht viele verschiedene, methodische, inhaltliche, unterrichtliche und außerunterrichtliche Angebote und schafft damit besondere Lernzugänge. Alle wollen und können sich über alles verständigen.

Die ideale Schule

Gert Upadek ist Schulleiter der Gesamtschule Hamburg-Blankenese
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Regina Lunemann ist Mutter von drei Schulkindern und lebt in Marienmünster in Nordrhein-Westfalen

Eine gute Schule ist ein Ort, an dem das Ansehen eines Schülers nicht von seinen Noten abhängt, sondern ein Ort, an dem sich jeder mit seinen unterschiedlichen Voraussetzungen willkommen fühlt. Begleitung und Ermöglichung bestimmen das schulische Geschehen mehr als Forderungen, Leistungsstandards und Selektion. Schule darf keine Zuchtanstalt für die Interessen verschiedener Gruppierungen sein, sondern muss sich immer der ganzen Gesellschaft verpflichtet fühlen. Das ist keine Absage an den Leistungsgedanken oder eine Elite. Aber es ist eine Absage an den Glauben, dass aus Einser-Abiturienten zwangsläufig Leitfiguren werden. Leistung und Verantwortungsgefühl, Wissen und Einfühlung, Erfolgsorientierung und Achtung vor dem Nächsten sollten in einer guten Schule nebeneinander ermöglicht werden.

Und: Schule findet nicht nur in der Schule statt. Wichtige Erfahrungen und Kenntnisse erwerben junge Menschen auch in anderen Lebensbereichen. Zu viel Schule kann Lernen auch verhindern.

Die ideale Schule

Regina Lunemann ist Mutter von drei Schulkindern und lebt in Marienmünster in Nordrhein-Westfalen
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Andreas Schleicher ist internationaler Koordinator der Pisa-Studie bei der OECD

Gute Schulen ersetzen Detailregulierung durch strategische Zielsetzungen. Sie verknüpfen Lehrpläne, Standards und Rückmeldesysteme wirksam und schaffen Anreiz- und Unterstützungssysteme, die Lehrer motivieren, sich kreativ einzubringen und Verantwortung für Bildungsleistungen zu übernehmen. Sie antworten auf die verschiedenen Interessen, Fähigkeiten und sozialen Kontexte der Schüler nicht mit institutioneller Fragmentierung, sondern mit einem konstruktiven und individuellen Umgang mit Vielfalt.

Dazu nutzen sie Klassenarbeiten und Zensuren nicht in erster Linie zur Kontrolle, etwa um Leistungen zu zertifizieren oder den Zugang zu Bildungsangeboten zu rationieren. Sondern sie schaffen motivierende Leistungsrückmeldungen, die Vertrauen in Lernergebnisse schaffen, und mit denen Lernwege entwickelt, individualisiert und begleitet werden können.

Moderne Schulen sind Lernorganisationen mit professionellem Management und einem Arbeitsumfeld, dass sich durch mehr Differenzierung im Aufgabenbereich, bessere Karriereaussichten, die Stärkung von Verbindungen zu anderen Berufsfeldern und mehr Verantwortung für Lernergebnisse auszeichnet.

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Andreas Schleicher ist internationaler Koordinator der Pisa-Studie bei der OECD
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Niklas Neumann hat am Gymnasium Hochrad in Hamburg Abitur gemacht und absolviert jetzt seinen Zivildienst

Schule macht nur Sinn, wenn Bereitschaft und Interesse auf Seiten der Schüler und der Schule vorhanden sind. Darum muss eine Umgebung geschaffen werden, die Schüler und Lehrer mit den nötigen Ressourcen versorgt und die beidseitige Motivation fördert. Trotz transnationaler Vergleiche und Konkurrenz muss die schulische Leistung als individueller Werdegang betrachtet werden.

Jeder Schüler wächst in ein Netzwerk aus Mitschülern und Lehrern hinein, das eine über Jahre bestehende Arbeitsgemeinschaft darstellt. Daraus erwachsen Qualitäten, die im späteren Berufsleben gefragt sind und daher von der Schule honoriert werden müssen, um den Schülern deren Wichtigkeit zu offenbaren. Schule als vertraute Umgebung mit sozialen und pädagogischen Werten kann das bestmögliche Vertrauen des Schülers und einen festen Platz in seinem Leben einnehmen.

Hinderlich für eine gute Schulausbildung sind Pisa-Studien und Rechtschreibreformen, die Lehrer und Schüler verunsichern. Die Einführung des Zentralabiturs und Versuche, die Benotung national zu objektivieren, sind zum Scheitern verurteilt, solange nicht auch Tests und Korrektoren objektiv sind. Eine Selbstbestimmung der einzelnen Schulen im Hinblick auf die Kursvielfalt, auf Sport und sonstige Angebote führt zu einer gesunden Mischung aus Identifikation des Schülers mit seiner Schule und lokaler Konkurrenz.

Die ideale Schule

Niklas Neumann hat am Gymnasium Hochrad in Hamburg Abitur gemacht und absolviert jetzt seinen Zivildienst
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Hans-Norbert Hoppe ist Schulleiter am Christianeum in Hamburg

Gute Schulen sind in Bewegung und stellen die Entwicklung junger Menschen zu eigenständigen, verantwortlichen Personen in den Mittelpunkt. Als humanistisches Gymnasium dienen uns die Sprachen und Kulturen der Antike als Grundlage für ein Weltverständnis in der Dialektik von Tradition und Modernität. Erst in der Auseinandersetzung mit der Kultur- und Naturgeschichte kann das Verständnis für die eigene Geschichtlichkeit erwachsen.

Eine gute Schule erzieht den ganzen Menschen, entwickelt seine Anlagen und Begabungen. Sie bejaht Lernen und Leistung als Grundpfeiler der Bildung und qualifiziert die Schüler für spätere Herausforderungen in Ausbildung und Beruf.

Die Vermittlung einer fundierten Allgemeinbildung ist unverzichtbar, ebenso die Fähigkeit zur Abstraktion und Theoriebildung. Auch die Ausbildung ästhetischer Orientierung, musische Aktivitäten und Theaterarbeit sind wichtig. Aus alledem entwickelt sich ein gemeinsamer Schulgeist, eine Schule, in der nicht nur gelernt, sondern auch gelebt wird und in der auch abweichende Meinungen willkommen sind. Dies gelingt nur im Miteinander von Lehrern, Schülern und Eltern.

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Hans-Norbert Hoppe ist Schulleiter am Christianeum in Hamburg
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Hartwig Schiller unterrichtet an der Freien Hochschule Stuttgart, die Lehrer für Waldorfschulen ausbildet

Innovation, Leistungsbereitschaft und Leistungsentfaltung entstehen als pädagogische Qualität im Augenblick, in der einzigartigen Situation des individuellen Schülers: an seinem Lebensort, in seiner Klasse, seinem sozialen Habitat.

Standardisierte Organisationsformen hingegen machen Schule systematisch schlecht. Es gilt, den Methoden-Monismus im Unterricht zu überwinden, Fachgrenzen zu sprengen, einen Erziehungsauftrag der Schule zu bejahen, die Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern Praxis werden zu lassen.

Der Unterrichtsstoff selbst besitzt im Zusammenspiel von geistiger Dimension und altersspezifischer Entwicklung ein erzieherisches Potential, das es zu entfalten gilt. Statt um Informationsmaximierung allein sollte es um Fähigkeitsbildung, Charakterschulung und moralische Erziehung gehen. Künstlerische Übung schafft Atmosphäre, Stimulans und Fluidum, macht lebendiger und fantasievoller und bereitet auf eine flexible Lebenswirklichkeit vor.

Es ist nicht Aufgabe der Gesellschaft, die Folgen schlechter Schule zu kompensieren. Vielmehr sollte Schule gute Gesellschaft vorbereiten. Erziehung zum Leben und zur Wirklichkeit bedeutet auch Erziehung zu Initiative und Verantwortung. Ein authentisches Klima der Verantwortlichkeit gedeiht nur in einer durch freie Selbstverwaltung kollegial geleiteten Schule.

Gute Schule entsteht immer als Eigenprofil im individuellen Zusammenwirken der Beteiligten.

Die ideale Schule

Hartwig Schiller unterrichtet an der Freien Hochschule Stuttgart, die Lehrer für Waldorfschulen ausbildet
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Annett Lindner ist Landesvorsitzende der GEW in Mecklenburg-Vorpommern

In einer guten Schule bilden Erziehung und Bildung eine Einheit. Nur die Werte können vermittelt werden, die in der Gesellschaft gelebt werde. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschasft (GEW) begrüßt den Prozess in Mecklenburg-Vorpommern, das dreigliedrige Schulsystem zu überwinden und begleitet ihn kritisch-konstruktiv. Schule war immer auch Leistungsschule, das sollte auch so bleiben.

Doch müssen die Schulen selbständiger werden: Es kommt auf ein kluges Miteinander von Selbständigkeit in der pädagogischen Arbeit, von Selbst- und Fremdevaluation durch die politisch Verantwortlichen an.

Die Ganztagsschule als Schulart der Zukunft kann nur Erfolg haben, wenn damit eine deutliche Erhöhung des Stundendeputats verbunden ist. Lehrkräfte müssen Bedingungen vorfinden, die dem hohen Anspruch der Gesellschaft an die pädagogische Arbeit gerecht werden. Ihre Arbeitszeit muss angemessen sein. Sonst werden Lehrer zu Stundengebern, die über Leistungskontrollen Wissen abfragen. Dann kann die in einer guten Schule notwendige Interaktion nicht entstehen.

(SZ vom 14.12.2006)

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