Überwachungsskandale und Arbeitsrecht:Der Chef hört mit

Alltägliche Überwachung am Arbeitsplatz: Videokameras, Spionagesoftware, Telefonkontrolle - wie können sich Arbeitnehmer schützen?

Überwachungsskandale bei Lidl, der Bahn und der Telekom haben in den vergangenen Monaten für Empörung gesorgt. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner hält eine Überwachung der Arbeitnehmer für "absolut untragbar" und will zusammen mit Innenminister Wolfgang Schäuble bald ein Gesetz zum Schutz persönlicher Daten von Arbeitnehmern erarbeiten. Was ist erlaubt, was nicht? Und wie können sich Arbeitnehmer schützen? Eine Übersicht.

Überwachungsskandale und Arbeitsrecht: Der Chef hört mit: Überwachungsskandale bei Lidl, der Bahn und der Telekom haben in den vergangenen Monaten für Empörung gesorgt.

Der Chef hört mit: Überwachungsskandale bei Lidl, der Bahn und der Telekom haben in den vergangenen Monaten für Empörung gesorgt.

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Der IT-Experte

Joachim Posegga, Professor für IT-Sicherheit an der Universität Passau: "Wer im Büro am Computer arbeitet, sollte wissen: Alle Aktionen können vom Arbeitgeber überwacht, aufgezeichnet und mitgelesen werden: jede einzelne Tastatureingabe, jede angesurfte Internetadresse, jede abgeschickte und empfangene E-Mail. Eine spezielle Software überwacht das Tippen und notiert, welche Dokumente und Dateien geöffnet oder ausgetauscht wurden. Logfiles protokollieren sekundengenau jede Online-Aktivität des Beschäftigten. Zudem läuft jede E-Mail über einen zentralen Server, so dass sich davon ganz einfach eine Kopie erstellen lässt. Auch Passwörter lassen sich mithilfe von Überwachungsprogrammen aufzeichnen. Massenhaft Daten zu sammeln ist also kein Problem. Problematischer ist es dagegen, die Datenmasse sinnvoll auszuwerten. Was macht ein Unternehmen mit 5000 Mitarbeitern, von denen jeder täglich acht Stunden am Computer sitzt?"

Der Chef hört mit

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Überwachungsskandale und Arbeitsrecht: Peter Schaar: "Wir brauchen ein neues Datenschutzgesetz speziell für Arbeitnehmer."

Peter Schaar: "Wir brauchen ein neues Datenschutzgesetz speziell für Arbeitnehmer."

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Der Detektiv

Lothar Wenzel, Sprecher von Detekta Detektiv, einer bundesweiten Vereinigung von Wirtschaftsdetekteien: "Wenn die Zeiten härter werden, wird der Druck auf uns größer. Die Auftraggeber wollen mehr fürs Geld, und sie wollen auch manche Dinge, die wir ablehnen. Ein US-Konzern, der ein anderes Unternehmen gekauft hat, bot uns eine Kopfprämie für jeden Mitarbeiter, gegen den etwas vorliegt. Das ist unseriös. Aber es gibt einige, die das machen und unseren Ruf ruinieren. Deren Namen werden bei Revisionsleitertagungen von Konzernen unter der Hand weitergereicht. Klassische Fälle der Überwachung sind der Außendienstler, der vielleicht fingierte Rechnungen erstellt, oder der Mitarbeiter, bei dem der begründete Verdacht besteht, dass er nicht krank ist, sondern nebenbei arbeitet. Noch immer ist es Praxis, dass wir im Auto vor der Tür sitzen, wir schleusen uns aber auch als verdeckte Ermittler in Unternehmen ein. Wenn es mit dem Betriebsrat abgestimmt ist, und der stimmt oft zu, ist auch die Kameraüberwachung okay. Natürlich ist die ziemlich heikel, weil man Gefahr läuft, dass auch unbescholtene Menschen mitgefilmt werden."

Der Vorstand

Franz Brenner (Name geändert), war Vorstand bei einem großen Unternehmen: "Für das Unternehmen, bei dem ich bis vor ein paar Monaten beschäftigt war, läuft es seit einiger Zeit gar nicht gut. Vor allem der Vorstandsvorsitzende steht immer wieder öffentlich in der Kritik. Weil interne Informationen nach außen gelangt sind, hat der Vorstandsvorsitzende eine Firma engagiert, die klären sollte, wer da mit wem redet. Das hat er den anderen Vorstandsmitgliedern aber erst mit einiger Verspätung mitgeteilt, als es intern schon Gerüchte darüber gab, und dass diese Maßnahmen auch die Mitglieder des Vorstands betrafen, kam noch später raus. Die Stimmung wurde noch schlechter, jeder hat jedem misstraut, mit Diensthandys wollte sowieso keiner mehr telefonieren. Irgendwann wurde sogar darüber gestritten, wer in welcher Sitzung wie oft auf der Toilette gewesen ist und ob man da vielleicht telefoniert hat. Die Situation lief völlig aus dem Ruder, dabei war das Ausmaß der Überwachungsaktionen damals noch gar nicht bekannt. Heute weiß ich, dass auch meine Emails gelesen wurden und mir sogar jemand nachgefahren ist, wenn ich zu vertraulichen Terminen gefahren bin."

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Der Chef hört mit

Das Opfer

Levin Demir (Name geändert), Lagerarbeiter bei einem großen Discounter in Radevormwald: "Es war vergangenes Jahr, Ende September. Meine Schicht war fast zu Ende, auf dem Weg zur Toilette bin ich am Karton mit der Bruchware vorbeigekommen. Obenauf lag eine Schachtel Toffifee. Ich habe mir eins genommen. Ich wusste nicht, dass das verboten war. Unsere Chefs haben da auch gerne mal genascht. Noch am selben Nachmittag saß der Bezirksleiter in meinem Wohnzimmer. Er hatte sich zusammen mit dem Lagerleiter hinter einer Spanplatte neben dem Karton mit der Ausschussware versteckt. In die Spanplatte hatten sie Löcher gebohrt, das haben sie später sogar zugegeben. Erst drohten sie mir mit Kündigung, aber dann boten sie an, diese fallenzulassen, wenn ich stattdessen gegen zwei Kollegen aussagen würde. Ich solle mir das gut überlegen, schließlich hätte ich ja zwei Kinder. Ich habe abgelehnt und stattdessen Anzeige erstattet. Erst hieß es, ich würde gefeuert, aber heute arbeite ich immer noch dort."

Der Jurist

Professor Ulrich Preis, Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Köln: "Man muss unterscheiden, ob der Arbeitgeber die private Nutzung von Telekommunikation erlaubt hat. Ist diese untersagt, darf er die Verbindungsdaten überprüfen - also besuchte Internetseiten, gewählte Telefonnummern und E-Mail-Adressen. Er darf aber nicht den Inhalt von Telefonaten ermitteln, auch vom Inhalt der E-Mails sollte er die Finger lassen. Ist die private Nutzung erlaubt, sind für den Arbeitgeber nicht nur der Inhalt, sondern auch diese Verbindungsdaten tabu, denn die Grundrechte der Arbeitnehmer müssen gewahrt werden. Eine Ausnahme wäre es, wenn ein begründeter Verdacht auf eine schwere Straftat oder etwa Mobbing besteht. Sollte ein Arbeitnehmer feststellen, dass sein Chef mehr kontrolliert als erlaubt, kann er ihn auf Unterlassung verklagen. Gegebenenfalls drohen Arbeitgebern empfindliche Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche. In manchen Fällen handelt es sich bei der rechtwidrigen Erhebung von Daten sogar um eine Straftat. Arbeitgeber können ihre Kontrollmöglichkeiten dadurch erweitern, dass im Arbeitsvertrag in die Datenerhebung eingewilligt wird. Die Klausel findet man häufig in Verträgen. Ein Arbeitnehmer müsste, will er seine privaten Daten schützen, auf Streichung bestehen."

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Der Datenschützer

Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz und Information: "Wir brauchen ein neues Datenschutzgesetz speziell für Arbeitnehmer. Bislang steht im Gesetz lediglich: Das Unternehmen darf Daten verarbeiten, wenn es berechtigte Interessen hat und die schützenswerten Interessen des Arbeitnehmers nicht überwiegen. Letztlich unterscheidet das aktuelle Gesetz nicht zwischen Daten, die ein Kunde beim Kauf eines Buches hinterlässt, und denen eines Arbeitnehmers. Dabei hat die Erfassung von Mitarbeiterdaten in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Wir haben ja mittlerweile an allen Arbeitsplätzen Technologie - vom PC bis zum Handy. Bei Angestellten im Außendienst kommen noch die Ortungssysteme wie etwa GPS hinzu. Der Arbeitnehmer kann aber bisher lediglich Auskunft verlangen, der Arbeitgeber muss ihn nicht vorab über alle Verarbeitungsschritte informieren." (mri/from/as/ake/jüsc/woj/bön)

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