Typologie der Büroradler:Wo sich der Konkurrenzkampf unter Kollegen wirklich entscheidet

Typologie der Büroradler: Höher, weiter, schneller: Mancher Kollege verbraucht seinen Ehrgeiz schon vor der Ankunft im Büro.

Höher, weiter, schneller: Mancher Kollege verbraucht seinen Ehrgeiz schon vor der Ankunft im Büro.

(Foto: iStockphoto; Illustration Jessy Asmus)

Gibt es etwas Schöneres, als mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren? Leider hatten die Kollegen die gleiche Idee.

Von Friederike Zoe Grasshoff, Oliver Klasen und Violetta Simon; Illustrationen Jessy Asmus

Ist es nicht herrlich, dass die Straßen im Sommer plötzlich wieder so schön lebendig sind, voller Radfahrer, die sich des Lebens, des Weges freuen? Wäre da nicht der Mensch in seinem ganzen Menschsein. Kaum ist es draußen mehr als 18 Grad warm, geht es auch schon los: Fußgänger versus Autofahrer, Radfahrer versus Radfahrer - versus noch mehr Radfahrer. Und im Juli eskaliert der Verkehr in der Regel zuverlässig. Jeder, der die Strapazen in Bus und Bahn und Schienenersatzverkehr noch in den Knochen hat, meint nämlich, zum Sommer hin eine super Idee zu haben: Er besteigt morgens sein Fahrrad, das Beförderungskosten und Wartezeiten spart, umweltfreundlich ist und nebenbei auch noch gesund hält.

Mag schon sein. Aber wer auf dem Fahrrad jeden Tag ins Büro fährt, ist auch Überholmanövern, schmalen Fahrradwegen und vor allem Kollegen ausgesetzt. Kollegen, die erst befördert wurden und jetzt mit ihrem 4000-Euro-E-Bike an einem vorbeiziehen. Kollegen, die auf der Mitte des Radwegs herumschleichen und eine allgemeine Gefahr darstellen. Kollegen, die man sowieso schon acht Stunden am Tag sieht. Eine Typologie der Büro-Radler.

Der Schleicher

Ausstattung: Ein Oldtimer-Fahrrad mit Rücktrittbremse, das 1963 auf dem Flohmarkt in Bad Vilbel erstanden wurde. Gangschaltung gibt es nicht, aber mit Sicherheit eine Weinkiste, die aus Gründen des Understatements als Fahrradkorb dient. Man kann auch eine Wolldecke reinlegen, falls man auf dem Weg zur Arbeit kurz mal eine Pause braucht.

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(Foto: iStockphoto; Illustration Jessy Asmus)

Fahrstil: Das Leben wird immer schneller, unübersichtlicher, überfrachteter? Stimmt nur bedingt. Der Schleicher fährt gerne in der Mitte des Fahrradwegs, mit kurzen, spontanen Ausschlägen nach links und rechts. Er hat das Höher-schneller-weiter-Gehabe schon kurz nach dem Fahrradkauf, also in den Sechzigern, hinter sich gelassen und nutzt die Zeit im Büro vor allem dazu, sich von den aufreibenden drei Kilometern Arbeitsweg zu erholen. Manchmal plant er auch seine Brückentage.

Natürliche Feinde: Mit dem Raser aus dem Controlling ist er schon mal aneinander geraten (siehe auch: Der Rowdy), aber sonst ist er im Frieden mit sich und dem Verkehr. Das Klingeln der anderen weiß er ja auch konsequent zu überhören.

Der Sonnen-Radler

Ausstattung: Ein mittelgut ausgestattetes Trekkingrad. Sonst allerdings keinerlei Equipment. Kein Regencape, kein Flickzeug für platte Reifen, keiner dieser Metallclips, die verhindern sollen, dass die Hose mit Kettenfett befleckt wird. Nicht mal den Tragegurt der Arbeitstasche passt der Schönwetter-Radler in der Länge an, sodass das schwere Ding beim Fahren ständig unangenehm gegen den Oberschenkel schlägt. Die Regenradar-App nutzt er dagegen. Nicht als praktisches Tool, um den besten Zeitpunkt zwischen zwei Schauern abzupassen. Sondern als Ausrede, um selbst bei acht Prozent Regenwahrscheinlichkeit auf andere Verkehrsmittel auszuweichen.

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(Foto: iStockphoto; Illustration Jessy Asmus)

Fahrstil: Ohne jede Ambition. Wer überholt, soll eben überholen. Fährt morgens eine andere Strecke als abends, über den weniger steilen Berg. Braucht daher sieben Minuten länger, aber man will ja nicht verschwitzt im Büro ankommen.

Natürliche Feinde: Keine. Er fährt nicht oft genug, als dass sich Hass aufstauen könnte.

Der Rowdy

Ausstattung: Alles, was zwei Räder hat und einigermaßen beschleunigt werden kann. Je nach Kontostand besitzt der Terminator unter den Radlern ein ausrangiertes Hollandrad von Mama, ein schwarzes Mountainbike mit Flammen-Motiv oder ein verrostetes Klapperding, das so klingt und aussieht, als sei es aus dem Verkehrsmuseum entwendet worden. Beim Rowdy verhält es sich wie bei Menschen, die von der Latzhose über den Plateauschuh bis hin zum Brustbeutel im Grunde alles tragen können: Es gibt nichts, was ihm nicht steht - und es ist ihm so was von egal, wie er aussieht. Denn Style kann man nicht kaufen.

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(Foto: iStockphoto; Illustration Jessy Asmus)

Fahrstil: Würde die Polizei so hart durchgreifen wie bei Autofahrern, der Rowdy hätte längst Fahrverbot - und würde fortan nur noch in indonesischen Großstädten bei der privaten Kriegsführung gesehen. Selbstverständlich will er niemandem was Böses, doch ist irgendjemand vor ihm auf dem Fahrradweg, kann er einfach nicht anders, als zu überholen. Er fährt rituell über Rot, überholt rechts, klingelt permanent. Bricht jede geschriebene wie ungeschriebene Regel, das ist sein tägliches Glück. Anfangs genoss er im Kollegium noch einen gewissen Ruhm für seine Überholmanöver. Anfangs. Nach zwei Jahren im Betrieb will keiner mehr mit ihm in die Kantine.

Natürliche Feinde: Jeder, der sich erdreistet, schneller zu fahren. E-Biker sind besonders verhasst, weil nicht authentisch genug. Der Schleicher ist zu lahm.

Der Profi

Ausstattung: Ultraleichtes Carbon-Rad, Aero-Tuning-optimierter 192-Gramm-Helm. Kolibriklingel, Modell "Wegda!!!". Neonfarbenes Outfit mit Gelprint-Applikation und farblich betontem Sitzpolstereinsatz. Kampflustig aufgerichtete Klickpedalschuhe, die beim Betreten des Bürogebäudes mehr Seitenblicke ernten als die Louboutins der Kollegin.

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(Foto: iStockphoto; Illustration Jessy Asmus)

Fahrstil: Nutzt Windschatten hinter jedem Fahrzeug, um sich vom Pelotón abzusetzen. Absolviert Anstiege sowie die schwierige Bergetappe Alpe d'Huez (Brücken, Auffahrt aufs Firmengelände) im Wiegetritt. Reißt in der Zielgeraden auf den Champs-Élysées (Einfahrt in die Tiefgarage) beide Arme hoch, wo ihn glühende Fans (Kollegen im Rauchereck) begeistert empfangen.

Natürliche Feinde: Alle. Verkehrsteilnehmer, die sich nicht zum Windschattenfahren eignen und bremsen, das versaut den Schnitt von 43,47 km/h. Jeder, der zum Spaß radelt und nicht versteht, dass die Tour de France eine Haltung ist. Und diese Ignoranten, die die Verformung auf dem Rücken wegen der im Trikot integrierten Trinkblase für einen Buckel halten.

Der Styler

Ausstattung: Lastenrad in Pistazienfarben mit hellbraunem Ledersattel, das jedoch nur transportiert, was vorne in die Retro-Weinkiste passt; Gepäckträger und Satteltaschen sind so was von over! Für den täglichen Weg in die hippe Start-up-Location holt der Styler das per Konfigurator zusammengestellte Zahnriemen-Fixie raus. Also von der Wand. Da Design über Funktion steht, verzichtet er auf nützliche Komponenten wie Gangschaltung, Leerlauf oder Bremse.

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(Foto: iStockphoto; Illustration Jessy Asmus)

Fahrstil: Radelt gelegentlich auch im Stehen, weil er sonst weder schnell genug vorankommt noch bremsen kann. Versucht dabei, wie ein Mensch auszusehen, der mit sich im Reinen ist und das Elementare am Radsport schätzt. Was nicht leicht ist, weil die verdammte Schultertasche mit Diagonalgurt ständig nach vorn rutscht und ihn fast vom Rad reißt.

Natürliche Feinde: Wegelagerer in Polizeiuniform, die Funktion über Design stellen und allen Ernstes vom Styler verlangen, dass er sich Licht und Bremsen zulegt. Außerdem: bemitleidenswerte Kreaturen wie Der Profi und Der E-Biker.

Der E-Biker

Ausstattung: Anfangs war es ein einfaches Elektrorad, das ihn beim Treten unterstützte. 300 Watt und eine Maximalgeschwindigkeit von 25 km/h reichten vollkommen aus, der Motor versteckte sich dezent im Unterrohr. Aber dann kamen die neuen, superschnellen S-Pedelecs auf den Markt, die S-Klasse unter den Elektrorädern, die muss man einfach haben. Die S-Pedelecs kosten beim Spezialhändler zwar fast so viel wie ein Kleinwagen, aber als Inhaber einer gut gehenden Werbeagentur ist das kein Problem.

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(Foto: iStockphoto; Illustration Jessy Asmus)

Fahrstil: Ist für den E-Biker im Grunde irrevelant, denn er radelt ja nur bedingt selbst. Er lässt radeln.

Natürliche Feinde: Der E-Biker schaut von oben auf den Pöbel herab, beziehungsweise fährt auch auf dem steilsten Berg an ihm vorbei. Eigentlich will er niemandem etwas Böses, aber das ist per se verdächtig, weshalb der E-Biker bei den anderen Radlern ungefähr so beliebt ist wie es der FC Bayern damals bei den BVB-Anhängern war, kurz nachdem Uli Hoeneß mit dem Geld vom Festgeldkonto Mario Götze weggekauft hatte.

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