Tutoren gesucht:Zwischen Freund und Lehrer

An Gymnasien und Realschulen stehen Betreuer jüngeren Schülern mit Rat und Tat zur Seite. Ausbildungen vermitteln den Tutoren, wie sie sich in unterschiedlichen Situationen angemessen verhalten.

Von Bianca Bär

Eine neue Schule, viel größer als die überschaubare Grundschule. Viele unbekannte Gesichter: neue Klassenkameraden, neue Lehrer. Und dazu noch eine ganze Reihe neuer Fächer. Der Wechsel an eine weiterführende Schule stellt für Fünftklässler oft eine große Herausforderung dar. An einigen Schulen sollen daher Schüler aus der Mittel- und Oberstufe im Rahmen eines Tutorenprogramms den Jüngsten den Einstieg erleichtern. An Realschulen dienen meist Schüler der neunten und zehnten Klassen, an Gymnasien der zehnten und elften Klassen als Vertrauenspersonen und Ansprechpartner für schulische oder private Probleme der Kinder. Häufig organisieren sie Freizeitaktivitäten, um die Klassengemeinschaft der Unterstufenschüler zu stärken. Gleichzeitig sollen die älteren Schüler dabei lernen, Verantwortung für ihre jüngeren Mitschüler zu übernehmen. Doch wie wird man ein verantwortungsvoller Tutor?

Eine bundeseinheitliche Ausbildung für Tutoren gibt es nicht. Die Art der Schulung variiert, ebenso unterscheiden sich die Anforderungen an die Betreuer und das Auswahlverfahren von Schule zu Schule. Am Münchner Michaeli-Gymnasium müssen die Interessenten zunächst ihre Eignung für die Aufgabe unter Beweis stellen. "Am Schuljahresende informieren wir die neunten und zehnten Klassen darüber, dass wir Tutoren für das kommende Schuljahr suchen", erklärt Mittelstufenbetreuer Jochen Arlt. "Auf diese Anfrage melden sich überwältigend viele, daher haben wir ein kleines Bewerbungsverfahren entwickelt."

Zum einen werden die Schüler gebeten, ihre Motivation für das Amt darzulegen. "Einige schreiben, dass sie sich selbst gern an die Aktivitäten erinnern, die Tutoren für sie als Fünftklässler organisiert haben. Nun möchten sie etwas zurückgeben", sagt Arlt. Außerdem müssen die Schüler Angaben zu ihren Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern machen. Dazu zählen etwa das Engagement in einer Ministrantengruppe oder im Training für jüngere Kinder im Sportverein. Gemeinsam mit einer Kollegin wählt Arlt geeignete Schüler aus. "Dabei sollten die Noten nicht zu schlecht sein, denn schwache Schüler sollen nicht durch einen Tutorenjob zusätzlich belastet werden", merkt Arlt an. Auch Verweise könnten dem Einsatz im Wege stehen.

Betreuer sollten die Fähigkeit mitbringen, sich in verschiedene Charaktere einzufühlen

Die erfolgreichen Bewerber werden jedoch nicht ins kalte Wasser geworfen, sondern sorgfältig auf die Herausforderungen ihrer neuen Aufgabe vorbereitet. Englisch- und Geschichtslehrer Arlt hat zu diesem Zweck zusammen mit drei weiteren Lehrkräften eine zweitägige Schulung konzipiert. Damit sich die Schüler besser auf die Tutorenausbildung konzentrieren können, findet die Schulung nicht in München, sondern in einem Jugendgästehaus in Agatharied im Landkreis Miesbach statt.

"Wir sprechen dort beispielsweise über rechtliche Angelegenheiten wie Aufsichtspflicht oder das angemessene Verhalten in Krisensituationen: Was tun, wenn sich jemand verletzt oder ständig das Programm stört", erläutert Arlt. Die Tutoren probieren außerdem verschiedene Spiele aus, mit deren Hilfe die Fünftklässler einander besser kennenlernen sollen. Darüber hinaus werden ihnen verschiedene Leitungsstile vorgestellt. "In Gefahrensituationen sollten sie eher autoritär auftreten, während sie sich in kreativen Phasen auch mal zurückhalten können", rät Arlt.

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An der Hans-Maier-Realschule Ichenhausen gibt es Betreuer für alle Lebenslagen, zum Beispiel Bustutoren.

(Foto: Imago/Westend 61)

Die einen beraten rund um den PC, die anderen sind als Sanitäter im Einsatz

Den richtigen Ton im Umgang mit den Unterstufenschülern mussten auch die Tutorinnen Sophie und Julia Reuel erst finden. "Ich muss freundschaftlich mit ihnen umgehen, aber trotzdem erreichen, dass sie Respekt vor mir haben", stellt Sophie fest. "Wir sind so eine Zwischenform zwischen Freund und Lehrer." Einfühlungsvermögen zähle daher zu den wichtigsten Anforderungen an Helfer. "Wir müssen uns auf jeden einzeln einstellen. Um manche kümmern wir uns intensiver, andere sind schon sehr selbständig", erzählt die 16-Jährige, die sich zusammen mit ihrer Zwillingsschwester nun schon mehr als ein Jahr als Betreuerin engagiert. Zu Beginn des Schuljahres organisieren die Tutoren immer eine Schulhausrallye für die Fünftklässler. Jeweils drei Tutoren sind dabei für eine Klasse zuständig. Zwei Schuljahre lang werden sie für diese Klasse viele weitere Aktivitäten organisieren - sie besuchen zum Beispiel den Christkindlmarkt oder basteln Lebkuchenhäuser. Im Frühjahr und Sommer stehen Bowling und Eisessen auf dem Programm.

Freizeittutoren wie am Michaeli-Gymnasium gibt es auch an der Hans-Maier-Realschule Ichenhausen im schwäbischen Landkreis Günzburg. Doch dort kommen weitere Helfer für alle Lebenslagen hinzu. Während Lerntutoren jüngeren Schülern Nachhilfe geben, sorgen die Bustutoren für Ruhe und Sicherheit im Schulbus. Büchereitutoren übernehmen Verwaltungsaufgaben in der Schulbücherei. Andere helfen den Schülern der benachbarten Grundschule dabei, Leseschwächen zu beheben - sie heißen Lesepaten. Internetnavigatoren sind Ansprechpartner, wenn es um Computerspiele, Cybermobbing oder soziale Netzwerke geht. Streitschlichter vermitteln bei Konflikten. Sanitäter übernehmen die Erstversorgung bei Verletzungen auf dem Schulgelände.

"Wir wollen möglichst vielen Schülern die Möglichkeit geben, sich ehrenamtlich zu engagieren. So merken sie, wie wohltuend es ist, anderen zu helfen", erklärt Tanja Röcken, die an der Hans-Maier-Realschule Deutsch und Französisch unterrichtet. "In verschiedenen Bereichen können Schüler der siebten bis zehnten Klassen ihre eigenen Stärken so nutzen, dass auch andere etwas davon haben." Die Schüler dürfen sich jedes Jahr neu entscheiden, ob und in welchem Bereich sie tätig sein wollen. Die 14-jährige Anna-Sophia Schneider gibt beispielsweise seit zwei Jahren Nachhilfe in den Fächern Englisch und Französisch. "Ich finde es gut, dass ich beim Üben mit den Jüngeren selbst den Lernstoff wiederhole", sagt die Neuntklässlerin. Meistens nimmt sie sich für die Treffen eine Stunde Zeit, manchmal aber auch zwei, je nach Bedarf. Ihre gleichaltrige Freundin Lena Böck hat sich dagegen für den Sanitätsdienst entschieden. "Mir macht es Spaß, mehr über Körper und Psyche zu erfahren und im Team zu arbeiten", erklärt sie.

Damit Lena und die anderen Schulsanitäter im Ernstfall wissen, was zu tun ist, treffen sie sich einmal pro Woche mit Lehrerin Tanja Röcken, die selbst ausgebildete Sanitäterin ist. Neben theoretischem Wissen steht dabei das praktische Einüben von Erste-Hilfe-Maßnahmen auf dem Plan. Auch für die anderen Tutorenprogramme an der Realschule gibt es spezielle Schulungen, die meist von den Lehrern selbst gehalten werden. "Die Lerntutoren werden an zwei Vormittagen über verschiedene Lerntechniken informiert, die sie mit ihren Schülern einüben können", erläutert Röcken. Die Bustutoren setzt ein Polizist über wichtige Verkehrsvorschriften in Kenntnis. "Außerdem erfahren sie, worauf sie achten müssen, damit es im Bus keine Rangeleien und Verletzungen gibt", berichtet die Lehrerin. Die Streitschlichter lernen an mehreren Nachmittagen zu Beginn des Schuljahres, Krisengespräche zu führen.

Am Ende des Schuljahres bescheinigt eine Zeugnisbemerkung den Schülern ihr Engagement. "Das macht sich auch gut in einer Bewerbung", stellt Röcken fest. Am Michaeli-Gymnasium gibt es für die Tutoren am Ende des Schuljahres eine besondere Belohnung für ihre Mühen: Sophie und Julia zum Beispiel erholten sich zusammen mit den anderen Helfern von den Strapazen ihrer Tutoren-Tätigkeit bei einem kostenlosen Kurztrip an den Neusiedler See.

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