Trauer am Arbeitsplatz:Wenn ein Kollege stirbt

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Ein Trauerfall kann zur Belastungsprobe für eine ganze Abteilung werden.

(Foto: Westend61/imago)

Tritt in einer Firma ein Todesfall ein, führt das oft zu Überforderung. Mit der Trauer selbst, aber auch im Umgang mit den Trauernden. Dabei gibt es Methoden, den Verlust gemeinsam zu verarbeiten.

Von Lea Hampel

Der Anruf des Kollegen war ungewöhnlich, und so kann sich Nicole Igelbrink-Schulze bis heute sehr gut an den Montag im Winter 2014 erinnern. Sie hatte Hausbesuchsdienst in der Gemeinschaftspraxis. Während sie unterwegs war, rief ein Kollege an: "Komm mal in die Praxis." Dort traf sie auf betroffene Gesichter. Die 34 Jahre alte Assistenzärztin, mit der sie noch in der vergangenen Woche zusammengearbeitet hatten, war tot - am Wochenende hatte ein betrunkener Autofahrer sie beim Spazierengehen überfahren.

Wenn Todes- und Trauerfälle in Firmen auftreten, führt das oft zu Überforderung: Der Tod und alles, was damit zu tun hat, ist immer noch ein Tabuthema, selbst in Freundeskreisen und mit der Familie finden dafür wenige Menschen offene Worte. Umso schwieriger ist es im professionellen Kontext: Trauer ist ein sehr privates Gefühl. Wenn ein Kollege stirbt, wissen wenige Menschen, wie sie sich am Arbeitsplatz verhalten sollen.

Trauer läuft zwar stets in ähnlichen Phasen ab: Zunächst ist da Starre, dann ein Aufbruch der Gefühle, es folgt ein allmähliches Erlernen der neuen Situation. Wie die Menschen konkret mit Todesnachrichten umgehen, variiert jedoch: Während es manchem hilft, über die eigenen Gedanken und Gefühle zu sprechen, werden andere aggressiv, Dritte verstummen.

Im Arbeitsleben prallen diese verschiedenen Herangehensweisen aufeinander. Der bisher toughe Kollege weint ungehemmt, die sonst sanfte Kollegin ist vielleicht eher barsch. Auch wie lang die Trauer dauert, unterscheidet sich von Person zu Person. Hinzu kommt, dass gerade das Beziehungsnetz im Büro oft hochkomplex ist. Manche Kollegen standen dem oder der Betroffenen näher, andere weniger.

Wer öffnet die Schubladen des verstorbenen Kollegen?

"Das Besondere an Trauer ist, dass sie bei jedem etwas auslöst - man wird stark mit sich selbst konfrontiert", sagt Reinhild Fürstenberg. Die Geschäftsführerin des gleichnamigen Unternehmens, das als externer Dienstleister für Firmen Psycho- und Sozialberatungen durchführt, hat über die Jahre immer wieder gesehen, wie Trauer kurz- und langfristig im Arbeitsalltag eine Rolle spielt: Zum einen bei Menschen, die länger zurückliegende Todesfälle nicht verarbeitet haben, zum anderen bei akuten Todesfällen - wenn Menschen einen Angehörigen verloren haben oder ein Kollege kürzlich verstorben ist. Beide Fälle landen oft in der Beratung des Fürstenberg-Instituts.

Oft sitzen Fürstenberg und ihren Kolleginnen Führungskräfte gegenüber, die nicht wissen, wie sie mit trauernden Mitarbeitern umgehen sollen. Und gelegentlich ganze Teams, wenn - wie im Nürnberger Fall - ein enger Kollege gestorben ist. Fast alle Fälle haben zwei Dinge gemein: "ganz viel Sprachlosigkeit und ein hohes Maß an Unsicherheit", sagt Fürstenberg. "Trauer ist eben keine Routine."

Sie wird am Arbeitsplatz auch deshalb so kompliziert, weil sich zu psychischen Problemen schnell praktische Fragen gesellen: Wer erledigt die Arbeit des verstorbenen Menschen, was passiert mit dem Arbeitsplatz, wer öffnet dessen Schubladen? Wer geht zur Beerdigung, wer erklärt externen Ansprechpartnern, was passiert ist? All das kann zur Belastungsprobe für eine Abteilung werden - weil Arbeitsalltag und Abschiednehmen nicht zusammenpassen.

Auf den Schock folgt das Verstummen

Auch in der Praxis, in der Igelbrink-Schulze arbeitet, galt es zunächst, den Tag durchzustehen. "Wir mussten natürlich die restlichen Termine abarbeiten." Die Ärztin und ihre Kolleginnen bekamen zwar das Angebot, nach Hause zu gehen, wenn man sich dem Tag nicht gewachsen fühle. "Aber eigentlich war jeder bereit weiterzuarbeiten." Auch die nächsten Wochen galt es umzuorganisieren.

Dabei ist das Wichtigste die Anfangszeit, denn vielen geht es wie Igelbrink-Schulze: "Ich konnte anfangs nicht glauben, was da passiert ist", sagt sie. "Wir standen alle unter Schock." Auf die Idee des Chefs hin hat sich das Team zwanzig Minuten zusammengesetzt. Das ist laut Experten der richtige Weg, aber noch passiert oft das Gegenteil: Auf den Schock folgt das Verstummen, das Thema wird höchstens in der Kaffeeküche flüsternd besprochen.

Oft hätten Menschen den Anspruch, zu Kunden, Kollegen und Betroffenen Kluges und Angemessenes zu sagen, sagt Beraterin Fürstenberg. Weil aber gerade das extrem schwer ist, zumal, wenn man den Verstorbenen nur aus dem Arbeitskontext kennt, schweigt so mancher. "Viele kommen gar nicht erst auf die Idee, einfach zu sagen: Tut mir leid, ich weiß nicht, was ich sagen soll", sagt Fürstenberg.

Sie sieht vor allem die Führungskräfte in der Verantwortung, beispielsweise auch die eigene Betroffenheit zu artikulieren, um es den Mitarbeitern leichter zu machen. "Es geht darum, Raum zu schaffen für das Thema." Sinnvoll könne es sein, regelmäßige Gesprächsrunden anzusetzen. Wichtig sei zudem anzuerkennen, dass jeder Fall, aber auch jede Trauer individuell sei. Auch die praktischen Fragen rät sie in der Gruppe durchzusprechen: Stellt man auf den Tisch der verstorbenen Kollegin regelmäßig Blumen? Vereinbart man eine feste Formulierung für Kunden, die anrufen?

Auch wenn Eltern sterben, dringt das Thema ins Büro

Das Team der Ärztepraxis ging damals gemeinsam zur Beerdigung. "Natürlich setzt irgendwann auch wieder Alltag ein", sagt sie. Doch das Thema kam immer wieder auf, auch, weil der Fall dramatisch war - die junge Frau war schwanger und verlobt - und lokale Zeitungen ihn immer wieder aufgriffen. "Und die Patienten haben immer wieder nachgefragt, einige von denen hat das auch sehr mitgenommen."

Manche erkundigen sich bis heute nach der jungen Kollegin. In der Praxis gab und gibt es deshalb eine Langfristbetreuung. Igelbrink-Schulze und ihre Kolleginnen können bei Bedarf mit der Psychotherapeutin, die zur Praxis gehört, sprechen. Sie selbst nutzt das nicht, aber Kolleginnen durchaus. Am meisten habe ihr geholfen, dass Raum dafür da sei, über das Thema zu sprechen. "Das ist wichtig."

Allmählich, auch das beobachtet Fürstenberg, wandelt sich der Umgang mit dem Thema "Tod und Arbeitsplatz". Die Offenheit nehme zu, schon allein, weil das Thema häufiger auftauche. Die derzeitige Babyboomer-Generation arbeitet oft noch, während die Eltern sterben. Das Thema landet dann zwangsläufig mit im Büro. Meist erklärt sie bei Kunden dann erst mal, wie die Trauer funktioniert.

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