Transfergesellschaften:Die Krise als Gottesgeschenk

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Zaubermittel oder Vorhölle: Von Transfergesellschaften profitieren vor allem Arbeitgeber, Gewerkschaften und Weiterbildner - die Gekündigten gewinnen bestenfalls etwas Zeit.

C. Demmer

Josef Hoke mag nur deshalb offen reden, weil er der Arbeitslosigkeit erfolgreich entwischt ist. Viele seiner knapp 200 ehemaligen Kollegen von Agfa Photo im bayerischen Peiting hat sie, vier Jahre nach der Firmenpleite, noch immer fest im Griff. Darüber grämen sie sich, darüber sprechen sie nicht. Dabei sind einige längst wieder in Lohn und Brot.

Abgeschoben: Wenn sie Pech haben, werden Mitarbeiter in Transfergesellschaften nur ausgelagert - und die Bundesagentur freut sich, weil sie so ihre Arbeitslosenzahlen begrenzen kann. (Foto: Foto: dpa)

"Allerdings pendeln sie, kaum einer hat am Ort eine neue Arbeit gefunden", sagt der Informationselektroniker Hoke, der früher auch Betriebsratsvorsitzender bei Agfa Photo war. Hoke schlug die der Belegschaft angebotenen Abfindungen in den Wind und befürwortete den Übergang in eine Transfergesellschaft. Das bringt zwar kein Geld aufs Konto, schiebt aber den Gang zum Arbeitsamt um zwölf Monate hinaus.

Arbeitslosigkeit tritt in vielen Masken auf. Eine davon heißt Transfergesellschaft, was schon deshalb bedrohlich klingt, weil man sich instinktiv davor fürchtet, von irgendwem nach irgendwo überführt zu werden, wohin man möglicherweise gar nicht will. Die Sorge ist berechtigt. Denn ob der Transfer seitwärts in einen neuen Job führt oder abwärts in Richtung Hartz IV, hängt nicht nur von Mobilität und Motivation der Gekündigten ab, sondern vor allem davon, bei was für einer Gesellschaft man landet.

Der Zweck einer Transfergesellschaft ist es, entlassene Mitarbeiter in höchstens einem Jahr für den Arbeitsmarkt fitzumachen. Während dieser Zeit müssen sie nicht arbeiten, sondern sich beraten, weiterbilden und bei der Jobsuche helfen lassen. Dafür erhalten sie ein Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 Prozent des letzten Gehalts, Eltern 67 Prozent, sowie einen Aufstockungsbetrag vom Arbeitgeber, der oft an die 80 Prozent heranreicht. Für Hoke war die Zeit ein Glücksfall. Er lernte, dass man von der Beratung ausgelagerter Mitarbeiter gut leben kann und ist heute selbst für Transfergesellschaften unterwegs.

Weil eine Transfergesellschaft eine "betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit" sein muss, beauftragt der Arbeitgeber in der Regel eine dritte Partei mit deren Gründung und Betrieb. Das sind meistens Personaldienstleister, Outplacement- und Unternehmensberater, Weiterbildungsfirmen, Zeitarbeitsunternehmen und im eigenen oder fremden Auftrag handelnde Rechtsanwälte. Die Bundesagentur muss zustimmen. Dafür hat sie 2009 fast 200 Millionen Euro für Transfer-Kurzarbeitergeld reserviert.

Schneller Antrag, schnelle Genehmigung - schnelle Bezuschussung 132 Transfergesellschaften mit insgesamt 6880 zu transferierenden Personen wurden der Bundesagentur für Arbeit allein im vergangenen April neu angezeigt. Im März waren es 123, im Februar 96, die Zahlen schwanken von Monat zu Monat, bisweilen von Woche zu Woche. Da die Lebensdauer von Transfergesellschaften auf ein Jahr befristet ist, fallen auch jeden Monat einige aus der Statistik heraus.

Wie viele Menschen in Transfergesellschaften es aktuell gibt, weiß selbst Burkhard Klammroth, zuständiger Sachbearbeiter bei der Bundesagentur, nicht zu sagen. Er findet das Prozedere ohnehin etwas merkwürdig: "Die Betreiber geben zum Teil Anzeigen ab und wissen noch gar nicht, ob sie die Beschäftigten überhaupt bekommen oder ob die Transfergesellschaft bewilligt wird." Dahinter lässt sich kaufmännischer Weitblick vermuten: schneller Antrag, schnelle Genehmigung - schnelle Bezuschussung.

Die Chancen auf neue Aufträge stehen nicht schlecht. Allerorten hagelt es Kündigungen, und für den Herbst werden Massenentlassungen vorausgesagt. "Früher lag die Gründung einer solchen Gesellschaft überwiegend im Interesse der Arbeitnehmervertreter", erklärt Gerhard Ubl, Geschäftsführer der Transfergesellschaft Train in München, "jetzt sind es die Arbeitgeber. Für sie ist das gewissermaßen ein chirurgisches Mittel, um leichter aus schwierigen Gesprächen herauszukommen."

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Für die Betreiber von Transfergesellschaften scheint die Krise geradezu ein Gottesgeschenk zu sein. "Wie die Geier stürzen die sich heute auf jeden Betrieb, der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt", schimpft ein Personaldienstleister aus Berlin über seine Kollegen, "ein Gerücht genügt, und die Geschäftsleitung hat 60 oder 70 Offerten auf dem Schreibtisch." Bestätigt wird das durch einen zweiten, der ebenso regelmäßig mitbietet: "Wenn heute in der Zeitung steht, dass ein Betrieb in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist, dann hat der Inhaber übermorgen 25 Angebote über die Gründung einer Transfergesellschaft auf dem Schreibtisch."

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Wer den Zuschlag bekommt, entscheiden die Firma und der Betriebsrat gemeinsam. Der Betriebsrat will eine hohe Aufstockungssumme und die bestmögliche Weiterbildung für die Kollegen. Deshalb kämpft er um ein möglichst hohes Transferbudget. Der Arbeitgeber hingegen möchte sich seines Personals kostengünstig entledigen und zieht deshalb Angebote von Betreibern vor, bei denen er eine möglichst geringe Kopfpauschale für die Qualifizierung zahlen muss. Ohne Betriebsrat entscheidet der Chef allein, ansonsten muss verhandelt werden.

Mit Konflikttrainings ruhiggestellt Das beschäftigungspolitische Instrument ist umstritten. Die Bundesagentur für Arbeit und die Betreiber der Zweckgesellschaften loben es als Zaubermittel gegen die Verfestigung von Arbeitslosigkeit. Nach Ansicht der Kritiker hingegen stecken die Beschäftigten einer Transfergesellschaft in der Vorhölle zu Hartz IV: Viele würden mit sinnlosen Englischkursen, Gabelstapler-Führerscheinen, Kommunikations- und Konflikttrainings ruhiggestellt. Um aber einen neuen Job zu finden, seien sie letztlich doch auf ihre eigene Initiative angewiesen.

Hinter vorgehaltener Hand ziehen die Betreiber kräftig über die Konkurrenz vom Leder. "Wenn man Transfergesellschaften als Verwahranstalten betrachtet und die Menschen als durchlaufende Posten behandelt, wie es viele tun, dann kann man damit gutes Geld verdienen", ereifert sich ein Geschäftsführer, der selbst im Transfer-Business mitmischt und daher nicht mit Namen genannt werden will. Die "Selbstbedienungsmentalität der Betreiber", klagt ein anderer Transfer-Manager aus Berlin, sei "ein heißes Eisen, das niemand anzupacken wagt."

Schließlich habe, mit Ausnahme der Betroffenen, jeder einen Vorteil: Die Bundesagentur begrenze die Arbeitslosenzahlen, die Sozialkassen freuten sich über Beiträge, die Gewerkschaften könnten ihre Weiterbildungsfirmen päppeln und die Arbeitgeber preiswert ihre Belegschaften entsorgen. Selbst Gerhard Ubl räumt vorsichtig ein: "Es gibt genügend Transfergesellschaften mit ungenügenden Qualifizierungsangeboten."

"Gründlich prüfen"

Zur Verteidigung der Transfergesellschaften verweisen deren Befürworter - allen voran die Gewerkschaften, die den Großteil des deutschen Weiterbildungsmarktes kontrollieren - auf die erzielten Erfolgsquoten in der Vermittlung. Allerdings ist kaum zu belegen, was auf die Aktivitäten der Transfergesellschaft und was auf die individuellen Anstrengungen der Betroffenen zurückzuführen ist. Angesichts der nach Jahresfrist drohenden Arbeitslosigkeit kommt mancher von selbst in die Gänge.

"Es gab auch Kollegen, die sich haben treiben lassen", erinnert sich Hoke. "Doch irgendwann entsteht ja Leidensdruck, irgendwann ist das Urlaubsfeeling weg - und dann sinken die Hemmschwellen gegenüber Zeitarbeitsfirmen." Abseits des öffentlichen Blicks, juristisch bar jeder Verantwortung und allenfalls moralisch bei den Beschäftigten im Wort, verdienen die Transfergesellschafter an jedem Personalabbau mit, der sich ihrer Hilfe bedient. Und das waren bisher nicht wenige Fälle: Siemens/BenQ, Infineon, Qimonda, Rosenthal, Kaufhof, Karmann, Bosch-Siemens-Hausgeräte, der Hamburger Autozulieferer Phoenix, um nur die bekanntesten Fälle zu nennen.

Die nächsten Transfers werden vermutlich soeben ausgehandelt. Dafür hat Hoke einen guten Tipp auf Lager: "Der Betriebsrat steckt mit in der Verantwortung für die Kollegen, und bevor er falsch entscheidet und hinterher nicht mehr ruhig schlafen kann, sollte er die Sache gründlich prüfen."

© SZ vom 18.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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