Talentförderung:Wunderkinder

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Musikalisch und künstlerisch Hochbegabte haben in der Bundesrepublik hervorragende Entwicklungschancen - Stiftungen, Museen, Hochschulen oder Bühnen fördern die professionelle Ausbildung junger Menschen.

Von Christine Demmer

Da neben Talent auch Disziplin und Fleiß sehr wichtig sind, müssen Bewerber ihre künftigen Förderer davon überzeugen, dass sie es mit der Ausbildung wirklich ernst meinen. (Foto: mauritius images)

Mit gerade mal neun Jahren war Simon Haje aus Berlin der jüngste Student an der Universität der Künste in Berlin. Heute ist er zwölf und hat schon drei Jahre Studium am Klavier hinter sich. Zum Instrument führte ihn seine Stimme. Mit fünf Jahren sang Simon im Kinderchor der Deutschen Oper. "Ein Sänger sollte auch ein Instrument spielen können", meinte die Chorleiterin. Die Eltern stellten dem Filius ein Keyboard ins Kinderzimmer, Simon begann zu klimpern, bekam Unterricht und nach einem Jahr hieß es: "Der Junge hat Talent." Da war Simon gerade acht.

Zuständig für junge Musiktalente in Berlin ist das Julius-Stern-Institut an der Universität der Künste. Dort beginnt die Förderung des musikalischen Nachwuchses schon mit dem neunten Geburtstag eines Kindes - das ist in der Bundesrepublik einmalig. Simon erspielte sich einen ersten Platz bei dem Wettbewerb "Jugend musiziert" und die Einladung zur Aufnahmeprüfung. Seitdem er diese mit Bravour bestand, wird er von einem Hochschullehrer im Klavierspiel unterrichtet und übt täglich mehrere Stunden zu Hause. "Es reicht nicht, wenn die Eltern vom Talent ihres Kindes überzeugt sind", sagt Anita Rennert, Musikpädagogin, Gitarristin und Professorin am Institut. Kostenlosen Unterricht bekommt hier nur, wer von Profis für herausragend begabt gehalten wird. Und wer fleißig übt. "Was auf der Bühne so leicht aussieht", sagt Rennert mit Nachdruck, "ist harte Arbeit."

Für künstlerisch begabte Kinder und Jugendliche ist Deutschland ein Eldorado. Doch zunächst muss ihr Talent erkannt werden: "Die Eltern sind die ersten, die bei einem drei- oder vierjährigen Kind ein musikalisches Talent wahrnehmen", sagt Rennert und schildert die Merkmale: "Das Kind singt zum Beispiel außergewöhnlich gut, oder es reagiert in auffälliger Weise auf Töne und Klänge." Musikalisch vorgebildeten Eltern falle das natürlich am ehesten auf. "Andernfalls wird die besondere Gabe des Kindes vielleicht in der Kita oder in der Schule erkannt." Es gibt allerdings eine weitere Bedingung für die professionelle Talentförderung in der Musik: Die Familie muss mindestens in einer mittelgroßen Stadt leben. Denn nur hier gibt es professionelle Ausbildung. Wenn beides zusammenkommt, fördern Hochschulen, Bühnen, Museen, Stiftungen und die öffentliche Hand den Nachwuchs. Mit Unterricht, wenn das Talent noch sehr jung ist, und mit Geld für den Lebensunterhalt, wenn es sich selbst versorgen muss. Bei angehenden bildenden Künstlern ist das die Regel.

Simons Einzelunterricht kostet die Eltern 120 Euro im Semester. Angesichts der Stundenhonorare guter Klavierlehrer ist das ein Klacks. Trotz des vielen Übens hat Simon Zeit für Freunde und Fußballspiel. "Er kommt morgens aus dem Zimmer, setzt sich ans Klavier und singt dazu", erzählt sein Vater. Auch auf Youtube ist zu bewundern, wie Simon selbst längere Stücke auswendig beherrscht. "Erst konzentriere ich mich auf die Melodie", erklärt er seine Lernmethode. "Sobald ich die im Ohr habe, schaue ich mir Takt für Takt an. Wenn ich das Stück ein paar Mal spiele, dann geht das automatisch in meine Finger."

Junge Talente kommen nur dann weiter, wenn auch die Eltern ganzen Einsatz leisten

Julius Störmer aus Hamburg stand mit neun Jahren zum ersten Mal auf der Bühne, als junger Tarzan im gleichnamigen Disney-Musical in Hamburg. "2009 war ich als Zuschauer dort", sagt der heute 15-Jährige, die Karte hatte er zu Weihnachten bekommen. "Per Aushang wurden Kinderdarsteller gesucht. Und das wollte ich unbedingt werden." Anfangs waren die Eltern dagegen, machten sich Sorgen um die Schule, ließen sich dann aber erweichen und setzten mit Julius die Bewerbung auf. Tatsächlich nahm das Hamburger Theater "Neue Flora" ihren Sohn an, wo er binnen zwei Jahren das Singen und Tanzen für die Rolle als Tarzan junior erlernte. Zweieinhalb Jahre lang stand er dann bis zu zweimal wöchentlich auf der Dschungelbühne. Von 2014 an gehörte er in der Hauptrolle des Matthias zur Premierenbesetzung des Musicals "Das Wunder von Bern". Heute nimmt Julius intensiv Ballett-, Step- und Jazztanzunterricht, außerdem spielt er Klavier. Er ist Stipendiat der Proskenion Stiftung im niedersächsischen Lingen an der Ems. Deren Besonderheit besteht darin, dass sie unabhängig von einer Bühne angehende Tänzer und Schauspieler fördert. Julius wird von Enrico De Pieri in Gesang unterrichtet. Manche kennen ihn auch als Flaschengeist Dschinni aus dem Musical "Aladdin". Stiftungsvorstand Lars Göhmann hat De Pieri in seinem Netzwerk gefunden. "Für ein Ausnahmetalent wie Julius versuchen wir, die besten Lehrer zu ermöglichen", sagt er.

Die Proskenion Stiftung fördert Talente, die es mit Macht an Musik- und Sprechbühnen zieht. Gründer und Vorstandsvorsitzender Lars Göhmann ist zugleich künstlerischer Leiter der zur Stiftung gehörenden Jugendakademie für Darstellende Künste in Lingen. Bundesweit ist er unterwegs, um begabte Kinder und Jugendliche sowie gute Lehrer zu entdecken. Zudem hält er Ausschau nach Orten, wo sich Begabte unter professionellen Bedingungen in Gesang, Tanz und Schauspiel schulen lassen können. "Wir suchen zwar nicht gezielt nach Talenten, aber wir wollen den Nachwuchs im Auge haben", erklärt er. Weitaus häufiger kommen die jungen Leute zu ihm. "Damit haben sie einen wichtigen Schritt getan", sagt Göhmann, "nämlich von sich aus zu wollen." Dann stellt er den Kindern Fragen: Was zieht sie zur Bühne? Wann haben sie ihre Leidenschaft wahrgenommen? Welche Rollen haben sie gespielt? Wie stellen sie sich ihre berufliche Zukunft vor? Was sind sie bereit, dafür zu tun? Der Superstar für eine Saison interessiert ihn nicht. "Wenn wir jemanden in unser Stipendienprogramm oder in die Jugendakademie aufnehmen, dann achten wir darauf, ob dieser Mensch verantwortlich mit seiner Begabung umgeht", sagt Göhmann. Die Jugendakademie veranstaltet ein- bis zweijährige Förderlehrgänge und einzelne Masterclasses. Darin werden bis zu zwölf Jugendliche am Wochenende und in den Schulferien unterrichtet: Schauspieltraining, Szenenstudium, Gesang, Tanz - die komplette Bandbreite der Arbeit künftiger Bühnendarsteller. Das Stipendienprogramm der Stiftung bietet eine Förderung in Form von Seminaren, Workshops oder Einzelunterricht im Bereich von Schauspiel, Tanz und Gesang.

Ohne die Unterstützung der Eltern allerdings drohen junge Talente auf der Strecke zu bleiben. Das Wichtigste sei, betont Musikpädagogin Rennert, dass die Familie das Leben des Kindes so organisiert, dass es noch ausreichend Freizeit hat. Außerdem müsse für Instrumente, Kostüme, Ausbildung und Reisen zu Konzerten und Vorstellungen Geld übrig sein. Wenn das Kind oder der Jugendliche das ständige Üben satthabe, müssten die Eltern das verstehen und es behutsam motivieren.

Wenn sich im Laufe der Ausbildung herausstellt, dass die Begabung doch nicht für die große Solokarriere reicht, dürften Mutter und Vater dem Kind nicht böse sein, sagt Rennert. Kein Zweifel: Die Eltern eines Talents leisten auch harte Arbeit.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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