Tagebuch:Mein Alltag in New York

Aus dem Leben einer Praktikantin bei den Vereinten Nationen.

Annemarie Fischer arbeitet als Praktikantin bei den Vereinten Nationen in New York. Für sueddeutsche.de führt sie Tagebuch.

Seifenblasen Leben in New York heißt, mit dem Lärm seiner Bewohner zu leben. Der Amerikaner an sich spricht ja schon laut, aber der New Yorker schreit. Was europäische Ohren als Gebrüll wahrnehmen, ist der normale Tonfall auf New Yorkisch. Am Anfang bin ich bei lautem Schreien noch zusammengezuckt. Jetzt weiß ich, dass sich wahrscheinlich nur wieder ein Passant mit jemandem unterhält, der ein paar Meter entfernt steht. Um diese ständigen Schockzustände zu vermeiden, baut sich jeder, der länger in New York ist, eine Art Schutzwall auf. Ich habe ihn bubble getauft, eine Art Seifenschaumblase. Durchsichtig, aber nur begrenzt durchlässig ermöglicht sie dem Homo new yorkus, immer wachsam zu bleiben, ohne sich von allem oder jedem schocken zu lassen.

Für voll genommen Die Ausläufer des Hurrikan sind in New York. Regen durchweicht mich, als ich aus dem Hauptgebäude trete. Eine UN-Mitarbeiterin teilt ihren Schirm mit mir. Was ich denn hier mache? Just an intern, nur ein Praktikant, antworte ich. Nein, widerspricht sie, du bist nicht nur ein Praktikant. That made my day.

Kaffee holen, mal anders Hier fühlt man sich wirklich nicht wie ein Praktikant. Als ich einen Mitarbeiter frage, ob ich ihm einen Kaffee mitbringen soll, ist er so erstaunt, dass er mich zu einem einlädt.

Operation GA Zum ersten Mal darf ich in die Generalversammlung, die hier alle nur "GA" nennen. Sicherheitsschleusen weisen mir den Weg. Viermal wird mein Zugangs-Pass überprüft. In der Vorhalle finden sich Antiquitäten und Kunstwerke aus aller Herren Länder. Der Saal, in dem die Generalversammlung ist, wirkt viel kleiner als im Fernsehen - was ihn nicht weniger beeindruckend macht.

Ich bin einer der letzten Zuschauer, der sich auf einem der typisch UN-blauen Sessel niederlässt. Neben jedem Sitz gibt es eine Art Ohrmuschel, die man sich auf sein Ohr klemmen kann. Simultandolmetscher, die in Glaskabinen oberhalb der GA das Geschehen mitverfolgen, übersetzen die Rede in die offiziellen UN-Sprachen: Da die Rede französisch ist, in Englisch, Russisch, Spanisch, Chinesisch, Arabisch.

Ich komme mit einem der Security-Männer ins Gespräch: Nein, er dürfe sich die Reden gar nicht über Kopfhörer anhören, sein Job gehe vor.

Mein Alltag in New York

Danach nehme ich an meinem ersten "Deutschen Mittagessen" teil, zu dem alle Diplomaten und Praktikanten eingeladen werden - bezahlen muss man jedoch selbst. Wenn sich Praktikanten treffen, geht es immer um dieselben Themen: Geld, Wohnung, Leben in New York. Fast keiner erhält ein reguläres Salär, eine Praktikantin arbeitet sogar ein Jahr unbezahlt in der Megametropole - ein Erbe und Erspartes müssen herhalten. Einige sind mit Stipendien hier.

Eine Welt Die aufregende Generalversammlung neigt sich dem Ende zu. Das Leben in den UN normalisiert sich wieder. Die Laster und Gitter verschwinden, nur die Security-Männer drehen immer noch ihre Runden. Zum Wochenende öffnen die Vereinten Nationen wieder ihre Tore für die Touristen.

Innerhalb der Praktikanten haben sich Gruppen gebildet, die Unternehmungen organisieren und Kulturtipps sammeln. Ich werde daran mitarbeiten, ein Jahrbuch für alle Praktikanten zu erstellen.

Erstes Treffen mit meinem "Year Book Committee": Es ist eine bunte Truppe, die sich hier zusammengefunden hat - irgendwann vergisst man einfach, nach der jeweiligen Nationalität zu fragen. Lingua franca ist sowieso Englisch.

Lesen Der schrecklichste und der schönste Bücherladen New Yorks sind am Wochenende mein Ziel: Der "Strand" und der "Barnes & Noble", beide befinden sich am Union Square. Im Second-Hand-Laden Strand pfeift man auf Höflichkeit. Alle Besucher müssen ihre Taschen am Eingang abgeben und es gibt keine einzige Sitzmöglichkeit - eben nur Bücher, davon aber viele und vor allem billig. Barnes & Noble hingegen ist so etwas wie der amerikanische Hugendubel - ein Megabuchladen. Innerhalb des Shops gibt es ein Starbucks-Café. Niemand kümmert sich darum, ob man sich mit einem unbezahlten Buch oder einer Zeitschrift ins Café setzt und liest. Amerika, das Serviceparadies.

Kulturschock Meine Kamera weigert sich, die aufgenommenen Bilder auch zu speichern, zwei Disketten gehen kaputt, mein Laptop bricht zusammen - können auch elektrische Geräte unter einem Kulturschock leiden?

(sueddeutsche.de)

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