SZ-Serie "Anders lernen":Sparmodell Kindergarten

Englisch schon für Dreijährige? An die frühkindliche Erziehung werden hohe Erwartungen gestellt, doch es fehlt an Geld.

Alex Rühle

Gesucht wird sehr junge, optimal ausgebildete Fachkraft mit langjähriger Berufserfahrung, die lebenslange Unterbezahlung gutgelaunt in Kauf nimmt; perfekte Wirtschaftsenglischkenntnisse Voraussetzung, Chinesisch- und Chemiekenntnisse erwünscht - so könnte man das Berufsprofil der Kindergärtnerin in Zeiten der Post-Pisa-Hysterie zusammenfassen.

Kinder spielen im Kindergarten

Zwei Sprachen, Mathe, Naturwissenschaften - was müssen Kinder können? Experten sind sich uneins.

(Foto: Archivfoto: dpa/dpaweb)

Spätestens seit die OECD 2004 ihre "Baby-Pisa"-Studie veröffentlichte, hat eine Diskussion um Kindergartenreformen, Krippenausbau und die Ausbildung der Erzieherinnen eingesetzt. Die Bildungsgutachter monierten seinerzeit, in keinem europäischen Land sei die Ausbildung der Erzieherinnen (ja, es gibt auch Erzieher, aber die machen gerade mal fünf Prozent aus, weshalb dieser Text weiblich bleibt) so schlecht wie in Deutschland und Österreich; nicht einmal drei Prozent der Kita-Mitarbeiter hätten einen Hochschulabschluss. Man konnte seinerzeit aber auch nur an 15 Universitäten und Fachhochschulen ein Studium zur Erzieherin machen.

In ihrem Abschlussbericht kommentierte die OECD fast schon beeindruckt, es gebe in ganz Deutschland weniger Professorenstellen für Elementarpädagogik als für japanische Sprache. Zumindest in dieser Hinsicht war die Studie heilsam: Die Fachakademien werden mittlerweile modularisiert, allerorten werden Aufbaustudiengänge konzipiert, an der Münchner Katholischen Stiftungsfachhochschule und an der Fachhochschule München entstehen zum Wintersemester Bachelor-Studiengänge, in denen sich Erzieherinnen für ihre Aufgabe in den Kindergärten weiterbilden können.

Was aber soll ein Kindergarten heute leisten? Spätestens seit Pisa gehört der Begriff der frühkindlichen Bildung zur Standardrezeptur. Die Hirnforschung mahnt, die Synapsen würden sich irgendwann nicht mehr bilden, und die Zeitfenster, durch die es zu krabbeln gelte, schlössen sich früher als man denkt. Wolfgang Tietze, Berliner Professor für Frühpädagogik sagt, die Qualität des Kindergartens mache "bis zu einem Jahr Entwicklungsunterschied bei Kindern im Vorschulalter aus". Was aber heißt frühkindliche Bildung? Ist es sinnvoll, wenn die Bertelsmannstiftung "Zweisprachigkeit, mathematische und naturwissenschaftliche Grunderfahrungen, Umgang mit Medien" für unter Dreijährige empfiehlt?

Nun muss man die aufgeregte Diskussion mit Vorsicht genießen: Schließlich pausten sich in der Pädagogikdiskussion immer schon die vorherrschenden Ideologien der jeweiligen Zeit auf die Kinder durch. So wie im 19. Jahrhundert die Reformpädagogik Ausfluss der Kulturkritik war und im Zuge der Achtundsechziger antiautoritäre Kinderläden aufmachten, wird heute allerorten auf Effizienz geschaut. Und so gilt, was noch vor ein paar Jahren als freies, wildes Spiel propagiert wurde, plötzlich als rundum unstrukturiert und ineffizient, so als seien Kindergärten Zeitvernichtungsmaschinen.

Sparmodell Kindergarten

Die Diplom-Psychologin Renate Niesel vom Bayerischen Staatsinstitut für Frühpädagogik betont, es dürfe in der Debatte um frühkindliche Bildung nicht um formale Bildung gehen, sondern darum, "bei den Erzieherinnen eine größere Sensibilität dafür zu erreichen, dass sie Bildungsprozesse überhaupt wahrnehmen. Verschulung ist der falsche Weg, man muss mit den Kindern Dinge ausprobieren, ihnen die Möglichkeit für sinnliche Erfahrungen geben." Ganz ähnlich schlug die OECD seinerzeit vor, den Kindern Freiräume zu lassen und sie dennoch an die Hand zu nehmen: "Wenn Kinder intensiv spielen, befördert das die kognitive Entwicklung und Kreativität - aber dieser Typ Spielen braucht die Präsenz, die Unterstützung und Anregung durch professionelles Personal."

Englisch schon für Dreijährige? An die frühkindliche Erziehung werden hohe Erwartungen gestellt, doch es fehlt an Geld.

Zwei Sprachen, Mathe, Naturwissenschaften - was müssen Kinder können? Experten sind sich uneins.

(Foto: Bild: SZ, S. Dimitrov)

Renate Niesel sagt, Kindergärten dürften nicht zu Zwergschulen werden, vielmehr müssten sich umgekehrt die Grundschulen in Richtung Kindergärten öffnen. Die oftgestellte Frage, wann ein Kind denn nun eingeschult werden solle, mit fünf wie in Frankreich oder doch erst mit sieben wie in Finnland, sei grundverkehrt. "Entscheidend ist, wie die Schulen auf den jeweiligen Schüler einzugehen in der Lage sind."

Noch immer geistert in der Diskussion der Begriff der "Schulfähigkeit" herum, so als sei das ein entwicklungspsychologisch oder empirisch klar zu definierender Zustand. Viele Schulen sehen inzwischen ein, dass man sich bei kleinen Kindern von dem Ideal des nach strengem Zeitplan für alle Kinder verbindlichen Lehrplans verabschieden muss.

So gibt es in Bayern Modellversuche mit einer differenzierten Eingangsstufe, erste und zweite Klasse sind dann aufgelöst, um den Kindern ihr eigenes Tempo zu lassen. Und es gibt das Projekt "Kindergarten der Zukunft" (Kidz), bei dem in einigen Orten Kindergarten und die erste Schulklasse zusammengelegt werden und lernendes Spielen und spielendes Lernen ineinander übergehen. In den Augen von Renate Niesel ein vernünftiges Projekt: Da der geglückte Übergang vom Kindergarten zur Schule entscheidend für die weitere Schulkarriere sei, müssten "Erzieherinnen und Lehrerinnen das jeweils andere Berufsfeld eigentlich ohnehin so gut kennen, dass sie in der Lage wären, in beiden Bereichen zu arbeiten. Heute aber werden die meist noch in Parallelwelten ausgebildet." Leider wird sich das KidZ-Projekt nicht umsetzen lassen, der personelle Aufwand wäre schlicht zu groß.

Womit wir beim Geld wären: Die Kindergärten sollen immer mehr Aufgaben meistern, bekommen dafür aber kein zusätzliches Personal. 1200 Euro netto verdient eine kinderlose Berufsanfängerin heute auf ihrer ersten Vollzeitstelle - und kann es in 30 Jahren Berufserfahrung auf gerade mal 1500 Euro bringen.

Der Freistaat Bayern gibt 910 Euro pro Kind und Jahr für Kindergärten, Krippen und Horte aus. In den Stadtstaaten und in Ostdeutschland wird mehr als doppelt soviel investiert. Momentan kümmert sich in Bayern (genau wie in ganz Deutschland) im Schnitt eine Erzieherin um 13 Kinder. Nach Stand der Forschung ist aber nur ein Verhältnis 1:10 akzeptabel.

Deutschlandweit müssten 54 000 Fachkräfte eingestellt werden. Alleine für diese Verbesserung müssten 1,9 Milliarden Euro investiert werden. Das wird nicht geschehen: Denn insgesamt gibt Deutschland gerade mal 0,5 Prozent des Bruttosozialprodukts für frühkindliche Bildung und Betreuung aus. Diese Zahl ist besonders bitter, wenn man weiß, dass die soziale Vererbung in Deutschland besonders hoch ist: Wer aus einem armen Elternhaus kommt, wird meist selbst arm bleiben. Im Kindergarten kann dieser Vererbung sozialer Nachteile gegengesteuert werden. Dafür aber müsste wiederum der Betreuungsschlüssel stimmen.

So steht die Finanzierungspyramide auf dem Kopf: Obwohl die frühkindliche Bildung alle betrifft, lässt sich der Staat die Kindergärten noch immer viel weniger kosten als die Hochschulen.

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