Synchronstimme von Angelina Jolie:"Ich gebe meine Persönlichkeit an der Tür ab"

Claudia Urbatsch-Mingues

Wünscht sich mehr Anerkennung für die Profession der Synchronsprecher: Claudia Urbschat-Mingues.

(Foto: Peter Refle)

Wie ist es, wenn jeder die eigene Stimme, aber niemand das eigene Gesicht kennt? Claudia Urbschat-Mingues spricht den Vorspann der "Tagesschau" und leiht Angelina Jolie ihre Stimme. Ein Gespräch über nervige Manga-Figuren, fehlende Wertschätzung - und Assoziationen beim George-Clooney-Gucken.

Von Johanna Bruckner

"Einen großen Chai Latte." Der Barista in einem Münchner Café macht sich unbeeindruckt ans Werk, dabei müsste er die Frau eigentlich kennen, deren Bestellung er gerade zubereitet. Oder besser ihre Stimme. Claudia Urbschat-Mingues, 43, klein, zierlich, brünett, ist eine der bekanntesten Synchronstimmen Deutschlands. Sie spricht den Vorspann der Tagesschau und sie synchronisiert unter anderem Angelina Jolie. So auch im aktuellen Film der US-Schauspielerin: Maleficent (seit vergangener Woche in den deutschen Kinos). Urbschat-Mingues ist Nicht-Reaktionen gewöhnt: "Nur am Telefon sind die Leute manchmal irritiert - da haben sie nur die Stimme."

SZ.de: Frau Urbschat-Mingues, was macht Ihre Angelina-Jolie-Stimme aus?

Claudia Urbschat-Mingues: Es schwingt immer eine gewisse Spannung mit. Wenn ich Angelina Jolie höre, habe ich das Gefühl, da ist ein Deckel drauf, aber in ihr brodelt es. Das versuche ich auch als Synchronstimme zu transportieren.

Sie haben eine klassische Schauspielausbildung. Wie kommt es, dass Sie heute hauptsächlich als Synchronsprecherin arbeiten?

Mein erster großer Traum war es, Sängerin zu werden. Aber ich habe eine Insuffizienz der Stimmbänder, meine Stimme ist kaputt. Das hat mich als Jugendliche trotzdem nicht abgehalten, unter anderem in einer Punkband zu singen. Später habe ich mich auf die Schauspielerei verlegt. Weil ich immer viel mit meiner Stimme arbeiten musste, weiß ich heute besonders gut damit umzugehen. Das hat mich fürs Synchronsprechen prädestiniert .

Sie haben aus Ihrer Schwäche eine Stärke gemacht.

So könnte man es sagen, ja. Beim Synchronschauspielern, wie wir sagen, kommt es vor allem darauf an, das Handwerk zu beherrschen: Man muss schnell und exakt sein. Die Hauptrolle für einen 140-Minuten-Film wird schon mal an einem Tag eingesprochen.

Macht die Stimme da nicht schlapp?

Wenn ich vor allem in normaler Zimmerlautstärke sprechen muss, ist es kein Problem. Schwieriger wird es bei vielen Emotionswechseln, vom Lachen ins Weinen ins Schreien. Am anstrengendsten waren bisher Manga-Filme: In Dragon Ball Z habe ich die Bulma synchronisiert. Eine kleine, durchgeknallte, laute Manga-Figur - furchtbar!

Angelina Jolie, Catherine Zeta-Jones, Jennifer Connelly - Sie haben schon viele weibliche Hollywoodstars synchronisiert. Haben Sie persönlich noch eine Wunschschauspielerin?

Cate Blanchett hätte ich gerne mal synchronisiert. Einmal habe ich für sie vorgesprochen, aber das hat leider nicht geklappt. Oder Halle Berry.

Weil sie interessante Stimmen haben?

Weil sie tolle Schauspielerinnen sind. Und dann empfindet man natürlich auch so etwas wie Sympathie oder - vielleicht besser - Verbundenheit. Manche Frauen sind einem von der Persönlichkeit her einfach näher. Einem anderen Menschen seine Stimme zu leihen, ist etwas sehr Intimes.

Ist ein Verbundenheitsgefühl wichtig, um eine Person gut zu sprechen?

Nicht unbedingt. Wenn ich in ein Studio hineingehe, gebe ich meine eigene Persönlichkeit wie eine Jacke an der Tür ab. Ein Synchronstudio ist wie eine Höhle: ein abgeschotteter, dunkler Raum, in dem alle Anwesenden - Regisseur, Toningenieur, Cutter und ich - für die hell erleuchtete Figur auf der Leinwand oder dem Fernseher arbeiten.

Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor?

In der Regel gar nicht. Die meisten Aufträge funktionieren so, dass ich ins Studio komme und inhaltlich noch nichts über den Film weiß. Mir wird kurz erklärt, worum es geht, und dann wird direkt losgelegt, in einem Tempo, das ist Fließbandarbeit. Ich sehe auf der Leinwand jeweils Sequenzen von zehn bis 15 Sekunden und habe dann zwei Minuten Zeit - so lange dauert ein Take üblicherweise -, um die Stelle einzusprechen. Meistens braucht es nicht mehr als drei Versuche, bis die Szene mundgerecht produziert ist. Ich erarbeite mir die Rolle quasi beim Synchronisieren.

Sie sehen den Film nicht einmal komplett in der Originalversion?

Es kommt ganz selten vor, dass ich mir große Kinofilme vorher ansehen darf oder sogar soll. Und das Einsprechen läuft auch nicht immer chronologisch ab. Aber da hilft einem die Schauspielausbildung: Mir reicht es, wenn ich die jeweilige Sequenz einmal vor dem Synchronisieren sehe - und natürlich höre -, um mich in die Rolle und die jeweilige Situation hineinzuversetzen. Ich bin dann komplett in der Figur. Ich muss mich nur darauf verlassen, dass die Schauspielerin es richtig macht, dann mache ich es auch richtig.

Entscheiden Schauspieler mit, wer sie synchronisiert?

Die meisten amerikanischen Schauspieler interessiert es nicht, wer sie im Deutschen synchronisiert. Ich verstehe das: Mich würde es auch wahnsinnig machen, wenn ich mein Gesicht mit einer fremden Stimme hören würde! Es gibt aber Ausnahmen. Bei The Tourist, so wurde mir zugetragen, hat Angelina Jolie explizit gesagt: "Bitte die Gleiche wie beim letzten Mal."

"Ich verfolge nicht, welche meiner Schauspielerinnen einen Preis bekommt"

Sie sprechen Angelina Jolie nicht immer?

Es gibt Filme, in denen ich sie nicht synchronisiert habe. Die Tomb-Raider-Serie, zum Beispiel, hat die Kollegin gemacht, die auch die Computerspiele spricht. Generell kann man sagen, dass Castings die Regel sind. Das hat natürlich den Hintergrund, dass die Stimme perfekt zur jeweiligen Rolle passen soll. Aber die Synchronfirmen wollen auch verhindern, dass sich Synchronsprecher, die schon häufiger dieselbe Schauspielerin oder denselben Schauspieler besetzt haben, in Sicherheit wiegen. Denn dann müssten sie sich ja auch die Preise diktieren lassen. Wobei die Konkurrenz nicht so groß ist wie in der Schauspielerei. Ich habe vielleicht fünf Kolleginnen, die für ähnliche Rollen gebucht werden wie ich.

Was haben Sie gedacht, als Angelina Jolie für Durchgeknallt den Oscar bekommen hat? In der deutschen Version haben Sie ihr Ihre Stimme geliehen.

Ich habe mich sehr für sie gefreut - zumal der Film in den deutschen Kinos nicht gut lief. Aber ich sitze nicht nachts vor dem Fernseher und verfolge, welche meiner Schauspielerinnen einen Preis bekommt. Als Rachel Weisz für Der ewige Gärtner einen Oscar gekriegt hat, musste ich erst mal überlegen: Ach ja, stimmt, den hast du ja synchronisiert! Ich habe den Film bis heute nicht gesehen, weil er mich nicht interessiert hat.

Stört es Sie manchmal, dass viele Menschen Ihre Stimme, aber kaum jemand Ihr Gesicht kennt?

Nein. Angelina Jolie dreht alle zwei Jahre einen Film und steht den Rest der Zeit wegen anderer Dinge in der Öffentlichkeit. Darum beneide ich sie nicht. Ein bisschen schade finde ich es allerdings, dass wir Synchronsprecher nicht mal im Abspann eines Filmes auftauchen. Die Wertschätzung für unseren Beruf fehlt.

Dabei gilt die deutsche Synchronisation als eine der besten der Welt.

Ja, das erklärt sich aus der Geschichte heraus. Nach dem Krieg durfte Deutschland im Zuge der Entnazifizierung keine eigenen Filme produzieren. Die Siegermächte, vor allem die USA, haben ihre Kulturgüter importiert. In Westberlin wurde von den Amerikanern dann auch das erste Synchronstudio, die BSG (Berliner Synchron AG), gebaut. Die Russen sind später in Ostberlin nachgezogen, die Engländer waren in Hamburg, und in Köln werden bis heute viele französische Filme synchronisiert. Das Synchronhandwerk hat hierzulande eine lange Tradition und wird entsprechend professionell betrieben. Gleichzeitig trauen wir uns aber kaum, wie in anderen Ländern stimmlich eine eigene Färbung reinzubringen - Dialekte sind tabu.

Viele Menschen finden es furchtbar, die eigene Stimme auf Band zu hören. Was denken Sie, wenn Sie sich selbst hören?

Bevor ich mit dem Synchronisieren angefangen habe, fand ich es auch befremdlich. Heute ist es mir nur noch selten unangenehm. Jetzt zum Beispiel, in der Interview-Situation, wenn ich mich als Person gut präsentieren will. Da denke ich schon mal: Du könntest ein bisschen freundlicher klingen. Beruflich entwickelt man mit der Zeit eine totale Distanz. Ich höre mich gar nicht mehr selber, ich achte nur noch darauf, ob meine Stimme zur Figur auf der Leinwand passt. Man sagt: Wenn die Sprecherin fünf Jahre älter ist als die Schauspielerin, ist es ideal. Mehr als zehn Jahre würde man nicht machen, weil das Denken dann zu unterschiedlich ist.

Das hat Auswirkungen auf die Stimme?

Ja. Ein jüngerer Mensch spricht in der Regel ein bisschen höher und aufgeregter als ein älterer, reiferer. Ich müsste mich zu sehr verstellen, um beispielsweise Scarlett Johansson zu synchronisieren.

Gucken Sie Filme privat lieber in der Originalversion oder auf Deutsch?

Wenn es irgendwie geht, schaue ich sie mir im Original an. Auf Deutsch kann ich ausländische Filme nicht genießen, weil ich ja alle Kollegen kenne. Wenn ich einen synchronisierten Film mit George Clooney gucke, würde ich die ganze Zeit denken: Ach, das ist doch der Detlef (Bierstedt, Anm. d. Red.)!

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