Studium und Beruf:Die Softskills-Verordnung

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Vom Fehlermanagement bis zur Tisch-Etikette: Was an deutschen Hochschulen bald zum Pflichtstudium gehört.

Nicola Holzapfel

Teamfähig und durchsetzungsstark sollen sie sein, mit Souveränität und Eigeninitiative überzeugen: Die Erwartungen der Arbeitgeber an ihre Bewerber gehen weit über das Fachliche hinaus. Schlüsselkompetenz ist bei den Unternehmen gefragt. Für viele Hochschulabsolventen ist das ein Problem: Sie haben nie gelernt, so zu sein wie die Arbeitswelt sie sich wünscht.

Studiert + schlüsselkompetent = gefragt. Die Hochschulen arbeiten an einem neuen Absolventen-Typus. (Foto: Foto: dpa)

In vielen Fächern studiert es sich schön weit abgehoben vom wahren Leben. Wer nicht will, braucht sich nicht damit auseinander zu setzen, was ihn nach dem Studium erwartet. Bis es zu spät ist.

Die Studenten sind sich dieses Mankos wohl bewusst. Seit Jahren wünschen sie sich, dass die Hochschulen etwas dafür tun, ihnen den Berufseinstieg zu erleichtern. An den Universitäten fordert jeder Zweite mehr Praxisbezug. 39 Prozent würden gerne ihre Arbeitsmarktchancen verbessern, an den Fachhochschulen sind das sogar 48 Prozent. Das fand die Uni Konstanz in einer bundesweiten Umfrage heraus.

"Je früher die Studierenden damit anfangen, desto besser. Schlüsselqualifikationen kann man ja auch an der Uni verwerten", sagt Dieter Scheidemandel vom gemeinnützigen Meyer-Camberg-Institut, das seit mehr als zehn Jahren die Softskills von Studierenden trainiert. Wahre Dankeshymnen erhalten die Dozenten dafür. Die schlüsselqualifizierten Teilnehmer schreiben Mails mit Sätzen wie "Das hat mir für mein Leben unheimlich viel gebracht", "Das war sehr lehrreich", "Es ist toll, so wichtige Kompetenzen zu erlernen."

Mehr als nützlich

Mit solchen Lobesbekundungen könnten auch bald die Hochschulen überschüttet werden. Denn bei der derzeitigen Umstellung der Studiengänge auf das angelsächsische System Bachelor und Master spielen auch die Softkskills eine Rolle. Damit die Absolventen eines dreijährigen Bachelor-Studiums bei den Unternehmen ankommen, sollen sie fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden. "Berufsbefähigung" nennt sich das im schönsten Hochschulreform-Deutsch. Unter diesem Stichwort werden die Hochschulen verpflichtet, ihren Studenten Schlüsselqualifikationen zu vermitteln.

Nur das "Wie" bleibt ihnen überlassen und die Definition, was sie unter Schlüsselqualifikationen überhaupt verstehen. Geht es nur um Aufstiegs-Eigenschaften wie Kommunikationsstärke und Führungsgeschick oder auch darum, den eigenen Horizont zu erweitern? Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft hat hier mit einem Wettbewerb Position bezogen: Unter dem Motto "Wer bildet die besten Generalisten aus?" wurden Hochschulen aufgefordert, ihre Programme zur Vermittlung von Schlüsselqualifikationen einzureichen. 93 Anträge sind eingegangen, weit mehr als erwartet.

"Viele Hochschulen stellen inzwischen stark auf berufspraktische Fähigkeiten ab. Aber das Studium sollte nicht nur die Zeit sein, in der man möglichst schnell in einem Fach zum Abschluss kommt. Es ist auch die Zeit, sich im humanistischen Sinne umfassend zu bilden. Richtig gute Absolventen haben auch über den Tellerrand geschaut und nicht nur nach Nützlichkeit studiert", sagt Bettina Jorzik vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft.

Die Studierenden der Universität der Bundeswehr in München werden zum Generalistentum regelrecht verpflichtet. Die Hochschule hat zusammen mit der Ruhr-Universität Bochum, der International University Bremen und der Universität Witten-Herdecke den Wettbewerb des Stifterverbands gewonnen.

Die Kurs-Angebote des hochschuleigenen Instituts "studium plus" der Bundeswehr-Uni tragen so unterschiedliche Titel wie "Soldat in Literatur und Film", "Fehlermanagement" und "Technikkritik und -akzeptanz". "Ich will die Studierenden zum Denken anregen. Sie sollen Manches in Frage stellen, das sie vorher als Sicherheit in sich trugen", sagt Stephan Lindner, Leiter des studium-plus-Instituts. Die Veranstaltungen gehören zum Pflichtstudium. "Sie müssen so etwas bewerten, damit es angenommen wird", sagt Lindner. Am Ende machen die Kurs-Leistungen sieben Prozent der Abschlussnote aus.

Nicht alle Hochschulen verpflichten ihre Studierenden zum Softskill. Der organisatorische Aufwand dafür ist bei Massen-Unis enorm. Die Müncher Bundeswehrhochschule wird nun einen Teil des gewonnenen Geldes dafür verwenden, ein Konzept zu entwickeln wie das "studium plus" für größere Hochschulen umgesetzt werden kann.

Freie Wahl

Auch eine andere Münchner Hochschule, die Technische Universität (TU), arbeitet an einem Modell-Projekt. Gemeinsam mit der TU Darmstadt und der TU Karlsruhe entwickelt sie Empfehlungen wie die Technischen Hochschulen ihren Studierenden Schlüsselqualifikationen vermitteln können.

An der TU München gibt es dafür die Carl von Linde-Akademie. Hier wird bewusst auf Freiwilligkeit gesetzt. "Wir wollen durch Qualität überzeugen", sagt Akademie-Leiter Peter Gritzmann. Auch die TU-Studierenden sollen über den Tellerrand schauen können. In den Veranstaltungen geht es um Kommunikation und Ethik, Wertewandel und kulturelle Kompetenz. Es gibt Workshops zu Teamwork und Projektmanagement, aber auch Kunst-Vorlesungen (Das romantische Musiktheater) und Seminare in "Lebensart", wozu Tischkultur, Umgangsformen und Stilberatung gehören.

"Die Nachfrage bei den Studierenden ist groß. Manche Veranstaltungen sind mehrfach überbucht", sagt Gritzmann. Etwa 2000 Studierende pro Semester erreicht die TU, die insgesamt 20.000 Studenten zählt, mit ihrem Angebot.

Vom Erfolgs-Coaching bis zur Etikette: Die Programme der Hochschulen zu Schlüsselqualifikationen sind mitunter bunt wie ein Frühlingsstrauß. "Manche Hochschulen bieten sogar orientalischen Bauchtanz an", sagt Stephan Lindner von der Münchner Bundeswehr-Uni. Er überlegt gerade, das studium plus auszubauen: "Wir wurden vom Stifterverband gefragt, ob wir auch etwas Künstlerisches anbieten. Warum eigentlich nicht?" Also werden seine Studierenden demnächst vielleicht auch im Chor singen und außerdem Fremdsprachen lernen können.

Während die Hochschulen um den besten Weg zum schlüsselkompetenten Absolventen rangeln, hat Dieter Scheidemandel vom Meyer-Camberg-Institut die Erfahrung gemacht, dass viele Arbeitgeber zwar fordern, aber nicht fördern: "Die Wirtschaft jammert, dass die Hochschulen die Absolventen nicht fit für den Beruf machen, aber sie sind nicht wirklich bereit, sie dabei zu unterstützen."

Dabei nützt der ganze Aufwand ja nicht nur der Persönlichkeits-Entwicklung, sondern am Ende auch den Unternehmen. "Die Wirtschaft braucht keine Ja-Sager, sondern Führungskräfte, die nachdenken und auch mal widersprechen", sagt Lindner.

Und wer könnte etwas dagegen haben, wenn sie dann auch noch singen und tanzen können?

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