Studium:So gelingt das Studium mit Kind

Studium: Studieren mit Kind kann ein Kampf an vielen Fronten sein.

Studieren mit Kind kann ein Kampf an vielen Fronten sein.

  • Laut 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks sind etwa fünf Prozent der Studierenden in Deutschland Eltern.
  • Studieren mit Nachwuchs ist für sie zwar möglich, bedeutet aber eine Menge Planungsaufwand. Manche Unis helfen dabei.

Von Christiane Bertelsmann

Nach gerade mal drei, vier Stunden Schlaf um sechs Uhr aufstehen, das Baby versorgen, selbst schnell frühstücken, dann zum Praktikum. Zehn vor zehn wieder zurück nach Hause, Baby stillen, E-Mails lesen, Woche strukturieren, Kinderarzt anrufen und wieder los zur Exkursion in die Stadt - so oder so ähnlich taktet Anneke Steenfatt ihre Tage durch bis zum Abend.

Anders funktioniert es kaum: Die 23-Jährige studiert an der Uni Kiel im Bachelorstudiengang Deutsch und Geschichte und hat eine sieben Monate alte Tochter. Ihr Studium läuft auch mit Kind. Das geht nur, weil sie gut organisiert ist und viel Energie hat: neben Studium, Kind und viereinhalb Stunden pro Woche Arbeit als studentische Hilfskraft näht sie Kleider für sich und Tochter Elisa, fährt mit ihr zum Babyschwimmen und schreibt regelmäßig einen Blog über ihren Alltag als studierende Mutter (www.eenemeenemama.blogspot.de). "Ich brauche das. Durch das Schreiben verarbeite ich besser, was ich erlebe", sagt Anneke Steenfatt. Und das Feedback, das sie im Netz bekommt, fügt sie hinzu, gibt ihr das Gefühl, nicht so allein zu sein, zu wissen, dass andere Studierende ebenfalls das Wagnis eingehen, während ihres Studiums Eltern zu werden.

Ist das wirklich ein Wagnis? "Studierende Eltern gab es schon immer", sagt Wilfried Schumann. Er ist seit mehr als 30 Jahren Psychologe und leitet den gemeinsamen Psychologischen Beratungsservice von Universität und Studentenwerk Oldenburg. Bundesweit sind nach Angaben der 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks etwa fünf Prozent der Studierenden Eltern. "Es ist eigentlich gar nicht schlecht, während des Studiums Kinder zu bekommen", findet Schumann, "diese Zeit bietet im Prinzip genügend Freiräume, um das gut zu organisieren." Auf alle Fälle sei der Zeitpunkt besser als zu Beginn oder während der Berufstätigkeit.

"Wir wollten beide früh Kinder und haben das genau durchkalkuliert und geplant", sagt Jan Scholz. Der Münchner, der an der Uni Köln Lehramt Bio und Chemie studiert, und seine Frau Alice, Sportstudentin, haben zwei Söhne. Felix ist drei, sein Bruder Linus knapp zwei Jahre alt. "Klar muss man Abstriche machen, Freizeit ist komplett gestrichen", gesteht Scholz ein. "Die erste Zeit war sehr anstrengend."

Seine Frau hat - wie er selbst auch - kein Urlaubssemester genommen - sonst hätte sie auf das Bafög verzichten müssen. "Ich bin immer mit Felix mit zu den Vorlesungen", sagt der junge Vater. "Wenn Alices Vorlesung fertig war, konnte sie gleich danach den Kleinen im Familienzimmer stillen." Manche Hochschulen bieten solche kindgerecht ausgestatteten Räume an. An der Deutschen Sporthochschule Köln, an der Alice Scholz studiert, gibt es außerdem ein Familienservicebüro, das Eltern berät. Dieses Büro hilft auch dabei, Babysitter zu finden. Solche Einrichtungen gibt es aber nicht an allen Hochschulen.

Inzwischen sind beide Jungs im Kindergarten. Die Eltern haben mithilfe des Familienservicebüros ihre Stundenpläne so aufeinander abgestimmt, dass sie sich nachmittags bei der Betreuung abwechseln können. Bei Jan Scholz, der sein Masterstudium begonnen hat, gestaltete sich das nicht so einfach: "Weil im Master weniger Kurse zur Verfügung stehen, auf die man ausweichen konnte, war das eine ganz schöne Puzzle-Arbeit", sagt Scholz.

Eltern neigen dazu, sich selbst zu kritisieren

Auch Anneke Steenfatt hat kein Urlaubssemester beantragt. Bereits vier Wochen nach der Geburt von Elisa saß sie wieder im Hörsaal, kurz darauf trat sie wieder ihren Job als studentische Hilfskraft an. "Ich bekomme ein Stipendium, das wäre sonst weg gewesen", sagt sie. Mit ihrem Freund David, dem Vater von Elisa, teilte sie sich die Betreuungszeit, manchmal nimmt sie Elisa mit in die Vorlesung.

Das geht meistens gut. Dennoch hat sie die Erfahrung gemacht, dass nicht alle Dozenten verständnisvoll auf Studierende reagieren, die Eltern sind oder werden wollen. "Als ich schwanger war, musste ich wegen Kreislaufproblemen eine Vorlesung früher verlassen. Weil ich dann natürlich nicht mehr auf der zweiten Anwesenheitsliste unterschreiben konnte, die zum Schluss herumging, wurde mir die Vorlesung nicht angerechnet." Sie hatte sich zwar beim Professor entschuldigt, doch der meinte, sie müsse ein Attest bringen. Noch ein Beispiel: Nach Elisas Geburt bat sie eine Dozentin um Verlängerung für die Abgabe einer Hausarbeit. Doch die zeigte sich wenig kulant: "Drei Tage, mehr nicht."

Durch die Umstellung auf Bachelor und Master im Zuge der Bologna-Reform habe sich die Lage für studierende Eltern erheblich verschlechtert, ist das Fazit des Psychologen Wilfried Schumann: "Weniger Freiheit, mehr Tempo. Das Hauptproblem für Studierende mit Kind ist die Anwesenheitspflicht. Manche Module werden nur einmal im Jahr angeboten - wenn dann das Kind krank ist, geraten Eltern ins Hintertreffen." In der Beratung erlebt er, wie Studierende mit Kindern unter dem gestiegenen Druck leiden: "Sie vergleichen sich mit anderen, die sich uneingeschränkt auf das Studium konzentrieren können und flott und ehrgeizig voranstreben. Weil sie versuchen, bei deren Tempo mitzuhalten, kommen sie in die Bredouille. Dabei sehen Eltern nicht, welche Höchstleistungen sie angesichts ihrer Mehrfachbelastung erbringen", sagt er. Der Psychologe versucht dann, die Betroffenen dazu zu bringen, sich nicht als defizitär zu betrachten, sondern zu akzeptieren, dass sie in einer Sondersituation sind: "Ich habe Hochachtung vor studierenden Eltern. Die ersten Lebensjahre eines Kinders fordern sehr stark, in dieser Zeit kann man nicht normal studieren und darf sich das in keinem Fall ankreiden", betont er.

Auch Anneke Stenfatt kennt solche Momente des Zweifelns und Sich-Überfordert-Fühlens. Über ihre erste Hausarbeit, die sie nach Elisas Geburt abgegeben hat, schreibt sie in ihrem Blog, wie enttäuscht sie über die Note war - eine 3,0: "In meinem Kopf schraubte sich gleich eine Spirale auf: So schlecht war ich lange nicht. Wie wirkt sich das auf meine Bachelor-Gesamtnote aus? Was passiert mit meinem Stipendium, wenn ich jetzt in allen Arbeiten solche Noten einfange?"

Im kommenden Semester wird sie zusammen mit ihrem Freund nach Potsdam ziehen, ihre Bachelor-Arbeit schreiben und ein Masterstudium draufsetzen. Ein zweites Kind will sie auf alle Fälle.

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