Studium in China:Wegen der Freiheit nach Peking

Chinas Universitäten gelten nicht als Hort der Meinungsfreiheit, doch der Sohn eines bekannten Schriftstellers sieht das anders. Der junge Taiwanese studiert in China - weil es ihm zu Hause "zu eng" ist. Die Aufregung ist groß.

Henrik Bork

Li Kan stammt aus Taiwan, aber er studiert lieber in der Volksrepublik China. Daheim sei es ihm "zu eng" geworden, hat der 18-Jährige gerade erklärt. Und weil Li Kan der Sohn des bekannten taiwanesischen Schriftstellers Li Ao ist, hat seine Wahl des Studienortes nun einigen Staub aufgewirbelt. Fotografen und Reporter liefen neben ihm her, als er sich vor einigen Tagen an der Pekinger Universität einschrieb. Zeitungen in Taiwan und in der Volksrepublik berichteten, und Chinas berühmter Blogger Han Han lieferte sich bereits das erste Wortgefecht mit dem Jüngling.

Studium in China: Studenten bei der Einschreibung in Peking. Chinas Universitäten gelten nicht als Hort der Meinungsfreiheit - ausgerechnet ein Taiwanese sieht das anders.

Studenten bei der Einschreibung in Peking. Chinas Universitäten gelten nicht als Hort der Meinungsfreiheit - ausgerechnet ein Taiwanese sieht das anders.

(Foto: AFP)

Aufregung lösten vor allem die sehr politischen Gründe aus, die Li Kan für seinen Umzug nach Peking anführt. Das Erziehungswesen in Taiwan sei zu "repressiv", sagt er in Interviews. Das Bildungssystem bedenkt er auch mit dem unfeinen Wort "Hundescheiße", demselben Kraftwort, mit dem er auch die Befürworter einer eventuellen und offiziellen Unabhängigkeit Taiwans würdigt. Sich selbst bezeichnet er als Patrioten und Taiwan als Teil des chinesischen Heimatlandes. Vor allem aber habe er die Nase voll von den politisch manipulierten Schulbüchern in Taiwan, erklärt Li Kan.

Über die Schulbücher in Taiwan hat er noch als 17-Jähriger ein Buch geschrieben, dessen Titel sich ungefähr mit "Li Kans Notizen über die Niederschlagung von Rebellionen" übersetzten lässt (Li Kan Kan Luanji). Darin geißelt er den jahrelangen Versuch der taiwanesischen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), durch gezielte Manipulationen in den Geschichtsbüchern für Mittelschüler in Taiwan ihr Programm einer allmählichen, endgültigen Ablösung der Inselrepublik vom Festland voranzutreiben.

"Dumm und unbedarft"?

Die DPP hatte, bevor sie im März 2008 die Präsidentschaftswahlen gegen die Kuomintang-Partei und deren Kandidaten Ma Ying Jeou verlor, tatsächlich auch durch Umschreiben der Schulbücher versucht, die Unabhängigkeit der Inselrepublik voranzubringen. So genehmigte das Erziehungsministerium zu Zeiten der DPP die Entfernung des Ehrentitels "Vater der Nation" für den chinesischen Republikgründer Sun Yat Sen. Ma selbst hatte die zahlreichen Manipulationen während seines Wahlkampfs kritisiert. Die Kontroverse dauert in Taiwan bis heute an. "Gehirnwäsche" der Schüler sei das gewesen, sagt nun der 18-jährige Li Kan.

Dass da aber einer nahelegt, in Taiwans Schulen und Hochschulen herrsche eine repressive, die Meinungsfreiheit einschränkende Atmosphäre und dann ausgerechnet in die kommunistisch regierte Volksrepublik China flieht, ruft auch Widerspruch hervor. Vor allem kritische Journalisten auf dem Festland bezeichnen Li Kan als "dumm und unbedarft". Einer schreibt, nach ein paar Jahren Studium an der Peking-Universität werde der junge Mann bestimmt ein neues Buch über die "Unterdrückung von Rebellionen" schreiben, diesmal über das Erziehungswesen auf dem Festland.

Einige der Interviews, die Li Kan Reportern chinesischer Medien gegeben hat, haben daher hohen Unterhaltungswert. Der junge Taiwanese, der immerhin in einer Demokratie aufgewachsen ist, verteidigt darin die Peking-Uni. Und die chinesischen Reporter, die täglich gegen die Zensur daheim kämpfen, machen sich offen über ihn lustig. "Falls Sie herausfinden, dass der Geist an der Peking-Universität anders ist, als Sie erwartet haben, falls Sie enttäuscht werden, was werden Sie dann tun?", fragte etwa ein Journalist des Südlichen Wochenendes. Li Kan gab eine ausweichende Antwort. Er spreche von Meinungsfreiheit, bohrte der Reporter vom Festland nach. "Viele Leute hier denken, dass Sie nicht viel vom Festland verstehen", sagte er dem zunehmend irritierten und ärgerlichen Li Kan.

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