Studium im Ausland:Warum Finnland ein idealer Ort zum Studieren ist

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Finnland ist ein nordischer Exot mit endlosen Wäldern und einer komplizierten Sprache, dessen Bewohner Beeren sammeln und freundlich aber schwermütig sind? Von wegen! Unter nichtfinnischen Studenten gilt das Land als Geheimtipp. Denn es bietet einige Vorteile.

Viola Schenz

Studieren im Ausland? Den Traditionalisten fallen da die USA ein oder Großbritannien, Studenten mit großem Fernweh bevorzugen Neuseeland oder Australien, Erasmus-Kandidaten setzen auf die europäischen Nachbarländer, Wagemutige versuchen es mit China, und wer es mit Fremdsprachen nicht so hat, den zieht es nach Österreich. Finnland? Das fällt einem, zugegeben, auf Anhieb nicht ein. Finnland, das ist doch dieser nordische Exot mit der komplizierten Sprache, den endlosen Wäldern und Mooren, wo die wenigen Bewohner Pilze und Beeren sammeln, unaussprechliche Namen haben, freundlich sind, aber auch schwermütig, wo sie vor langen, dunklen Wintern und mückenreichen, kurzen Sommern in Saunen fliehen und schräge Filme, Bücher und Kompositionen ersinnen. "Niemand ist so verzweifelt, dass er nach Finnland kommen will", meinte der finnische Regisseur Aki Kaurismäki kürzlich bei der Premiere seines jüngsten Films "Le Havre" auf die Frage, warum der Film nicht in seiner Heimat spiele.

Finnlands Hauptstadt Helsinki im Winter: Das Land hat aber weit mehr zu bieten als Schnee und Eis, besonders für ausländische Studenten. (Foto: DDP)

Stimmt alles, und auch wieder nicht. Ja, die Winter sind lang, dunkel und kalt und ja, Finnisch mit seinen 15 Fällen und seiner undurchschaubaren Grammatik ist schwierig. Und doch kursiert das kleine Land als Geheimtipp unter nichtfinnischen Studenten - denn es verstecken sich dort so einige Vorteile.

Um die ausfindig zu machen, kann man am zentralen Hauptbahnhof von Helsinki die Tram Nummer 6 besteigen und eine halbe Stunde gen Nordosten fahren, zur Aalto-Universität, benannt nach dem Vorzeige-Designer und -Architekten Alvar Aalto, untergebracht zum Teil im ehemaligen Fabrikgebäude der Keramikmanufaktur Arabia. Die Uni gibt es noch nicht lange, am 1. Januar 2010 wurde sie gegründet, durch eine Fusion der Technischen Universität, der Handelshochschule und der Hochschule für Kunst und Design von Helsinki - Disziplinen, die erst mal nicht zusammenpassen wollen. Aber die pragmatisch denkenden Finnen haben ihre Vermischung gleich mal zur Tugend und zum Motto gemacht: "Bildung sollte Möglichkeiten kreieren, nicht vorhandene Wege weisen", meint Aalto-Präsidentin Tuula Teeri. "Niemand ist ausschließlich ein Mathematiker, Künstler, Designer, Projektmanager oder Ingenieur."

19 500 Studenten hat Aalto, nur acht Prozent sind ausländisch. Anja-Lisa Hirscher studiert hier seit eineinhalb Jahren "Creative Sustainability". Die 25 Jahre alte Ravensburgerin hatte davor im österreichischen Dornbirn Graphikdesign belegt, wollte ihr Fach dann erweitern. Aber ein vergleichbares interdisziplinäres Studium werde in Deutschland nicht angeboten, sagt Hirscher, die auf "Frau Hirscher" etwas irritiert reagiert - wir sind in Finnland, da redet man sich automatisch mit Vornamen an. Der zweijährige Master in Helsinki befasse sich mit Produktdesign, mit Materialien, mit Einfluss auf Konsumenten, mit neuen Ansätzen in der Architektur. "Diese Vielfalt ist das, was ich gesucht habe", sagt sie.

Thomas Abrell, ebenfalls 25, kann das bestätigen. Der Konstanzer macht seinen Master in "International Design Business Management" an der Technischen Universität von Aalto. In Deutschland hatte er schon für technische Firmen gearbeitet, "da kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Ingenieuren, Designern und Betriebswirten". Er habe sich umgesehen nach einem Masterprogramm, das "auf interdisziplinäre Teamarbeit setzt und auf Innovationen aus verschiedenen Blickwinkeln". Aber es gab nur das Programm in Helsinki, es ist "sehr praxisnah", lobt Thomas, in der angeschlossenen Design Factory im Vorort Espoo könne man seine Entwürfe "gleich realisieren". "Finnisches Design kommt immer gut an", sagt er. "Es ähnelt sehr dem finnischen Charakter: aufrichtig, unverschnörkelt, aufs Wesentliche reduziert."

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Es ist nicht egal, wo man geboren wird: Manche Ländern machen ihren Bewohnern das Leben besonders angenehm. Besonders erfolgreich dabei ist Finnland. Aber auch Ländern wie Albanien, die Ukraine oder Ghana leisten viel.

Finnland ist für Gestalter das Paradies. Finnisches Design genießt seit den 1930er Jahren wegen seiner schlichten, funktionalen Eleganz Weltruf. Der Alltag der Finnen ist längst durchdesignt, selbst die Zahnstocher im Lunchpaket der Fluggesellschaft Finnair sind edel-funktional gestaltet. Helsinkis Innenstadt hat sogar einen "Design-Distrikt" - mit eigenem Stadtplan. Er erstreckt sich über 25 Straßen mit 190 Läden, Galerien, Bars und Hotels. "Allein der Name Aalto setzt im Ausland Maßstäbe", sagt Thomas, etwa für die Kölner Schule für Design oder das Hasso-Plattner-Institut Potsdam.

Eine internationale Ausrichtung und Englisch als Unterrichtssprache sind in Finnland selbstverständlich. Als kleines Land mit Randlage ist es auf globale Vernetzung angewiesen, Studenten aus dem Ausland sind daher besonders willkommen. Anja-Lisa hat anfangs einen Sprachkurs belegt. "Aber im Studium braucht man kein Finnisch, nur ganz wenige Kurse werden auf Finnisch angeboten", sagt sie, und Thomas bestätigt: "Hier in Helsinki spricht jeder Englisch, von der Supermarktkassiererin bis zum Professor. Auf dem Land ist Finnisch ganz praktisch. Ich spreche es nur, weil ich die Kultur kennenlernen will."

Der lange Winter? Kein Problem

Und die langen Winter? "Ich bin ein Naturmensch, und man ist hier sofort in der Natur", sagt Anja-Lisa, "ich liebe Schnee, und die Kälte stört mich nicht." Thomas sitzt neben ihr und nickt: "Mein Studium nimmt so viel Zeit in Anspruch, da macht das nichts. Helsinki ist kleiner als andere Hauptstädte, aber alles passiert hier, man hat eine große Auswahl an kulturellen Möglichkeiten."

Zum Beispiel im jüngsten Stolz des Landes, in der "Musiikkitalo", der neuen Musikhalle Helsinki, die Ende August feierlich eröffnet wurde. Der 188 Millionen Euro teure - und damit vergleichsweise günstige -, 20 Jahre lang diskutierte und geplante Glasbau in einer der teuersten Lagen des Landes, an der Prachtstraße Mannerheimintie gegenüber dem wuchtigen Parlament, beherbergt mehrere Konzertsäle, die Helsinkier Philharmonie und das Finnische Radio-Sinfonieorchester. Auch die Sibelius-Akademie, die angesehene Musikhochschule Finnlands mit ihren 1500 Studenten (davon zehn Prozent aus dem Ausland) und 400 Dozenten, ist hierher umgezogen.

Gleich nebenan, im Café des Kiasma, des Museums für Gegenwartskunst mit seiner kühnen Architektur, sind wir mit Matthias Funke verabredet. Der Zufall will es, dass auch er 25 Jahre alt ist. Mit seiner Bratsche auf dem Rücken kommt er angeradelt. Funke stammt aus einer Musiker-Familie, sein Vater Christian ist Erster Konzertmeister im Gewandhaus Leipzig, der Sohn hat dort sein Diplom als Orchestermusiker gemacht. An der Sibelius-Akademie hat er sich für einen Masterstudiengang eingeschrieben. "Das Studium ist hier besser organisiert als in Leipzig", findet Funke und: "Den Studenten wird ein großes Vertrauen entgegengebracht." So seien die Übungsräume stets offen, "in Deutschland muss man immer beim Pförtner um den Schlüssel kämpfen".

Die Finnen hätten Respekt voreinander und vor fremdem Eigentum, "und das funktioniert auch immer". Ein Wermutstropfen: das teure Leben. Für ein Kneipen-Bier zahlt man 7,50 Euro, und Matthias muss für die 25 Quadratmeter Wohnfläche, die er sich mit seiner finnischen Freundin teilt, 580 Euro hinblättern, immerhin warm. Ihn unterstützt ein Stipendium des DAAD, ebenso wie Thomas. Anja-Lisa lebt unter anderem von Auslands-Bafög. Aber keiner jammert über Geldsorgen. "Hier wird unglaublich viel für Bildung und Kultur getan", sagt Matthias, "das gleicht vieles aus." Dann findet er endlich Zeit, in sein Käse-Tomaten-Croissant für 6,50 Euro zu beißen.

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Zum 16. Mal trugen in Finnland Männer aus zehn Nationen ihre Frauen um die Wette. Schon zum dritten Mal ging der WM-Titel an ein Team aus dem Gastgeberland: an einen Rechtsanwalt und - kopfüber - seine Partnerin.

Wie wichtig den Finnen Bildung und Kultur sind, zeigt sich etwa in der Lage der Universität Helsinki am zentralen Senatsplatz, dem riesigen Vorzeigeplatz der Stadt, um den sich auch Dom, Regierungspalais, Rathaus oder das imposante Ständehaus gruppieren. Es zeigt sich in den mehr als 50 Theatern, 25 Orchestern oder 130 Museen, die das kleine Land mit seinen 5,3 Millionen Einwohnern staatlich fördert. Oder alljährlich in den herausragenden Ergebnissen in den Pisa-Tests. Delegationen von Bildungsexperten anderer Länder reisen seit Jahren hierher, um herauszufinden, was die Finnen anders und besser machen.

Für Tuula Haatainen, die ehemalige Bildungsministerin des Landes und jetzt als Bürgermeisterin von Helsinki zuständig für Bildung und Kultur, beantwortet sich diese Frage ganz einfach: "Wir halten Kultur für einen grundsätzlichen Service, den die Leute brauchen." So muss niemand Studiengebühren zahlen, nur außereuropäische Studenten. "Vor 100 Jahren noch waren wir ein armes, agrarisch geprägtes Land. Die Leute wussten und wissen, dass nur durch Bildung Fortschritt möglich ist. Außer Holz und ein paar Metallen haben wir keine Ressourcen", sagt sie in fließendem, akzentfreien Englisch.

Überall Frauen in Führungspositionen

Haatainen war Krankenschwester, bevor sie noch einmal an eine Hochschule und dann in die Politik ging. Auch so ein Vorteil des finnischen Bildungssystems: Der Wechsel in die akademische Laufbahn ist jederzeit - nach entsprechender Eingangsprüfung - möglich. Die elegant gekleidete schlanke Blonde mit der kräftigen Stimme ist eine dieser Finninnen in leitender Position, wie man sie alle fünf Minuten bei einem Besuch in Helsinki trifft: freundlich und offen, direkt und auf den Punkt kommend, kritisch, aber zugleich respektvoll und höflich. Und vor allem selbstbewusst, ohne das irgendwie betonen zu müssen.

Frauen führen hier überall und selbstverständlich, und das brauchen die Finnen nicht weiter zu bekräftigen oder zu debattieren. In dem Land, das 1906 als erstes weltweit das Frauenwahlrecht eingeführt hat, hält man sich nicht mehr mit Geschlechterdebatten auf. Die sind längst relevanten Sachfragen gewichen.

Die Fortschrittlichkeit Finnlands begeistert auch Ilona Steiler. Nach dem Besuch einer Summer School in Helsinki entschloss sich die Politik-Studentin, dieses Wintersemester für ihre Promotion an die Universität Helsinki zu wechseln. "Es gibt hier nicht die strengen Hierarchien wie an den deutschen Unis", sagt die 30-Jährige. "Studenten und Professoren reden sich mit Vornamen an, in den Veranstaltungen sitzt man grundsätzlich im Kreis. Das schafft gleich eine ganz andere Atmosphäre, als wenn vorne eine Person einsam doziert." Überhaupt werde viel offener diskutiert als in Deutschland, wo oft "orthodoxe Ansichten und politische Korrektheit herrschen". Das liege auch daran, dass die Kursteilnehmer sowohl aus der Praxis als auch aus dem Akademischen kämen. "In einem meiner Kurse sitzen ein Student aus Afrika, ein Rechtsanwalt aus Indien und ein Wissenschaftler aus China." So viele unterschiedliche Perspektiven seien ihr an der Universität Regensburg, wo sie bisher gelernt und gelehrt hatte, nicht begegnet. Und: "Obwohl es keine Studiengebühren gibt, sind die Hochschulen optimal ausgestattet."

Ach ja, wegen des langen Winters mache auch sie sich keine Sorgen: "Wenn es zu düster wird, flüchte ich in die Sauna."

© SZ vom 10.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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