Studium für Handwerker:Hörsaal statt Werkstatt

Studium nach der Arbeit:In einem bayernweit einzigartigen Angebot können Handwerker "Unternehmensführung" studieren. Gelehrt werden vor allem betriebswirtschaftliche Themen - speziell für den Mittelstand.

Stephanie Kundinger

Run auf Hochschulen

Zwar sind die Hörsäle der FH München nicht bis zum letzten Platz gefüllt - aber das Interesse am Studiengang "Unternehmensführung" ist groß.

(Foto: dpa)

Sebastian Jahreiß blickt aus dem Fenster. Es ist schon dunkel über dem Campus der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München (FH). Jahreiß holt seinen Schreibblock und einen Stift aus der Tasche, der Seminarraum wird voll, gut 30 Männer und drei Frauen nehmen an den weißen Tischen Platz. Während viele Studenten draußen ihre Winterjacken zuknöpfen und das Gelände verlassen, fängt für Jahreiß der Unterricht erst an: Um 18 Uhr an diesem Montagabend beginnt normalerweise der Mathe-Aufbaukurs, heute wird er für einen Gastvortrag nach hinten verschoben.

Jahreiß blickt auf die Uhr und schätzt, dass die Vorlesungen gegen halb neun vorbei sein dürften. Dann geht sein Arbeitstag zu Ende - gut zwölf Stunden nachdem er ihn in seiner Kfz-Werkstatt in Germering begonnen hat. "Es ist wirklich stressig, die Freizeit bleibt zurzeit auf der Strecke", sagt der 24-Jährige. Dann grinst er: "Aber ich bin ausgeglichener als vorher, ich will ja weiterkommen."

Sebastian Jahreiß und 39 Kommilitonen studieren nach Feierabend in ihrer Freizeit. Sie sind Teil eines einmaligen Pilotprojekts in Bayern, denn sie haben sich für den Studiengang "Unternehmensführung" an der Münchner FH eingeschrieben. Er wird dort erstmals seit Oktober angeboten, in Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Das erste Semester haben die Studenten schon fast hinter sich: Im Januar schreiben sie die Prüfungen. Nicht alle haben Abitur, dafür sind sie voll berufstätig - die wichtigste Voraussetzung für die Zulassung. Und noch etwas haben alle gemeinsam: Sie arbeiten im Handwerk.

Den Gastvortrag an diesem Montagabend hält Heinrich Traublinger, Präsident der Handwerkskammer. Ihm war es wichtig, einen maßgeschneiderten Studiengang für Handwerker einzuführen: "Wir sind der Auffassung, dass die normalen BWL-Studiengänge nicht optimal zu den Betriebsgrößen im Handwerk passen." Ein Großunternehmen werde eben anders geführt als ein Mittelstandsbetrieb, da der Kleinunternehmer hauptsächlich eigenverantwortlich handelt. Diese Schwerpunkte sollen im Studiengang "Unternehmensführung" herausgearbeitet werden. "Wir wollen keinen Schmalspur-Bachelor", sagt Traublinger, "sondern ein zugeschnittenes Studium für Mittelständler."

Die Regelstudienzeit beträgt elf Semester, mit langjähriger Berufserfahrung besteht die Möglichkeit zu verkürzen. Mit Meistertitel endet das Studium meist nach acht Semestern, Betriebswirte absolvieren den Bachelorabschluss schon im fünften Semester. Im aktuellen Jahrgang ist das bei allen Studierenden der Fall. "Wir haben das Pferd gesattelt", sagt Traublinger. "Reiten müssen die Studenten."

Sebastian Jahreiß gehört mit seinen 24 Jahren zu den Jüngsten. Dennoch hat auch er schon die Titel als Meister und Betriebswirt. "Ich wollte nie auf der Stelle stehenbleiben", sagt er. Selbst nachdem er den Betriebswirt in drei Monaten "durchgezogen" habe, kam für ihn keine Pause in Frage. "Jetzt bin ich schließlich noch jung." Zunächst interessierte er sich für ein Fernstudium der Uni in Augsburg. Dann erfuhr er vom geplanten Studiengang in München. "Ich war begeistert, so nah an der Heimat studieren zu können", sagt der Fürstenfeldbrucker, der mit seinem Vater eine eigene Kfz-Werkstatt betreibt.

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Weihnachtsstress mit Prüfungen

Somit sei für ihn auch die Richtung des Studiums passend. Irgendwann möchte er die Firma vergrößern und Mitarbeiter einstellen: "Es soll ja nicht ewig ein Zwei-Mann-Betrieb bleiben", flüstert er und lauscht dem Gastvortrag von Heinrich Traublinger, der darüber spricht, was einen Unternehmer erfolgreich macht. Es sei wichtig, die Kunst des Entscheidens zu beherrschen, sagt der Gastredner. Dazu gehöre auch, die Verantwortung für diese Entscheidungen zu übernehmen - und gegebenenfalls zu korrigieren.

Carolin Amersdorffer hat sich entschieden - bislang ohne Korrektur. Die Goldschmiedemeisterin sitzt nur eine Reihe von Jahreiß entfernt. In ihrem kleinen Juwelier-Geschäft im Münchner Stadtteil Schwabing schmiedet sie Ringe, Ketten oder Schlüsselanhänger. Für ihr Studium hat sie ein klares Ziel: "Ich möchte mir mehr Wissen aneignen", sagt die 43-Jährige. Dafür besucht sie die Vorlesungen am Montag- und Freitagabend, auch samstags finden Veranstaltungen statt. Sie freue sich darauf, nach einem arbeitsreichen Tag am Abend noch zu lernen: "Mir macht das Spaß." Dennoch spricht sie von einem "stressigen Dezember": Denn die Prüfungen rücken näher, und das in der verkaufsstarken Vorweihnachtszeit.

Vor 25 Jahren hat Amersdorffer die Schule mit der Fachhochschulreife abgeschlossen, nach der Ausbildung folgten die Meisterprüfung und der Betriebswirt. Seit 15 Jahren ist sie selbständig. "Da haben mich schon viele Leute gefragt, warum ich jetzt noch studieren will", sagt sie. Doch der Zeitpunkt für eine Weiterbildung lag in diesem Jahr günstig. Die Kinder seien mittlerweile groß, ihre Tochter habe selbst im Oktober angefangen zu studieren, die Handwerkerin wollte sich ein neues Ziel setzen und "durchstarten". Sie schätzt den Bezug zur Praxis, das habe ihr auch während des Betriebswirts gut gefallen: "Ich habe zum Beispiel viel über richtige Werbung gelernt und mir ein neues Konzept überlegt." Theoretische Fächer wie Volkswirtschaftslehre seien jedoch ebenso wichtig: "Auch Mittelständler müssen komplexe Wirtschaftsthemen verstehen, gerade in der heutigen Zeit."

In den vergangenen Monaten sei die Weiterbildung auf großes Interesse gestoßen, sagt Karolina Engenhorst, die den Studiengang betreut. "Das Echo war größer als erwartet." Mehr als 500 Menschen hätten an den Infoveranstaltungen in Bayern teilgenommen. Rund 80 Bewerbungen gingen bei der Hochschule ein. "Wir sind nun in der Testphase und wollen ein marktfähiges Konzept erarbeiten." Zwar seien die Studenten mit der Organisation sehr zufrieden. Die Öffnungszeiten beispielsweise in der Bibliothek könnten jedoch besser an die Anwesenheitszeiten der berufstätigen Studenten angepasst werden.

Sebastian Jahreiß gefällt das "Studentenleben" - auch wenn es nicht das ist, was sich viele darunter vorstellen. "Party machen kann man sich eigentlich abschminken." Am Montagabend gegen 19.30 Uhr atmet er in seiner Pause noch einmal die kalte Winterluft ein, bevor er zurück in den Seminarraum geht und Mathe lernt. "Den Stoff brauchen wir als Grundlage für den Statistikkurs", sagt er.

Dafür ist der Handwerker eine Sorge los, die viele Studenten plagt: Er muss keine Studiengebühren bezahlen. Das Pilotprojekt wird derzeit vom Bund gefördert. Eine finanzielle Entlastung für den Kfz-Mechatroniker, der schon viel in seine Weiterbildung investiert hat und weitermachen will: Vielleicht mit einem Masterabschluss - natürlich berufsbegleitend.

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