Studienplatzvergabe:Deutsches Roulette

Der Zufall als Prinzip: Wer sich um einen Studienplatz bewirbt, weiß nie, wo er landet. Jede Uni lässt sich eigene Aufnahmebedingungen einfallen, Abiturienten stehen dem Chaos gegenüber.

B. Taffertshofer

Das deutsche Bildungssystem ist ein System voller Blockaden. Das fängt schon im Kindergarten an, setzt sich beim Wechsel nach der Grundschule fort und findet derzeit seinen Höhepunkt beim Übergang von der Schule in die Hochschule. Wenn Abiturienten sich um einen Studienplatz bewerben, erleben sie ein Chaos.

Studienplatzvergabe: Überfüller Hörsaal: Wenn Abiturienten sich um einen Studienplatz bewerben, erleben sie ein Chaos.

Überfüller Hörsaal: Wenn Abiturienten sich um einen Studienplatz bewerben, erleben sie ein Chaos.

(Foto: Foto: dpa)

Fast jede Universität lässt sich eigene Aufnahmebedingungen einfallen: Mal zählt die Abiturnote, mal sind es nur die Noten in einzelnen Fächern, mal gibt es Aufnahmetests. Um die Aussichten auf einen Studienplatz zu erhöhen, schicken viele Abiturienten ihre Bewerbung an mehrere Hochschulen gleichzeitig, das führt am Ende zu langwierigen Nachrückverfahren, unter denen die Bewerber selbst zu leiden haben. Nicht selten können Studienplätze erst lange nach Semesterbeginn nachbesetzt werden oder bleiben frei, weil die Hochschulen nicht wissen, wo die Mehrfachbewerber letztlich ihr Studium beginnen.

Neues Heilsversprechen

Da klingt es zunächst wie ein Heilsversprechen, wenn jetzt eine Gruppe großer Universitäten in Deutschland verkündet, ihre Termine im Zulassungsverfahren zum Wintersemester 2009/2010 zu vereinheitlichen. Die dreizehn Hochschulen, darunter die Universitäten in Hamburg, Heidelberg, Kiel, Mainz sowie die LMU München und die FU Berlin, wollen Bewerbern künftig in der zweiten Augustwoche mitteilen, ob sie angenommen werden oder nicht. Außerdem soll es nach dem üblichen Vergabeverfahren eine zentrale Internetbörse für glücklose Bewerber geben, eine Art virtuellen Wühltisch für frei gebliebene Studienplätze aller beteiligten Hochschulen.

In Wahrheit bedeutet diese Nachricht jedoch einen Rückschritt. Denn die beteiligten Universitäten erklären gleichzeitig, dass sie aus dem Vorhaben, die Hochschulzulassung bundesweit besser zu koordinieren, aussteigen wollen. Dahinter stecken alte Grabenkämpfe zwischen den Hochschulen und der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS). Jahrzehntelang hat die Behörde die Studienplätze in Deutschland hoheitlich verteilt, nun haben die Hochschulen richtigerweise die Freiheit erhalten, ihre Studenten selbst auszuwählen. Doch es zeigt sich, dass sie mit dieser neuen Freiheit alleine überfordert sind.

Schon vor fünf Jahren hat der Wissenschaftsrat, das wichtigste Beratergremium für die Hochschulpolitik, ein ausreichendes Maß "an zentraler Koordinierung" empfohlen und dafür eine reformierte ZVS vorgeschlagen. Die Behörde soll zu einer Servicestelle für Universitäten und Studenten umgebaut werden, die die Bewerberflut koordiniert und über Studiengänge informiert. Nach jahrelangem Hin und Her verständigten sich im Juli vorigen Jahres alle 16 Kultusminister und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) endlich, wie aus der ZVS eine "Stiftung für Hochschulzulassung" hervorgehen kann. Doch nun scheint das Gezänk von vorne loszugehen - schon heute will niemand mehr versprechen, dass die neue Servicestelle bis zum Wintersemester 2010/11 starten kann.

Auf der nächsten Seite: Warum manche Studenten wegen verspäteter Zusagen der Hochschulen das erste Semester abschreiben müssen.

Deutsches Roulette

Hindernislauf zur Hochschule

Ganz offensichtlich fällt es nicht nur der ZVS, sondern auch vielen Hochschulen schwer, den Wandel zu vollziehen: Statt Studienplätze zu verteilen, müssen sie lernen, Studierwillige zu beraten und zu betreuen. Denn Deutschland kann es sich nicht leisten, talentierte junge Menschen auf einen monatelangen Hindernislauf zur Hochschule zu schicken. Stattdessen muss den Abiturienten der Weg in den passenden Studiengang geebnet werden. Momentan ist eher das Gegenteil der Fall: Manche müssen wegen verspäteter Zusagen der Hochschulen das erste Semester abschreiben, weil sie den Lernrückstand nicht mehr aufholen können.

Die Politik reagiert entsprechend genervt auf die neuen Botschaften aus den Hochschulen. "Wir haben keine Zeit mehr für Fehler, Experimente und Kompromisse", mahnt Jan-Hendrik Olbertz, parteiloser Kultusminister von Sachsen-Anhalt und einer der angesehensten Bildungspolitiker Deutschlands. Alle Universitäten und Fachhochschulen müssten jetzt mitwirken, ein bundesweites Servicesystem aufzubauen.

Bundesweiter Abgleich

In der Tat ist der Zeitdruck inzwischen groß. In den nächsten Jahren drängen die letzten Abiturjahrgänge des neunjährigen Gymnasiums gleichzeitig mit den ersten Abgängern des achtjährigen Gymnasiums an die Hochschulen. Bislang gingen Prognosen für die Jahre 2011 bis 2015 von 265.000 notwendigen zusätzlichen Plätzen aus, nach einer aktuellen Studie des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (Fibs) könnte der Bedarf aber bei etwa 370.000 liegen. Damit alle Interessenten studieren können, bedarf es eines bundesweiten Abgleichs freier Plätze.

Die SPD und viele Verbände wollen die Hochschulen deshalb per Bundesgesetz dazu verpflichten, sich einem deutschlandweiten System anzuschließen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) aber will es weiterhin auf freiwilliger Basis versuchen.

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