Studienort:Geht doch nach drüben!

Ostdeutsche Hochschulen könnten die West-Unis entlasten. Eine Umverteilung der Studenten ist aber nicht so leicht.

Tanjev Schultz

In der Welt der Hochschulen verläuft zwischen Ost und West zwar nicht gerade eine Mauer, aber doch so etwas wie eine semi-permeable Wand, die nur zu einer Seite durchlässig ist. Zum Studieren gehen viele Ostdeutsche in den Westen, von West nach Ost zieht es dagegen nur wenige.

Mit ihrer medizinischen Fakultät strahlt die Uni Rostock über Mecklenburg-Vorpommern hinaus. Studenten schätzen die gute Betreuung.

Mit ihrer medizinischen Fakultät strahlt die Uni Rostock über Mecklenburg-Vorpommern hinaus. Studenten schätzen die gute Betreuung.

(Foto: Foto: dpa)

Planern bereitet das Sorgen - nicht so sehr, weil sie um die innere Einheit des Landes fürchten. Sie sehen vor allem ein Verteilungsproblem. Die Kultusminister rechnen bundesweit mit einer wachsenden Nachfrage nach Studienplätzen. Bis 2020 könnte mit den letzten geburtenstarken Jahrgängen die Zahl der Studenten auf 2,4 oder gar 2,7 Millionen steigen, heute sind es knapp zwei Millionen. Doch in Ostdeutschland setzt der Bevölkerungsrückgang früher ein, dort werden die Unis immer weniger Bewerbungen von Landeskindern erhalten.

Der "Hochschulpakt", den Bund und Länder Ende vorigen Jahres ausgehandelt haben, setzt darauf, dass Studieninteressierte aus dem Westen auf frei werdende Plätze an ostdeutschen Unis ausweichen. Wenn die neuen Bundesländer ihre Studienplätze nicht abbauen, sollen sie vom Bund mit insgesamt fast 85 Millionen Euro belohnt werden.

"Nur die zweite Garnitur?"

Nun muss nicht nur die Politik halten, was sie verspricht. Unis und Studenten müssen mitspielen, und das bedeutet einen Mentalitätswandel. Rundum mobil sind nämlich auch angehende Akademiker nicht. Die einen wohnen weiter bei den Eltern, andere wollen zumindest in deren Nähe bleiben. Bisher beginnen mehr als die Hälfte ihr Studium in dem Bundesland, in dem sie auch zur Schule gegangen sind; in Bayern sind dies sogar fast 80 Prozent. Und wenn sie doch die Landesgrenzen überschreiten, wechseln sie bevorzugt in ein benachbartes Bundesland - oder gehen gleich ins Ausland.

Go East: so nannte einmal der Deutsche Akademische Austauschdienst eine Kampagne für ein Studium in Osteuropa. Doch als vorige Woche in Berlin das von der Bertelsmann-Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz getragene Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zu einer Diskussion mit dem Titel "Go East" lud, hatten die Experten nicht Litauen und Polen im Sinn, sondern Greifswald und Jena.

Nach einem CHE-Gutachten könnten 3,3 Milliarden Euro gespart werden, wenn Westdeutsche die frei werdenden Studienplätze im Osten nutzen würden. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt fände dies vernünftig, mahnt aber, es dürfe nicht nur "die zweite Garnitur der Studenten" in den Osten geschickt werden. Und es könne nicht sein, dass an süddeutschen Unis die Top-Forscher arbeiten und der Osten vor allem für die Lehre zuständig sein soll.

Im Osten sind die Studenten außerdem zufrieden, wenn die Kurse überschaubar bleiben. In Sachsen waren zum Wintersemester zwei Drittel der Studiengänge zulassungsbeschränkt, 39 Prozent mehr als im Vorjahr. Schüler aus Hamburg oder München hätten also oft gar keine Chance, in Sachsen zu studieren. An der Uni Leipzig sank die Zahl der Erstsemester von 6000 im Jahr 2005 auf 4000. Im Bachelor-Studium wolle man in Seminaren höchstens 30 Studenten haben, sagt der Prorektor für Lehre, Wolfgang Fach. Es gebe aber auch Angebote wie Romanistik, in denen noch Studenten Platz gehabt hätten; hier fehlten Bewerber. Leipzig werde gerne mehr Studenten aus dem Westen nehmen, sagt Häuser. Doch auch er warnt davor, den Osten zum bloßen "Auffangbecken" zu machen.

Eine große Umverteilung hält der Rektor der Uni Rostock, Thomas Strothotte, für unrealistisch. In der Medizin, die in Rostock stark ist und den dortigen Studenten gute Prüfungen beschert, werde es sicher einen wachsenden Zuzug aus dem Westen geben. Doch das Studium dürfe nicht so anonym werden wie an vielen Fakultäten im Westen, sagt Strothotte: "Unser Vorteil ist ja gerade, dass wir keine Massenabfertigung haben." Da aber auch die Hochschulen im Westen immer mehr Wert auf kleinere Seminare legen und sich zunehmend mit einem Numerus clausus vor zu vielen Bewerbern schützen, fürchten manche bereits, Deutschland werde die Chance, mehr Akademiker auszubilden, vergeben.

Das CHE hält den Pakt, mit dem bis 2010 im Westen 90.000 neue Studienplätze entstehen sollen, für unzureichend. Bund und Länder wollen dafür 1,13 Milliarden Euro ausgeben, das CHE hält 2,2 Milliarden für nötig. Es könnte also nicht nur so kommen, dass immer mehr Bayern, Schwaben und Westfalen zum Studieren rübermachen in den Osten. Es kann auch passieren, dass ein wachsender Teil eines Jahrgang gar keinen Zutritt zur Uni bekommt, aufs Studieren pfeift oder sein akademisches Glück im Ausland sucht.

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