Studie zur Kinderbetreuung:"Nah an der Kindeswohlgefährdung"

Überall in Deutschland verlangen Eltern mehr Kitaplätze und mehr Erzieher. Doch die Bundesländer investieren unterschiedlich - mancherorts hütet eine Betreuerin acht Kinder.

Felix Berth

Die Nachfrage der Eltern nach Kinderbetreuung steigt immer weiter. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung, die an diesem Montag vorgestellt wird. Von den Zweijährigen in Westdeutschland besuchten im vergangenen Jahr 30 Prozent eine Krippe, einen Kindergarten oder eine Tagesmutter. Bei den Dreijährigen im Westen erreicht die Quote bereits 80 Prozent.

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Die Nachfrage nach Kinderbetreuung steigt immer weiter - fast 60 Prozent der Einjährigen in den östlichen Bundesländern gehen derzeit in eine Kindertagesstätte.

(Foto: dpa)

Auch in Ostdeutschland, wo traditionell besonders viele Kinder in Kindertagesstätten betreut werden, ist die Nachfrage der Eltern noch weiter gestiegen. Dort ist es mittlerweile üblich, dass Kinder nach dem ersten Geburtstag in eine Kita kommen: Fast 60 Prozent der Einjährigen im Osten gehen derzeit in eine Kindertagesstätte.

Rechsanspruch auf Kita-Platz ab 2013

Bislang gehen viele Landes- und Kommunalpolitiker davon aus, dass sie bis zum Jahr 2013 für etwa 35 Prozent aller Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze schaffen müssen. Doch die Studie der Bertelsmann-Stiftung legt nahe, dass die Nachfrage noch viel höher ausfallen wird: "Die Zahlen zeigen, dass der Bedarf nach frühkindlicher Bildung weiter steigt und nicht bei irgendeiner Prozentmarke stehenbleibt", sagt die Studienleiterin der Stiftung, Anette Stein. Von August 2013 an haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kita oder bei einer Tagesmutter, sobald ihr Kind ein Jahr alt ist.

Der Ländervergleich der Bertelsmann-Stiftung dokumentiert erstmals, wie unterschiedlich die Investitionen in frühkindliche Bildung ausfallen. Während der Spitzenreiter Berlin im Jahr 2007 durchschnittlich mehr als 4000 Euro für jedes Kind unter sechs Jahren ausgab, waren es in Schleswig-Holstein nur 1950 Euro. Bayern und Niedersachsen schnitten mit etwa 2000 Euro pro Kind ähnlich schlecht ab wie Schleswig-Holstein. Unter den westlichen Flächenstaaten fällt Rheinland-Pfalz positiv auf: Das Land investierte im Durchschnitt mehr als 2900 Euro pro Kind unter sechs Jahren. Allerdings stammen die Zahlen aus dem Jahr 2007; neuere Auswertungen sind unmöglich, weil viele Statistiken der Kommunalfinanzen erst spät veröffentlicht werden.

Die Personalschlüssel der Krippen und Kindergärten sind zwischen 2008 und 2009 ein wenig besser geworden, stellt die Studie fest. Trotzdem sind sie vor allem in Ostdeutschland weiterhin problematisch. In Brandenburg zum Beispiel muss eine Erzieherin in einer Kinderkrippe durchschnittlich fast acht Kinder betreuen - ein Wert, den Psychologen wie Fabienne Becker-Stoll vom bayerischen Staatsinstitut für Frühpädagogik als "nahe an der Kindeswohlgefährdung" einschätzen.

Die Bertelsmann-Stiftung mahnt auch deshalb mehr Investitionen in den Nachwuchs an: "Wer bei frühkindlicher Bildung und Erziehung spart, zahlt in der Zukunft drauf", warnt Stiftungsvorstand Jörg Dräger. Langzeitstudien belegen Dräger zufolge den positiven Einfluss guter Kitas auf die Bildungschancen insbesondere von benachteiligten Kindern: "Das Geld, das eine Gesellschaft für eine gute frühkindliche Bildung investiert, nutzt dem einzelnen Kind ebenso wie unserer volkswirtschaftlichen Entwicklung."

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