Studentenproteste in Österreich:Sackhüpfen gegen das System

Österreichs Studenten besetzen seit elf Tagen das Audimax der Uni Wien. Doch langsam zehren die Proteste an ihren Nerven.

Wolfgang Luef

Gerade eben haben mehr als Tausend junge Menschen auf der Straße Mambo getanzt. Viele von ihnen drängen sich nun durch die engen Flure der Universität Wien, hin zum großen Hörsaal, dem Auditorium Maximum, das seit Tagen von Studenten besetzt ist. Gegenüber, in einem kleinen Nebenraum, stehen sieben junge Frauen im Kreis um einen Holztisch und schneiden Hunderte Zwiebeln klein, während in riesigen Metalltöpfen Spiralnudeln kochen - die Meute wird bald Hunger haben.

Studentenproteste in Österreich: Erste Ermüdungserscheinungen: Seit elf Tagen besetzen österreichische Studenten das Audimax der Uni Wien.

Erste Ermüdungserscheinungen: Seit elf Tagen besetzen österreichische Studenten das Audimax der Uni Wien.

(Foto: Foto: dpa)

Im gerade erst besetzten Trakt im Südflügel, dem Sportinstitut, hüpfen derweil fünf junge Männer im Kreis. Ihre Füße stecken in schwarzen Müllbeuteln: "Wir sind der Workshop ,Sackhüpfen für Anfänger‘", johlt einer von ihnen und fordert jeden, der vorbeikommt, zum Mitmachen auf. Einige Gänge weiter sitzen 15 Studenten der "Arbeitsgruppe Straßentheater" auf dem grünen Linoleumboden im Kreis: Sie planen eine öffentliche Performance für morgen. Und draußen, auf der breiten Treppe des Haupteingangs, direkt an der Wiener Ringstraße, gibt die österreichische Rockband Ja, Panik vor tanzenden Menschen ein Gratis-Konzert. Die Studenten singen den Refrain des Liedes mit: "Das wird bald alles uns gehören."

Es sind ungewöhnliche Szenen, die sich derzeit im Herzen der österreichischen Hauptstadt abspielen. Seit mittlerweile elf Tagen halten Studenten Teile der Wiener Universität besetzt - und der Protest an der größten Uni des deutschen Sprachraums hat längst auf andere Institute übergegriffen: Studenten protestieren in Graz, Linz, Salzburg und Klagenfurt. Sie fordern bessere Studienbedingungen, freien Zugang zu den Universitäten und Gesetzesänderungen, etwa für mehr Mitspracherechte.

Solidarische Aktionen in Deutschland

Die Proteste haben in den vergangenen Tagen eine Dynamik entwickelt, die bis nach Deutschland zu spüren ist: In Hamburg und Berlin gab es solidarische Aktionen. Und die Organisatoren des deutschen Bildungsstreiks vom Sommer wollen Mitte November erneut in den Ausstand treten.

In Wien zogen bei einer Großdemonstration vergangenen Mittwoch mehr als 20.000 Menschen durch die Innenstadt. Am 5. November wollen die Besetzer das noch übertreffen: Sie planen in ganz Österreich einen Aktionstag mit Schülerstreiks und Demonstrationen. Sogar die Blockade einer der wichtigsten Verkehrsadern der Stadt ist angedacht - wenn das Plenum bis dahin zustimmt.

Seit Tagen wird über die Idee der Straßenbesetzungen zweimal täglich kontrovers debattiert. "Wir sollten uns gut überlegen, ob wir wirklich Straßen blockieren wollen. Damit verspielen wir uns Sympathien", warnt ein Student. Ein anderer entgegnet: "Wenn wir nur auf Sympathien aus sind, hätten wir die Besetzung niemals beginnen dürfen."

Neuigkeiten im Sekundentakt

Die Studenten wagen ein bemerkenswertes basisdemokratisches Experiment: Im Plenum suchen sie den Konsens, lassen jeden sprechen, ergehen sich in stundenlangen, oft mühsamen Debatten über Ziel und Zweck der Bewegung. All das wird live ins Internet übertragen - mehr als 1000 sitzen stets vor den Schirmen. Das Netz hat von Anfang an eine entscheidende Rolle für die Bewegung gespielt: Binnen zwei Tagen gab es eine eigene Website, über Twitter und Facebook gehen alle Neuigkeiten im Sekundentakt nach draußen. Im Internet werden auch die zahlreichen Arbeitsgruppen koordiniert: Eine kümmert sich um die Müllbeseitigung, eine um Presseanfragen; hier wird an der Formulierung des Forderungskatalogs gefeilt, dort weitere Protestaktionen geplant.

Dass diese Art der Selbstorganisation tatsächlich über mehrere Tage hinweg funktioniert, war selbst für die Besetzer überraschend, sagt Roland Birker. Der 21-jährige Geschichtsstudent mit Brille und kurzgeschorenen Haaren ist von Anfang an dabei. "Man sieht jetzt, wie viele Studenten die schlechten Bedingungen satt haben. Und die ständige Hetzkampagne gegen die Deutschen."

Schuld sind auch die "Numerus-Clausus-Flüchtlinge"

Jedes Jahr kommen mehr deutsche Studenten zum Studieren nach Österreich, um dem Numerus Clausus zu entgehen. Seit 2000 hat sich ihre Zahl verdoppelt. Politiker vom Bildungsminister abwärts machen die "Numerus-Clausus-Flüchtlinge" mitverantwortlich für jene Zustände, welche die Studenten nun anprangern: In Einführungsvorlesungen sind Hörsäle oft heillos überfüllt, manche Studenten warten mehrere Jahre darauf, endlich einen Platz in einem Pflichtseminar zu bekommen.In Fächern wie Publizistik kommen in Wien 400 Studenten auf einen einzigen Professor. Für die Besetzer ist klar: Es gibt nicht zu viele Studenten, sondern zu wenige Plätze.

Und sie stoßen dabei auf erstaunliche Resonanz. Professoren äußern sich wohlwollend zur Besetzung, Lektoren und Tutoren ernten im Plenum tosenden Applaus, wenn sie Sätze sagen wie: "Ich habe mich schon gefragt, wie lange sich meine Hörer das noch gefallen lassen." Gewerkschaften haben sich ebenso solidarisch erklärt wie Politiker der oppositionellen Grünen, und sogar der sozialdemokratische Bundeskanzler Werner Faymann äußerte "Verständnis" für die Anliegen der Besetzer - schob die Verantwortung aber postwendend an den konservativen Wissenschaftsminister Johannes Hahn ab, der bald als EU-Kommissar nach Brüssel wechselt.

Trinkgeld für die Unis

Seine anfängliche Strategie des Aussitzens der Proteste ist nicht aufgegangen. Eine Einladung ins Plenum lehnt er zwar ab, weil er durch seine Anwesenheit "einen Unrechtszustand legitimieren" würde. Immerhin versprach Hahn nun aber zusätzliche 34 Millionen Euro aus dem Notfallbudget für die Unis. Die Studenten sprechen von "Trinkgeld", und der Vorsitzende der Konferenz österreichischer Universitätsrektoren reagierte prompt: Die Hochschulen hätten eine Milliarde nötig - also nicht weniger als das dreißigfache.

Mittlerweile sind bei den Besetzern erste Ermüdungserscheinungen auszumachen. Gerüchte von mehreren Nervenzusammenbrüchen machen die Runde, und immer wieder appellieren Studenten mit dunklen Augenringen an das Plenum: "Nachts sind wir zu wenige. Wir halten das nicht mehr lange durch." Viele der mehreren hundert Teilnehmer des Plenums kommen erst abends, bringen Bier mit, erfreuen sich am mühsam organisierten Kulturprogramm und gehen anschließend wieder nach Hause.

"Freie Bildung ist ein Menschenrecht!"

Wie klein der harte Kern tatsächlich ist, zeigt sich morgens. Um sieben Uhr ist das Auditorium Maximum fast leer. Zwei offensichtlich betrunkene, ältere Herren betteln bei den wenigen wachen Besetzern um Kleingeld, eine verwirrt wirkende Frau führt Selbstgespräche auf Englisch. Zwei Studenten wischen die Pulte sauber. Im Hintergrund läuft leise "House of the rising sun". Am Abend werden hier wieder Hunderte sitzen und laut jubeln, wenn einer in die Menge ruft: "Freie Bildung ist ein Menschenrecht!"

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