Studentenproteste in Deutschland:Hörsaal? Besetzt!

Lesezeit: 2 min

Die Proteste gegen die Bildungspolitik in Deutschland weiten sich aus. Mittlerweile haben Studenten auch das Audimax in München besetzt. In anderen Städten räumte die Polizei die ersten Gebäude.

Maria Holzmüller

Am Morgen nach der Besetzung scheint zunächst alles wie immer. Gegen 8:15 Uhr bahnen sich die ersten Studenten langsam ihren Weg von der U-Bahn zur Ludwig-Maximilians-Universität in München. Dass am Abend zuvor im Inneren die Welle der Studentenproteste, die in Österreich ihren Anfang nahm, angekommen war, sieht man von außen nicht. Lediglich ein paar weiße Zettel an den Wänden rufen die Studenten dazu auf, sich an der Besetzung des größten Hörsaals zu beteiligen.

Die Welle der Studentenproteste ist an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität angekommen. Studenten haben das Audimax besetzt. (Foto: Foto: dpa)

Größer und bunter wird es erst im Audimax selbst. "Studenten der Medizin gegen Kürzungen bei Sinologie gegen Kürzungen bei Biologie gegen Kürzungen bei Italianistik ..." steht dort geschrieben oder einfach nur in großen Lettern "Streiken für Bildung".

Etwa 60 Studenten liegen noch in ihren Schlafsäcken auf dem Boden oder haben es sich auf den alten Holzbänken so bequem gemacht wie es eben geht. In der Ecke steht ein Einkaufswagen mit Lebensmitteln, deren Verpackungen sich schon weit über den Boden ausgebreitet haben. Etwas Hektik kommt erst auf, als ein blondbärtiger Student am Lautstärkeregeler des Radios dreht und seine Kommilitionen zur Ruhe ermahnt - die Audimax-Besetzung hat es bis in die Radio-Nachrichten geschafft. Applaus für die eigene Medienpräsenz erschallt - und verebbt auch schnell wieder.

Die größeren Aktionen an diesem Tag sollen erst noch kommen. Wie es mit der Besetzung des Audimax in München weitergehen soll, wird im Laufe des Tages entschieden. Bildungsministerin Annette Schavan rief inzwischen die Bundesländer angesichts der sich ausbreitenden Studentenproteste auf, bereits verabredete Hochschulreformen rasch umzusetzen.

Auch Studenten der Julius-Maximilians-Universität Würzburg haben aus Protest gegen die Bildungspolitik das Audimax der Hochschule besetzt. Die ganze Nacht hätten etwa 50 Männer und Frauen in dem Hörsaal ausgeharrt, sagte ein Uni-Sprecher. "Die Vorlesungen werden, soweit es möglich ist, in andere Hörsäle verlegt."

Die Hochschulleitung setzt auf Deeskalation

Auf Transparenten forderten die Studierenden unter anderem die Abschaffung der Studiengebühren und erklärten ihre Solidarität mit österreichischen Kommilitonen. Am Donnerstagabend wollten sich Uni-Leitung und Besetzer zu einem Gespräch treffen. Die Hochschulleitung setze auf Deeskalation, sagte der Sprecher.

Dagegen räumten in Tübingen etwa 200 Studenten am frühen Donnerstagmorgen den größten Hörsaal der Universität. Um Mitternacht war ein entsprechendes Ultimatum der Universitätsleitung abgelaufen. Als die Studenten am Morgen den Saal immer noch besetzten, wurde die Polizei hinzugezogen. Sie musste aber nicht einschreiten, da die Studierenden das Gebäude freiwillig verließen.

Sperrung durch privaten Wachdienst

Ähnlich lief das Ende der Besetzung an der Humboldt-Universität in Berlin ab. Ein von der Hochschulleitung engagierter privater Wachdienst unterband am Mittwochabend bis Mitternacht den Zutritt zum Hauptgebäude.

Eine Räumung des besetzten Audimax gab es aber ebenso wie an der Freien Universität (FU) in Berlin-Dahlem nicht. Auch dort ist der größte Hörsaal seit Mittwoch im Zuge der bundesweiten Studentenproteste besetzt. Die Polizei griff nicht ein, weil die Leitungen der Hochschulen keine Strafanzeigen erstattet hatte.

Chronische Unterfinanzierung

Die protestierenden Studenten wollen auf Missstände im Bildungssystem aufmerksam machen. Sie begründen ihre Proteste mit überlasteten Studiengängen, sozialen Ungleichheiten im Bildungssystem, der chronischen Unterfinanzierung der Unis sowie Mängeln bei der Umstellung auf Bachelor- und Master-Abschlüsse. Die Proteste hatten vor etwa drei Wochen in Wien begonnen und breiten sich seit gut einer Woche auch im gesamten deutschen Bundesgebiet aus. In den vergangenen Tagen wurden nach Angaben von Studentenorganisationen bereits Hörsäle in Darmstadt, München, Dresden, Greifswald, Heidelberg, Marburg, Paderborn, Potsdam und Tübingen besetzt.

© sueddeutsche.de/dpa/AP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: