Streit um Wert von Bildungsabschlüssen:"Abiturienten sind doch nicht besser als andere"

Wie viel ist eine Ausbildung wert? Der Streit um die Vergleichbarkeit beruflicher und schulischer Abschlüsse wird erbittert geführt. Handwerkspräsident Otto Kentzler kämpft vehement dafür, dass die dreijährige Lehre genauso viel wert ist wie das Abitur - alles andere sei Diskriminierung.

Mehmet Ata

Es ist ein erbitterter Streit um die Wertigkeit von Ausbildungen: Im Deutschen Qualifikationsrahmen sollen berufliche und schulische Abschlüsse vergleichbar werden. Während die Kultusminister das Abitur höher einstufen wollen als eine Lehre, kommt Widerstand vom Zentralverband des Deutschen Handwerks. Präsident Otto Kentzler, 79, plädiert für eine Gleichstufung. Alles andere sei Diskriminierung.

ZDH-Präsident Otto Kentzler

Handwerkspräsident Otto Kentzler ist stolz auf die duale Berufsausbildung in Deutschland - und beharrt darauf, dass sie genauso viel wert ist wie das Abitur.

(Foto: picture alliance / dpa)

SZ: Herr Kentzler, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften streiten sich mit den Kultusministern um den Deutschen Qualifikationsrahmen. Worum geht es?

Otto Kentzler: Es geht um die Einstufung von Abschlüssen in eine achtstufige Skala. Die Beteiligten sind sich weitgehend einig, wohin die Abschlüsse gehören. Nur beim Abitur und bei der dualen Ausbildung gibt es Streit. Die Kultusminister wollen das Abitur auf die Stufe 5 setzen, die dualen Ausbildungen in der Regel aber nur auf die Stufe 4. Nach ihren Vorstellungen sollen nur wenige ausgewählte Ausbildungsberufe auf dieselbe Stufe wie das Abitur. Wir kämpfen darum, dass die dreijährige Ausbildung den gleichen Stellenwert erhält wie das Abitur, beides auf Stufe 4. Die Abiturienten sind doch nicht besser als andere. Das ist Diskriminierung in höchstem Sinne.

SZ: Welche Argumente haben Sie?

Kentzler: Der Qualifikationsrahmen beschreibt nicht nur Wissen, sondern auch Fertigkeiten und Kompetenzen wie Teamfähigkeit. Wir bestreiten, dass ein Abiturient nach zwölf Jahren in der Lage ist, ein Team zu leiten. Das deutsche Abitur ist reine Wissensvermittlung, Gesellen sind da schon weiter.

SZ: Die erforderlichen Kompetenzen für die jeweiligen Stufen haben Sie gemeinsam mit den Kultusministern festgelegt. Gab es da auch schon Konflikte?

Kentzler: Nein. Deswegen verstehe ich auch nicht, warum die Kultusministerkonferenz auf ihrer letzten Sitzung einstimmig für die Einordnung des Abiturs auf Stufe 5 plädiert hat.

SZ: Welche Konsequenzen befürchten Sie, wenn sich die Minister durchsetzen?

Kentzler: Die berufliche Bildung würde ins Hintertreffen geraten. Ein Abiturient, der eine Ausbildung macht, würde von Stufe 5 auf Stufe 4 fallen. Jeder würde versuchen, einen akademischen Weg einzuschlagen. Die Facharbeiter, die Deutschland stark gemacht haben, die würden an den Pranger gestellt und der akademischen Bildung geopfert.

SZ: Welche Folgen könnte das speziell für das Handwerk haben?

Kentzler: Immerhin sieben Prozent der Auszubildenden im Handwerk sind Abiturienten, ihr Anteil ist in den vergangenen Jahren vor allem in medizinischen Berufen deutlich gestiegen. Bei Hörgeräteakustikern liegt er über 50 Prozent. Warum will ich den Jugendlichen das verbauen? Mehr als die Hälfte eines Jahrgangs machen eine Ausbildung, das ist doch eine schallende Ohrfeige für diese Menschen.

"Die duale Ausbildung ist das Besondere - nicht das Abitur"

SZ: Wäre es so schlimm, wenn mehr Jugendliche das Abitur machen würden?

Kentzler: Ich will das Abitur gar nicht kleinreden. Wir brauchen beides, berufliche Ausbildung und das Abitur. Die Welt besteht aber nicht nur aus Dichtern und Denkern. Gerade für junge Menschen aus bildungsfernen Familien sind Ausbildungen oft der richtige Weg. Mit einer Ausbildung und beständiger Weiterbildung können sie sich Stück für Stück Qualifikationen aneignen. Nicht jedem ist das Abitur mit in die Wiege gelegt worden. Aber auch für Abiturienten ist der Weg über die Berufsausbildung zukunftsweisend. Ich selbst habe zwei Gesellenbriefe erworben und ein Ingenieursstudium abgeschlossen. Auch aus persönlicher Erfahrung weiß ich, wovon ich rede.

SZ: Die Kultusminister sagen, dass mit der Höherstufung des Abiturs dem deutschen Bildungssystem Rechnung getragen würde. Haben sie nicht vielleicht recht?

Kentzler: Das Besondere am deutschen System sind die beruflichen Ausbildungen, nicht das Abitur. Die duale Ausbildung wollen viele Länder kopieren - Indien oder China. Die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) haben die berufliche Bildung verpflichtend aufgenommen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn BMW in den USA ein Werk aufbaut, plant die Firma ein Jahr nur für die Einarbeitung der Beschäftigten ein. Diesen Ländern fehlen die geeigneten Facharbeiter, weil ein Ausbildungssystem wie bei uns fehlt. Daher kann ich die Arroganz, mit der in Deutschland teilweise argumentiert wird, nicht verstehen.

SZ: Wie ist der Diskussionsstand in anderen europäischen Ländern?

Kentzler: Alle anderen europäischen Länder haben das Abitur - beziehungsweise vergleichbare Abschlüsse - auf die Stufe 4 gestellt. Nur die Niederlande wollten ursprünglich das Abitur auf die Stufe 5 einordnen. Damit sind unsere Nachbarn aber gescheitert.

SZ: Im Konflikt haben Sie wichtige Verbündete auf Ihrer Seite.

Kentzler: Die ganze Bundesregierung steht hinter uns, ebenso die Wirtschaft und die Gewerkschaften, sowie die Wirtschaftsminister der Länder. Wir sind uns alle einig, dass dreijährige Ausbildungen und das Abitur auf Stufe 4 gehören. Nur die Kultusminister scheren aus.

SZ: Was sind die nächsten Schritte?

Kentzler: Eigentlich war die letzte Arbeitsgruppen-Sitzung zum Qualifikationsrahmen für November geplant, da wollten wir alles festmachen. Aber die Sitzung wurde wegen der Haltung der Kultusminister abgesagt. Jetzt muss die Kultusministerkonferenz auf ihrer Plenarsitzung am 8. Dezember entscheiden, ob sie ihr Votum ändert. Erst mit einem positiven Signal können wir im Januar am Qualifikationsrahmen gemeinsam weiterarbeiten.

SZ: Und wenn es zu keiner Einigung kommt?

Kentzler: Wir setzen auf Konsens. Aber wenn die Kultusministerkonferenz bei ihrer Haltung bleibt, müssen die übrigen Beteiligten überlegen, ob die Kultusminister noch an der Runde teilnehmen können.

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