Interview: Arbeitskampf:"Das Streikrecht ist ein Menschenrecht"

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Ist hier bald Schulausfall, weil die Lehrerin streikt? Das Bundesverfassungsgericht könnten das Streikverbot für Beamte kippen. (Foto: dpa)

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute, ob Beamte streiken dürfen. Nils Kammradt von Verdi hofft darauf - es würde auch anderen Gewerkschaftlern nutzen.

Interview von Larissa Holzki

Dürfen auch Beamte für bessere Arbeitsbedingungen streiken? Bisher lautete die Antwort in Deutschland klar: nein. Beamte müssen sicherstellen, dass der Staatsapparat jederzeit funktioniert. Dafür werden sie gut bezahlt, können nicht gekündigt werden und bekommen üppige Pensionen. Arbeitskampf? Brauchen sie nicht, dürfen sie nicht.

Nun allerdings haben vier Lehrer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Sie wollen und könnten das Streikverbot für 600 000 verbeamtete Lehrer sowie etwa eine Million andere Beamte damit zum Kippen bringen. Nils Kammradt, Bundesbeamtensekretär von Verdi, unterstützt das. Rund 127 000 Beamte sind Mitglied bei der Gewerkschaft.

SZ: Herr Kammradt, was macht eine Gewerkschaft für Mitglieder, die nicht streiken dürfen?

Nils Kammradt: Wir verhandeln mit den Bundesministerien und auch dem Bundestag, um für diese Beschäftigten etwas herauszuholen. Zum Beispiel, dass Ergebnisse einer Tarifrunde für den öffentlichen Dienst auch auf Beamte übertragen werden. Wir haben nicht das Druckmittel des Streiks, aber doch eine gewisse Wirkungsmacht.

Trotzdem würden Sie gerne auch Beamte zum Streik aufrufen. Warum?

Dieses Grundrecht steht allen abhängig beschäftigten Menschen bei uns im Land zu. Das Streikrecht ist ein Menschenrecht, darauf kann man nicht einfach verzichten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass dieses Grundrecht allein durch den Beamtenstatus aberkannt wird. Insofern erwarten wir eine Klärung durch Karlsruhe. In einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat müssen alle Beschäftigten - auch die Beamten - selbständig, eigenverantwortlich und auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber ihre Beschäftigungs- und Einkommensbedingungen verhandeln und vereinbaren können.

Vor dem Bundesverfassungsgericht geht es um vier Lehrer, die disziplinarisch belangt wurden, weil sie gestreikt hatten. Welche Beamte sollen noch streiken dürfen?

Zum Beispiel die Mitarbeiter der Post im Beamtenverhältnis. Ein großer Teil unserer verbeamteten Mitglieder stammt aus Post und Telekom. Dazu kommen viele Staatsbedienstete etwa in Ministerien und in der Verwaltung. Beamte, die eine sogenannte hoheitliche Aufgabe wahrnehmen, gehören nicht dazu.

Beamte werden gut bezahlt, haben Verträge auf Lebenszeit und bekommen Beihilfe zur Gesundheitsversorgung. Wofür sollten die noch streiken?

Der Bund hat die Arbeitszeit von 39 auf 41 Stunden pro Woche angehoben - einfach so, denn die Bundesregierung kann das einseitig entscheiden. Im Tarifbereich ist das nicht passiert, weil man dazu hätte verhandeln müssen. Gegen solch eine Maßnahme wäre sicherlich gestreikt worden.

Aber die Beamten sind doch schon privilegierter als andere Mitarbeiter. Bekommen Sie da nicht Ärger mit ihren anderen Mitgliedern, wenn Sie jetzt für Beamte ein Streikrecht fordern?

Beamte erbringen wichtige Leistungen in unserer Gesellschaft, nehmen wir nur mal Feuerwehr, Justizvollzug oder Zoll. Bezahlung und soziale Sicherung sind deshalb kein Privileg. Als Gewerkschaftsmitglieder zahlen sie den vollen Mitgliedsbeitrag, bekommen aber kein Streikgeld. Wenn Beamte streiken dürfen, hilft das außerdem allen: Gemeinsam könnten Tarifbeschäftigte und Beamte mehr erreichen, weil sie mehr Druck ausüben könnten. In der Vergangenheit wurden auch schon mal beide Seiten vom Dienstherrn gegeneinander ausgespielt, der zum Beispiel sagt: Wir haben das Weihnachtsgeld der Beamten gekürzt, jetzt sind auch die Tarifbeschäftigten dran. Das ginge nicht mehr.

Wie schmerzhaft könnten Beamtenstreiks werden?

Streiks sind immer ein letztes Mittel, wenn man am Verhandlungstisch nicht weiterkommt. Sie sollen den Beschäftigten helfen, ihre Forderungen durchzusetzen. Häufig lässt es sich nicht vermeiden, auch Bürger zu treffen. Somit kann ein Streik beispielsweise dazu führen, dass Leute in den Kommunen bei den Bürgerdiensten vor geschlossenen Türen stehen - immer natürlich im Rahmen einer Strategie, die Notdienste zulässt.

Wollen Sie auch Kinder bestreiken?

Es werden nicht Eltern oder Kinder bestreikt, sondern die Arbeitgeber, auch wenn - wie gesagt diese ebenfalls betroffen sein können. Aber in der Regel haben die Eltern oder allgemein Bürgerinnen und Bürger sehr viel Verständnis für Streiks, weil auch sie von den besseren Bedingungen der Beschäftigten profitieren. Erzieher in Kindertagesstätten dürfen zweifellos streiken. Verfassungsrechtlich ist das überhaupt kein Problem. Für Lehrer sollte das auch gelten.

Und was sagen Sie den Eltern, die an dem Tag Probleme mit der Kinderbetreuung haben?

Natürlich werden die Menschen so schnell es geht vorgewarnt, wenn ein Streik beabsichtigt ist. Wir haben das auch in den Kindergärten so gemacht und sind auf viel Verständnis und Unterstützung der Eltern gestoßen.

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