Stellenausschreibungen:Bitte, bloß keine Fotos!

Stolpern über Jobanzeigen: Wie das Antidiskriminierungsgesetz die Arbeit von Personalern verändern wird.

Von Alexandra Staush

Die Nähe zum Kunden steht an erster Stelle. Deshalb wünscht sich ein Kommunikationsunternehmen aus Baden-Württemberg, dass alle Mitarbeiter im firmeneigenen Call Center des Schwäbischen und auch des Badischen mächtig sind. Egal ob auf Hochdeutsch oder im Dialekt - der Kunde soll sich gut aufgehoben fühlen. Ab Juli diesen Jahres ist es jedoch fraglich, ob die Anforderung "Sie sprechen die regionalen Dialekte fließend" noch in Stellenanzeigen auftauchen darf. Denn sie benachteiligt alle Bewerber, die nicht im süddeutschen Sprachraum heimisch sind.

Jobsuchende

"Wir freuen uns über weibliche Bewerber" statt "Frauen bevorzugt": Durch das Antidiskriminierungsgesetz werden sich manche Formulierungen in Jobanzeigen ändern.

(Foto: Foto: dpa)

Das Antidiskriminierungsgesetz, das vermutlich im Sommer in Kraft tritt, macht die Arbeit der Personaler deutlich komplizierter. Die Bundesregierung setzt eine allgemeine Richtlinie der Europäischen Union um, nach der kein Mensch aufgrund von Geschlecht, Alter, ethnischen Merkmalen, Religion, Weltanschauung, sexueller Identität oder Behinderung benachteiligt werden darf.

"Beängstigend!"

Für die Arbeitswelt bedeutet das eine Unzahl rechtlicher Stolpersteine. Darf man dem Außendienstler im Versicherungsgeschäft, der psychosomatisch erkrankt, die Erfolgsprovision kürzen? Oder kann er sich auf eine Behinderung berufen und wegen Diskriminierung klagen? Ist es zulässig, älteren Mitarbeitern die Altersteilzeit mit einem Bonus auf die betriebliche Rente schmackhaft zu machen? Oder ist das ein Grund für jüngere Mitarbeiter, vor Gericht zu ziehen?

"Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der EU-Vorgabe sehr allgemein geblieben", kritisiert Detlef Grimm. Der Kölner Arbeitsrechtler klärt Personalverantwortliche in Seminaren über die Tücken der neuen Gesetzesvorlage auf. Die Reaktionen seiner Zuhörer schwanken zwischen "beängstigend!" und "unmöglich!". "Insgesamt wird das Gesetz den Verwaltungsaufwand im Personalwesen deutlich erhöhen und für erhebliche Unsicherheit sorgen", sagt Alois Schnitzler von der HUK Coburg Versicherung.

Mit dem neuen Gesetz wird schon die Formulierung einer einfachen Stellenanzeige zum Spießrutenlauf, denn die Diskriminierung muss nicht unmittelbar ausgesprochen werden. "Junger, dynamischer Geschäftsführer gesucht" ist eine Steilvorlage für jeden Arbeitsrechtler. Denn auch ohne konkrete Altersangabe ist klar, dass hier Kandidaten in den Vierzigern keine Chance haben.

Auch der Wunsch nach "mindestens zehn Jahren Berufserfahrung" ist - wenn er nicht sachlich gerechtfertigt wird - diskriminierend. Denn fast alle Hochschulabgänger unter vierzig werden mit dieser Anforderung Probleme haben. Mutige Vorstöße, wie die von Ottmar Fahrion, sind nach dem neuen Gesetz illegal: Der Chef eines Ingenieurbüros bei Stuttgart hatte vor einigen Jahren gezielt Annoncen für Mitarbeiter über 50 geschaltet, weil ihm Großkonzerne die jüngeren Bewerber weggeschnappt hatten.

Beweislast liegt bei der Firma

Personaler, die auf Nummer sicher gehen wollen, durchleuchten ihre Ausschreibungen genau auf mögliche Schnitzer. "Wir sind vorsichtiger geworden, auch wenn das Gesetz noch nicht in Kraft getreten ist", sagt Jürgen Jäckel von Fraport in Frankfurt. Für den IT-Bereich würde er gerne eine Mitarbeiterin einstellen, weil Frauen in diesem Bereich unterrepräsentiert sind. Früher hätte er eine Anzeige mit dem Satz "bei gleicher Qualifikation stellen wir bevorzugt Frauen ein" geschaltet. Nun heißt es: "Wir freuen uns über weibliche Bewerber."

Bitte, bloß keine Fotos!

Die Vorsicht der Firmen ist begründet, denn der Gesetzgeber hat die Daumenschrauben angezogen: Abgewiesene Bewerber, die Diskriminierung nachweisen können, haben nicht nur ein Anrecht auf Schadensersatz, sie können auch Schmerzensgeld einklagen. "Ich bin sicher, dass diese Klagen kommen werden", sagt Jäckel, "wir erhalten ja jetzt schon solche Schreiben, obwohl es das Gesetz noch gar nicht gibt."

Da fordert zum Beispiel ein Bewerber mit einer Behinderung finanzielle Entschädigung, weil er sich auf Fraport verlassen und eine andere Stelle ausgeschlagen habe. Auch Detlef Grimm kennt Fälle von "Entschädigungshascherei": Eine Firma aus dem Raum Bonn hatte unvorsichtigerweise eine Stelle für eine "Sekretärin" ausgeschrieben. Darauf bewarb sich ein Jura-Student aus Gießen. Er wurde erwartungsgemäß abgelehnt und zog wegen Geschlechterdiskriminierung vor Gericht.

Die neue Rechtsprechung könnten manche Bewerber geradezu als Einladung zu einem Rechtsstreit begreifen, denn sie kehrt die Beweislast um. Es genügt, dass ein Arbeitnehmer eine unterschiedliche Behandlung nachweist und eine Benachteiligung glaubhaft macht. Eine frisch eingestellte Abteilungsleiterin zum Beispiel bekommt Wind davon, dass männliche Kollegen in ähnlicher Position mehr verdienen. Sie beruft sich auf Studien, die belegen, dass weibliche Führungskräfte im Schnitt finanziell schlechter gestellt sind. Das Unternehmen hat dann den schwarzen Peter: Es muss nachweisen, dass der Grund für die ungleiche Vergütung nichts mit dem Geschlecht zu tun hat - oder es muss zahlen.

Nur wer dem Arbeitsgericht beweisen kann, dass ein Bewerbungsprozess einwandfrei abgelaufen ist, ist rechtlich auf der sicheren Seite. Für die Firma Siemens würde das bedeuten, dass sie jährlich 200.000 Bewerbungsmappen für drei Jahre einlagern müsste, bis alle Schadensersatzansprüche verjährt sind. Das Unternehmen nimmt zum Glück schon jetzt nur elektronische Bewerbungen an. Auch Daimler-Chrysler, BMW oder Bertelsmann setzen überwiegend auf die Online-Kommunikation und haben damit das Dokumentationsproblem weitgehend gelöst. Die Allianz hat vorgebaut, indem sie sich an amerikanischen Vorbildern orientiert: In ihrem Bewerber-Management-System gibt es kein Feld für ein Foto. Der Vorwurf ethnischer Diskriminierung ist damit umschifft.

Geringer Streitwert

Ob wegen des Antidiskriminierungsgesetzes tatsächlich eine Klagewelle über Deutschland rollen wird, lässt sich noch nicht sagen. "Das Risiko ist in der Praxis vielleicht nicht ganz so groß. Weil der Streitwert sehr gering ist, lohnt sich eine Klage nicht unbedingt, vor allem nicht für die Rechtsanwälte", meint Detlef Grimm.

Sammelklagen jedoch könnten sich auszahlen. Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass Benachteiligte ihre Ansprüche an Verbände abtreten können. Die erstreiten dann für eine Aufwandsentschädigung die Rechte ihrer Mitglieder. Schon 75 Personen reichen aus, um eine solche Interessensvertretung zu gründen. "Da kann sich ein lukratives Geschäft entwickeln", sagt Grimm.

Der Rechtsanwalt, der auf den Fluren des Arbeitsamtes erfolglose Bewerber aufgreift und ihre Stütze durch ein paar Schadenersatzklagen aufbessert - ein solches Szenario ist weit hergeholt. Noch ist das deutsche Rechtssystem von amerikanischen Verhältnissen weit entfernt. Aber vielleicht ist auch das der Grund dafür, dass deutsche Unternehmen in Sachen Antidiskriminierung einiges nachzuholen haben. "In meinem Seminar hatte ich mal einen Personaler von der Tochtergesellschaft eines US-Unternehmens sitzen", erzählt Grimm. "Der hat schon vor fünf Jahren die entsprechenden Vorgaben vom Mutterkonzern übernommen. Der kann sich jetzt ganz entspannt zurücklehnen."

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