Start-ups im Bootcamp:Marktlücke für Geschäftsideen

In Berlin versucht ein Start-up-Bootcamp, jungen Firmengründern mit einer kleinen Finanzierung und Know-how bei ihren ersten Schritten zu helfen. Ein Programm, das bereits in anderen europäischen Ländern erfolgreich war.

Jenny Hoch

Es ist Freitagmorgen, 10 Uhr. Langsam belebt sich das loftartige Büro in einem ehemaligen Umspannwerk in Berlin-Kreuzberg. Die Schreibtische sind zu Gruppen zusammengerückt, über jeder dieser zehn Arbeitsinseln hängt eine Schiefertafel. "Raidarrr" steht auf einer, "Streetvite" und "Spotistic" auf anderen. Junge Leute in Jeans und Turnschuhen schalten ihre Computer und Laptops ein. Es sind die Gewinner des Start-up-Bootcamps, eines Mentoren- und Acceleratorprogramms, das dieses Jahr zum ersten Mal in Berlin stattfindet. Die Begriffe auf den Schiefertafeln sind die Namen jener Start-up-Unternehmen, mit denen es zehn Teams in das Camp geschafft haben.

"Inkubatoren" werden solche Programme oft genannt, weil sie unerfahrenen Unternehmensgründern mit Know-how und Mikro-Finanzspritzen helfen, die Geschäftsidee in einem geschützten Raum für den Markt und potenzielle Investoren umzusetzen. Alex Farcet, ein früherer Manager, Business Consultant und Globetrotter, gründete das Start-up-Bootcamp vor zwei Jahren in Kopenhagen, seinem damaligen Wohnort. Inzwischen ist ein weiteres Camp in Amsterdam dazugekommen, die Bewerbungsfristen für kommende Programme in Haifa und Dublin laufen. Die Idee dazu hat er aus den USA mitgebracht, wo er seine ersten Erfahrungen in einem Start-up-Unternehmen in San Francisco sammeln konnte.

Er sei, erzählt der 45-Jährige, durch einen Schicksalschlag zum Mentor geworden: "Im Jahr 2006 erkrankte erst mein Sohn an Leukämie und dann ich an Hautkrebs. Damals habe ich beschlossen, mein Leben mit etwas wirklich Sinnvollem zu verbringen." Inzwischen sind beide wieder gesund, doch Farcet ist beim Vorhaben geblieben. Das Camp - übrigens selbst ein Start-up - ist auf Expansionskurs, auch weil es auf eine Marktlücke trifft.

Bewerben können sich ausschließlich Teams, eine Altersbeschränkung gibt es nicht - wenngleich die Mehrzahl der Bewerber in den Zwanzigern ist. Es kommt weder auf eine ausgefeilte Präsentation noch auf bereits realisierte Erfolge an. "Wir lesen keine Lebensläufe und keine Businesspläne. Was zählt, sind die Idee und das Team", sagt Farcet. Soziale Fähigkeiten im Umgang mit Mitarbeitern und Kunden seien wichtig, Kritikfähigkeit und Motivation. "Doch am allerwichtigsten", fügt er hinzu, "ist Durchhaltevermögen." Ohne diese Tugend könne man keine erfolgreiche Firma aufbauen.

Im Namen "Bootcamp" schwingt ein ironischer Unterton mit, doch es soll auch klar sein, dass es sich um eine ernsthafte Angelegenheit handelt. Kaffeetrinken, im Netz surfen und dabei ein bisschen an halbgaren Projekten herumfrickeln, das geht nicht. Die Teams erwartet ein straffes dreimonatiges Programm, sie arbeiten in einem Co-Workingspace, bekommen jeweils 15 000 Euro zum Leben und Arbeiten und erfahrene Mentoren unterschiedlicher Branchen an die Seite gestellt.

Am Ende gibt es Geld - vielleicht

Am Ende steht der "Investor Day", bei dem die Start-ups interessierten Investoren präsentiert werden - und die Gründer mit potenziellen Geldgebern ins Gespräch und ins Geschäft kommen sollen. Im Gegenzug beansprucht Farcets Firma von jedem Start-up einen Anteil von acht Prozent: "Das ist sehr fair, sie sollen uns als Mitgründer sehen." Die bisherige Erfolgsquote könne sich sehen lassen. So hätten von zehn Teams in Kopenhagen acht ihr Konzept erfolgreich umsetzen können. Fünf davon erwirtschaften bereits mittlere bis gute Gewinne.

In Berlin ist man noch nicht so weit. Erster Programmpunkt an diesem Tag: ein gemeinsames Frühstück, bei dem die Jungunternehmer von ihren Fortschritten berichten. Verkehrssprache ist Englisch, die Teilnehmer kommen aus Norwegen, Dänemark, Holland, Italien, Spanien, Australien, Neuseeland, USA, Österreich und Deutschland. Farcet läuft mit einem Zettel in der Hand um den Konferenztisch, auf dem die Zahl 60 steht. So viele Tage bleiben bis zum "Investor Day". In der Ecke stapeln sich Paletten mit Energiedrinks, einige Teilnehmer wirken ziemlich übernächtigt. Die Hängematten, überall im Raum aufgespannt, werden offenbar wenig genutzt.

Farcet hält eine Motivationsrede, lobt und rät, sich früh um etwaige Missstimmigkeiten im Team zu kümmern. Streitereien seien normal, wenn man unter Druck stehe. Und: "Natürlich sollt ihr bei einem Firmen-Giganten anrufen und eure Idee vorstellen!" Es sei nie zu früh für so etwas: "Es gibt kein ,Nein'!" In solchen Fällen solle man Fragen stellen, sich nach weiteren Kontakten erkundigen. "Ihr werdet sehen, das funktioniert!" Dann stehen die Gründer der Reihe nach auf und erzählen von ihrer Woche, von erfolgreichen Meetings, von Rückschlägen oder auch von Softwareproblemen.

Die Bandbreite der Start-ups ist enorm: Capsule.fm arbeitet an einer personalisierten Audio-Software, mit der sich der Benutzer seine eigene Radiosendung zusammenstellen kann. Das Team von Weavly baut ein Portal, in dem man beispielsweise Youtube-Videos schneiden und aufbereiten kann. Urheberrechtsfragen seien bereits geklärt, erzählen die Macher. It's Platonic soll ein Freunde-Finder-Portal werden, mit dem man in seiner Stadt Gleichgesinnte, zum Beispiel Tennispartner, findet. Web-Cred will ein Vertrauenssystem aufbauen, das Car-Sharern, Babysitter-Suchenden oder Leuten, die ihre Wohnung untervermieten wollen, die Suche leichter macht. Liquid State entwickelt ein digitales Publishing-System, mit dem man unkompliziert und schnell Bücher und Magazine online publizieren kann. Frestyl will Live-Musik-Clubs und deren Zuschauer näher zusammenbringen. Und, und, und. "Eine Hotelkette würden wir nicht entwickeln", sagt der Bootcamp-Gründer, "die Projekte müssen alle webbasiert sein."

Lockt die Kreativhauptstadt Berlin eine andere Start-up-Klientel an als andere Städte? "Ja", sagt der Bootcamp-Gründer, "es sind weniger Hardcore-Tekkies dabei und mehr soziale Netzwerker, Musikfreunde und andere Kreative." Für ihn sei völlig klar gewesen, so schnell wie möglich nach Berlin zu kommen. Die Stadt sei sehr international, sehr offen, und man könne hier, im Gegensatz zu Businessmetropolen wie London, noch relativ günstig leben - optimale Voraussetzungen für Start-ups. Überhaupt meint Farcet, könnte Berlin "ein Schlüsselstandort für Unternehmen in ganz Europa werden". Schon jetzt gebe es eine regelrechte Talente-Migration in die Stadt. Josh Jacobson aus Denver, Mitgründer von It's Platonic, bestätigt: "In den USA haben alle gesagt: Wenn du international arbeiten willst, geh nach Berlin!"

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