Sparpläne:Unis geben den Geist auf

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Viele Unis sparen bei den Geisteswissenschaften, streichen Professorenstellen oder schaffen gleich ganze Studiengänge ab. Besonders dramatisch ist die Situation in Hamburg.

Von Marion Schmidt

Die Universität Hamburg hat sich vor einiger Zeit einen Beinamen verpasst, der dem Selbstverständnis einer Freien- und Hansestadt entspricht. Sie versteht sich als "Tor zur Welt der Wissenschaft". Womit sie ausdrücklich den großen Stellenwert ihrer Orchideenfächer betont. Fächer wie Vietnamistik, Thaiistik oder Äthiopistik lassen sich nur in Hamburg studieren.

Voll besetzter Hörsaal an der Universität Saarbrücken: "Dramatische Ökonomisierung des Wissens" (Foto: Foto: dpa)

Wahrscheinlich muss sich die Uni bald einen neuen Beinamen suchen, denn dieses besondere Profil droht sie zu verlieren, wenn die Empfehlungen aus einem Gutachten des Hochschul-Informations-Systems (HIS) umgesetzt werden, das letzte Woche bekannt wurde. Darin werden erstmals im Detail die Auswirkungen genannt, die der im Januar letzten Jahres vorgelegte Bericht der Dohnanyi-Kommission als Leitlinien vorgegeben hat.

Nach dem HIS-Gutachten soll bis zum Jahr 2012 die Zahl der Studenten in den geistes-, kultur- und sprachwissenschaftlichen Fächern um fast 60 Prozent reduziert und die Zahl der Professoren halbiert werden. Die Folgen wären dramatisch: Außer den Lehramtsfächern müssten alle anderen Fächer geschlossen werden. Sämtliche Orchideenfächer fielen weg, in den Kernfächern wäre nur noch ein Minimalprogramm möglich.

Die Empörung ist groß, der Widerstand auch. Die Dekane der vier betroffenen Fachbereiche sprechen in einer internen Stellungnahme von einer ¸¸Zerschlagung der Geisteswissenschaften". Hamburg würde zu einer unbedeutenden Provinzuniversität herabgestuft - "eine bildungs- und gesellschaftliche Bankrotterklärung". Mit den jetzt angekündigten Kürzungen verletze der Senator die von ihm selbst wiederholt betonte Autonomie der Universität. "Kein anderer Hamburger Senator", so die erbosten Dekane weiter, "hat derart drastisch mit detaillierten planwirtschaftlichen Vorgaben in die Universität hineinregiert."

Für den Fachbereich Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften etwa bedeute das konkret: 28 von 67 Professorenstellen würden wegfallen. Aufgegeben werden müssten dann die Sprachlehrforschung, ein Exzellenzbereich in den Angewandten Sprachwissenschaften, die Gebärdensprache, einzigartig in Deutschland und mit 25 Millionen Euro Drittmitteln im Jahr 2003, sowie der Studiengang Journalistik, der bundesweit zu den profiliertesten gehört und bei Studenten sehr beliebt ist.

"Signalwirkung für das ganze Land"

Der Bereich Kulturwissenschaften müsste sogar auf 80 Prozent seiner Fächer verzichten - ein echter Kahlschlag, der zu einem "nicht wieder gut zu machenden Schaden" führen würde, heißt es in einem internen Worstcase-Szenario der Uni. Die vom Wissenschaftssenator angestoßene Radikalkur würde zur Sterbebegleitung für die betroffenen Fächer. Würde aber die hochschuleigene Strukturplanung verwirklicht, könnte bei gleichem Budget ein Großteil der kleinen Fächer bleiben.

Senator Jörg Dräger, der das HIS-Gutachten in Auftrag gab, nennt die Einschnitte zwar "schmerzhaft und unangenehm", besteht jedoch weiter darauf, die Hochschulen nach dem Arbeitsmarktbedarf der Region auszurichten. Der Sprecher der vier geisteswissenschaftlichen Fachbereiche der Uni, Knut Hickethier, fürchtet, "wenn das durchkommt, hat das Signalwirkung für das ganze Land".

Schon jetzt setzen Wissenschaftsminister und Hochschulrektoren in allen Bundesländern ihren Rotstift vor allem in den Geisteswissenschaften an. In Berlin wird an der TU nahezu die ganze geisteswissenschaftliche Fakultät aufgelöst. An der Freien Uni wird es massive Einschnitte geben bei Geschichte und Psychologie, die traditionsreiche Soziologie wird aufgegeben.

Auch an der Uni Bayreuth stehen die Soziologie zur Disposition, ebenso Geschichte und Literaturwissenschaft. In Erlangen ist die Streichliste noch länger, dort wird wohl ein Großteil des geisteswissenschaftlichen Angebots abgewickelt werden, wie der Prorektor der Uni, Harald Meerkamm, einräumen muss - nicht jedoch ohne zu betonen, dass in allen Fakultäten gekürzt werde.

Eine "Verarmung der Hochschullandschaft", sieht Axel Horstmann, zuständig für den Bereich Geistes- und Gesellschaftswissenschaften bei der Volkswagen-Stiftung, wenn ganze Fächer von der akademischen Landkarte verschwinden. Er sieht "die Gefahr, dass die Hochschulen alle uniform werden". Die Stiftung wendet sich bewusst gegen diesen Trend und fördert kleine Fächer besonders. "Wir wollen da auch ein Signal setzen", sagt Horstmann, selbst Philosoph, "aber wir können natürlich keine Ersatzfinanzierung leisten".

Romanisten sagen leise "Ciao"

So verschwinden immer mehr Sprachen aus dem Kanon deutscher Hochschulen, als gefährdet gelten mittlerweile sogar Italienisch und Portugiesisch, weil die Romanistik überall ausgedünnt werde, sagt Harald Thun, der für den Romanistenverband 2003 eine entsprechende Erhebung gemacht hat.

Dirk Hoeges weiß, wie es ist, weggespart zu werden. Sein Romanisches Institut an der Uni Hannover wird den Sparplänen den niedersächsischen Wissenschaftsministers Lutz Stratmann (CDU) geopfert, zusammen mit der Soziologie. Der Romanist fühlt sich derzeit "wie ein Konkursverwalter". Denn mit seiner Professorenstelle verschwindet ein ganzes Fachgebiet, Forschungsgelder, Stellen für Assistenten, Betreuung von Doktoranden, internationale Kontakte.

Hoeges würde gern mehr qualifizierte Absolventen promovieren, doch er kann ihnen keine Stelle anbieten und keine Perspektive. Sein letzter Assistent musste vor gut einem Jahr gehen, weil sämtliches Geld für den Mittelbau gestrichen wurden.

Viel lässt sich mit der Abwicklung geisteswissenschaftlicher Fächer aber nicht sparen; Philologen brauchen keine teuren Geräte oder Labore. Deshalb argwöhnt nicht nur Romanist Hoeges, dass man dadurch vielmehr kritische Wissenschaftler loswerden wolle. Konrad Ehlich vom Deutschen Germanistenverband beklagt zudem "eine drastische Ökonomisierung des Wissens".

Alles, was nicht der unmittelbaren wirtschaftlichen Verwertbarkeit diene, werde "platt gemacht". Die Situation sei "dramatisch". Dabei will Ehlich den Geisteswissenschaften den Vorwurf nicht ersparen, dass sie sich zu spät Reformen gestellt hätten, und dass sie es vielfach versäumt haben, ihre Erkenntnisse und Interessen öffentlich zu vertreten.

Dafür gehen sie jetzt auf die Barrikaden. Der streitbare Romanist Hoeges etwa kämpft weiter für seinen "kleinen dynamischen Laden". Und auch in Hamburg wächst derweil der Widerstand gegen die Pläne des parteilosen Senators. An der Uni kocht die Wut gegen die drastischen Einschnitte. Die Dekane der vier am meisten betroffenen Fachbereiche gehen auf offenen Konfrontationskurs zur Wissenschaftsbehörde. Sie weigern sich, die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge einzuführen, ebenso die Bildung der neuen Fakultät.

"Wir sind bereit, die neuen Abschlüsse ab dem nächsten Jahr einzuführen", sagt Knut Hickethier, "aber jetzt können wir die Pläne in den Papierkorb werfen, weil wir nicht wissen, wie wir unter diesen Umständen die Betreuung der Studenten gewährleisten können." An der Hochschule ärgern sie sich vor allem darüber, dass sich Dräger mit seiner Reform offenbar profilieren will - auf Kosten der Uni. "Das machen wir nicht mit", stellt Hickethier klar.

Auch die Studentenvertreter kündigen bereits Proteste an. Selbst in den eigenen Reihen mehrt sich Kritik am Vorgehen des forschen Senators. Inhaltlich, so hört man aus dem Rathaus, stehe die CDU keineswegs geschlossen hinter den Plänen. Der hochschulpolitische Sprecher der regierenden CDU-Fraktion, Wolfgang Beuß, ließ verlauten: "Wir brauchen die Geisteswissenschaften". Es gäbe noch "viel Gesprächsbedarf, die Vorschläge sind nicht das Amen in der Kirche".

© Süddeutsche Zeitung vom 30.08.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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