Sozialauswahl bei Kündigung:Bundesarbeitsgericht bestärkt Familienvater

  • Spricht eine Firma betriebsbedingte Kündigungen aus, so trifft es erst die Mitarbeiter ohne Kinder - ganz egal ob sie länger im Betrieb arbeiten als ihre Kollegen und Kolleginnen mit Familie.
  • Das Thema "Sozialauswahl" beim Kündigungsschutzgesetz ist eines der heikelsten Elemente bei betriebsbedingten Kündigungen: Urteile dazu haben sich bislang oft widersprochen.

Von Dorothea Grass

Der Fall

Ein 42-jähriger Salesmanager, der seit mehr als sechs Jahren bei einer Softwarefirma Computerspiele entwickelt und vertreibt, bekommt von seinem Arbeitgeber eine Änderungskündigung. Das Unternehmen begründet den Schritt damit, dass der Aufgabenbereich des Vertrieblers automatisiert wird und will diesen auf zehn Stunden Wochenarbeitszeit und ein monatliches Gehalt von 850 Euro herabstufen. Der Salesmanager, der zwei kleine Kinder hat und dessen Frau nur geringfügig verdient, lehnt die Änderungskündigung ab, weil er mit diesem Einkommen nicht ausreichend seine Familie unterhalten kann. Somit gilt das Arbeitsverhältnis als beendet - wie bei vielen betriebsbedingten Kündigungen.

Die Streitfrage

Der Salesmanager möchte seine Kündigung allerdings nicht hinnehmen und klagt vor dem Arbeitsgericht. Er beruft sich dabei auf die Sozialauswahl im Kündigungsschutzgesetz und verweist darauf, dass an seiner Stelle seine Kollegin die Änderungskündigung hätte bekommen müssen. Sie ist zwar drei Jahre länger im Unternehmen, hat aber keine Kinder und ist unverheiratet.

Das Gericht gab dem 42-Jährigen recht. Im Berufungsverfahren stellte das Landesarbeitsgericht in Köln ebenfalls fest: "Im Vergleich zu der 'nur' drei Jahre länger beschäftigten Kollegin wiegen die drei Unterhaltspflichten des Klägers deutlich schwerer." Dagegen hatte das Unternehmen Revision eingelegt; nun sollte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entscheiden.

So argumentieren Kläger und Beklagte

Der Kläger beruft sich auf seine Unterhaltspflicht gegenüber seinen zwei Kindern und seiner nur geringfügig verdienenden Ehefrau. Er fordert in seiner Kündigungsschutzklage die Weiterbeschäftigung in dem Unternehmen.

Das beklagte Unternehmen findet, bei der Auswahl des Klägers die Sozialkriterien bei betrieblichen Kündigungen ausreichend berücksichtigt zu haben. Es stuft den Salesmanager nicht als schutzwürdiger ein als seine gering ältere, kinderlose Kollegin.

Das Urteil

Das Bundesarbeitsgericht folgt mit seinem Urteil dem LAG Köln und stuft die Kündigung als unwirksam ein. Auch die Begründung des Urteils ist mit der letztinstanzlichen identisch. Gerichtssprecher Waldemar Reinfelder: "Die Unterhaltspflicht des Klägers wirkt in diesem Fal schwerer als die längere Betriebszugehörigkeit der Frau." Der Kläger müsse damit wieder zu den alten Konditionen in dem Unternehmen beschäftigt werden.

Das sagt der Arbeitsrechtsexperte

Daniel Hautumm, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Düsseldorf: "Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts war erwartbar. Der Arbeitgeber ist nun verpflichtet, den Arbeitnehmer zu den alten Bedingungen weiter zu beschäftigen. Die Erfurter Richter orientieren sich an den bisherigen Punkteschemata, die bei der Sozialauswahl zugrunde gelegt worden sind. In den bisher vom Bundesarbeitsgericht abgesegneten Schemata wogen Unterhaltspflichten schwerer als Betriebszugehörigkeitsjahre. In einer Änderungsklage geht es ja immer um die Frage, wem veränderte Arbeitsbedingungen am ehesten zugemutet werden können."

Was bedeutet die Sozialauswahl im Kündigungsschutzgesetz?

Der SZ.de-Arbeitsrechtexperte
Daniel Hautumm
Daniel Hautumm, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt Daniel Hautumm ist Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Düsseldorf. Nachdem er zunächst für eine internationale Großkanzlei auf Arbeitgeberseite tätig war, vertritt er nun sowohl Arbeitnehmer als auch kleinere Unternehmen. Sein Spezialgebiet sind Kündigungsschutzprozesse. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite von Daniel Hautumm.

Werden in einem Unternehmen mit mehr als zehn Arbeitnehmern betriebsbedingte Kündigungen beschlossen, greift die Sozialauswahl des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Der Arbeitnehmer, der sozial am stärksten eingeordnet wird, muss als erstes seinen Platz räumen. Dabei werden vier Kriterien berücksichtigt: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung.

Arbeitsrechtler Hautumm erklärt: "Das Thema Sozialauswahl ist stetig im Fluss. In Deutschland verändert sich die Altersstruktur, das Renteneintrittsalter steigt, die Menschen arbeiten länger. Wer ist also als schutzbedürftig einzustufen, wenn betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden? Es gab in den vergangenen Jahren ganz unterschiedliche Urteile dazu, weil der Gesetzgeber vier Kriterien festgelegt hat, die der Arbeitgeber einzeln nach einem Punkteschema bewertet. Im Streitfall liegt der endgültige Bewertungsspielraum bei den Gerichten. Der Gesetzgeber möchte dadurch eine Einzelfallgerechtigkeit gewährleisten." Eine eindeutige Tendenz ließe sich aufgrund des aktuellen Urteils daher nicht ableiten.

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