Silicon-Valley-Gründerin Julia Hartz:"Du musst Leute einstellen, die klüger sind als du"

Eventbrite

Julia Hartz, die Gründerin von Eventbrite

(Foto: Eventbrite)

Julia Hartz leitet die Ticketplattform "Eventbrite". Ein Gespräch über Frauen im Silicon Valley und darüber, wie es ist, ein milliardenschweres Unternehmen mit dem Ehemann zu führen.

Interview: Hannah Beitzer

Veranstaltungen organisieren, Werbung machen und Tickets dafür verkaufen: Das verspricht die Plattform "Eventbrite". Seit 2014 gehört Eventbrite zum "Billion Dollar Startup Club", also zu den Start-ups, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind. Julia Hartz, 36 Jahre alt, gründete die Plattform 2006 gemeinsam mit ihrem Mann Kevin.

SZ: Ihre Karriere begann nicht im Silicon Valley, sondern beim Musiksender MTV und der legendären Pubertäts-Stunt-Sendung Jackass. Was hat Ihnen damals gefallen an ein paar Jungs, die mit Bungee-Seilen in Dixie-Klos springen?

Julia Hartz: Ich habe in Los Angeles Filmproduktion studiert und mit einem Praktikum bei MTV angefangen, nach dem Studium bin ich dort geblieben. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich die Pilot-Folge von Jackass sah. Es war so verrückt, dass ich dachte: Das hat irgendwas. Besonders PC Clapp, der Darsteller von Johnny Knoxville, hatte eine irre Präsenz und war völlig durchgeknallt. Mir hat es damals unheimlich gefallen, bei einem Sender zu arbeiten, der sich auf so etwas einlässt. Das gibt es in Hollywood nicht oft. Danach war ich bei FX Networks, die zum Beispiel "Nip/Tuck" produziert haben.

Warum haben Sie Hollywood verlassen?

Aus drei Gründen. Zum einen lernte ich 2002 meinen Mann Kevin kennen. Er lebte in San Francisco, gründete gerade sein zweites Start-up: Xoom, ein Unternehmen für internationale Geldtransfers. Nach einiger Zeit haben wir uns verlobt und wollten zusammenleben. Ich komme selbst aus San Francisco und wollte immer dorthin zurück.

Zweitens gibt es in der Tech-Szene eine sehr spezielle Philosophie, die mich fasziniert hat. Die Dinge verändern sich so schnell, dass ich es selbst heute manchmal kaum fassen kann. In Hollywood verändert sich fast gar nichts. Das ist ein Grund, warum es dort mit der Branche so bergab geht.

Und drittens hat mir gefallen, dass es im Silicon Valley viel mehr darauf ankommt, was du weißt und was du getan hast, als darauf, wen du kennst. Auch das ist in Hollywood anders. Deshalb habe ich mich 2005 entschlossen, mein eigenes Unternehmen zu gründen.

Das war ein großes Risiko - fiel Ihnen das schwer?

Als Kind war ich Ballerina, ich war dazu erzogen, Anweisungen zu befolgen und nicht aus der Reihe zu tanzen. Eigentlich hatte ich auch in San Francisco erst ein anderes Jobangebot bei einem Fernsehsender. Sie haben mir allerdings ein wirklich niedriges Gehalt angeboten. Ich war 25 und habe überlegt: Will ich das? In dem Moment kam Kevin mit der Idee: Lass uns etwas gemeinsam machen!

Mir hat sicherlich Kevins Erfahrung als Gründer bei der Entscheidung geholfen. Ich habe erlebt, wie großen Spaß es ihm macht, sich neuen Dingen zu widmen. Dann habe ich etwas über mich selbst gelernt, das ich vorher nicht wusste: Was für großen Spaß es auch mir macht, jeden Tag etwas Neues zu lernen - einfach, indem ich es tue.

Frauen brauchen Frauen

Inzwischen hat Eventbrite fast 600 Mitarbeiter in acht Ländern. Ist es nicht seltsam, wenn der Punkt kommt, an dem man nicht mehr jeden Mitarbeiter kennt, Kontrolle abgeben muss?

Wenn du ein Unternehmen leiten willst, musst du mit ihm wachsen. Ich reise viel und versuche, mit meinen Mitarbeitern in Kontakt zu bleiben. Mir ist es auch wichtig, dass sie mich jederzeit ansprechen können. Das ist natürlich bei 600 Mitarbeitern nicht immer möglich. Für die Leute in San Francisco ist es sicherlich leichter als für die in Mendoza in Argentinien. Da ist es natürlich nötig, auch Kontrolle abzugeben. Mein Grundsatz ist: Du musst Leute einstellen, die klüger sind als du. Das macht es leichter, ihnen zu vertrauen.

Im Silicon Valley gibt es nicht viele Frauen, die Unternehmen gründen. Hat das damit zu tun, dass Mädchen immer noch eher zu Ballerinas als zu Unternehmerinnen erzogen werden?

Ich glaube, dass eine Sache noch wichtiger ist als die Erziehung: Vorbilder. Dass ich heute hier als Chefin eines milliardenschweren Tech-Unternehmens sitze, hat viel mit guten Vorbildern zu tun, männlichen und weiblichen. Sie haben mir Ratschläge gegeben, mich inspiriert. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass es mehr Frauen in der Tech-Szene ganz nach oben schaffen. Denn sie werden sicherstellen, dass andere Frauen nachkommen.

Die US-Zeitschrift "Fortune" zählte Eventbrite 2015 zu den "100 besten Arbeitsplätzen für Frauen". Was läuft bei Ihnen anders?

Fast die Hälfte unserer Angestellten sind Frauen, 40 Prozent unserer Führungskräfte sind Frauen, 33 Prozent des Vorstands sind Frauen. Das ist für ein Tech-Unternehmen sehr viel. Mir persönlich ist es noch nicht genug. Wir haben sehr viel darüber nachgedacht, was für ein Unternehmen wir sein wollen. Es geht dabei zum einen um die Atmosphäre. Aber auch darum, bei der Talentsuche auf Vielfalt zu achten. Übrigens nicht nur, was das Geschlecht angeht. Das ist eine psychologische Frage. Man fühlt sich immer wohler, wenn man das Gefühl hat: Da sind noch andere wie ich.

In Deutschland geben viele Frauen ihre Karriere auf, sobald sie das erste Kind bekommen. Wie ist das in den USA?

Ähnlich. Selbst in San Francisco schalten viele Frauen erst einmal einen Gang zurück. In der Klasse meiner Kinder arbeitet vielleicht die Hälfte aller Mütter, viele von ihnen Teilzeit. Das ist schon überraschend für die progressivste Stadt der USA. Tatsächlich haben wir hier noch keine befriedigende Lösung, gleichzeitig Vater oder Mutter zu sein und Vollzeit zu arbeiten. Unser Staat unterstützt die Idee, dass beide Partner arbeiten, auch nicht besonders. Tatsächlich haben wir nicht einmal staatlich bezahlte Elternzeit, das ist häufig Sache der Unternehmen. Ich würde heute nicht hier sitzen, wenn mein Mann nicht ein wahrer Partner wäre - zu Hause und in der Arbeit.

Ehemann und Mitgründer: Wie geht das?

Was tun Sie, um junge Eltern zu fördern?

Unser Ziel bei Eventbrite ist es, unsere Mitarbeiter in einer partnerschaftlichen Aufteilung zu unterstützen. Bei uns erhält zum Beispiel der Elternteil, der sich zuerst um das Kind kümmert, 16 Wochen voll bezahlte Auszeit. Der zweite Elternteil bekommt zwölf Wochen. Das klingt für deutsche Ohren wahrscheinlich nicht nach viel, aber nach unseren Maßstäben ist das ein Fortschritt.

Haben Sie bei Eventbrite viele junge Familien?

Ja. Bei uns arbeiten viele Millennials, die fangen gerade mit dem Kinderkriegen an. Ich finde es wundervoll! Denn das große gesellschaftliche Problem kann ich vielleicht nicht lösen, aber hier im Kleinen kann ich viel bewegen. Die Zeit der Familiengründung ist eine wichtige Phase im Leben, in der wir uns gegenseitig unterstützen sollten. Ich habe ja selbst zwei Töchter und kann einiges an Erfahrung weitergeben. Der Austausch mit anderen ist für junge Eltern vielleicht noch wichtiger als die Elternzeit-Regelungen.

Welche Hilfe erhalten junge Eltern, die zurück zur Arbeit kommen?

Wir haben zum Beispiel sehr schöne Räume, in denen Mütter Milch abpumpen können. Ich habe das ja alles auch erlebt, deswegen weiß ich, wie schwierig diese Zeit manchmal ist. Leider haben wir keine Tagesbetreuung für Kinder wie die großen Unternehmen, zum Beispiel Google. Das ist für ein kleineres wie unseres leider ein zu hoher bürokratischer Aufwand. Aber unsere Angestellten bringen oft ihre Kinder mit. Meinetwegen könnten sie es noch viel häufiger tun. Einem Mitarbeiter ist zum Beispiel einmal die Kinderbetreuung ausgefallen. Seine Frau musste auch arbeiten. Er musste einen wirklich wichtigen Vertrag abschließen. Wir haben das Baby dann abwechselnd geschaukelt, bis er fertig war.

Ihre Töchter sind acht und vier Jahre alt. Wie haben Sie die Betreuung geregelt?

Mein Mann und ich kommen beide aus San Francisco. Deswegen haben wir das große Glück, dass unsere Familien uns unterstützen können. Anders hätten wir das Unternehmen so gar nicht aufbauen können. Ich hatte auch keine Nanny, als ich mein erstes Kind bekam. Damals hatten wir noch ein kleines, fensterloses Büro. Ich hab meine Tochter einfach mitgebracht und unter dem Schreibtisch abgestellt. Und sie hat sich ganz gut entwickelt. (lacht)

Gleichzeitig eine Familie und ein gemeinsames Unternehmen zu gründen, klingt nach einer Menge Stoff für Konflikte. Wie sorgen Sie und Ihr Mann dafür, dass private Auseinandersetzungen nicht die Arbeit stören?

Wir haben einfach großes Glück. Es kommt nicht oft vor, dass ein Ehepaar erfolgreich ein Unternehmen unserer Größe gründet. Wenn man als Paar ein Unternehmen gründet, bekommt man eine Menge Horrorstories erzählt von Paaren, bei denen es schiefgegangen ist.

Wir haben uns allerdings zu Beginn auf ein paar wesentliche Dinge geeinigt. Erstens: Die Beziehung hat bei uns immer oberste Priorität. Zweitens: Teile und herrsche. Wir arbeiten nie zur gleichen Zeit an exakt demselben Projekt. Das funktioniert gut, weil wir unterschiedliche Talente haben. Kevin denkt immer daran, was in der Zukunft noch möglich ist, häufig auf einem sehr abstrakten Level. Ich nehme seine Ideen auf und mache sie möglich. Ich bin ein sehr pragmatischer und logisch denkender Mensch. Sich so zu ergänzen, ist wichtig für ein Gründerteam. Und zwar ganz egal, ob es ein Ehepaar ist oder nicht.

Was sind denn Projekte, an denen Sie gerade arbeiten?

Wir wollen perspektivisch mehr sein als eine Seite, auf der Tickets verkauft werden. Wir überlegen, wie wir auch andere Aspekte von Veranstaltungen mit unserer Technik unterstützen können. Das können zum Beispiel Armbänder sein, mit denen man auf Konzerte kommt, ohne ein Ticket ausdrucken zu müssen. Es kann aber auch die Frage sein, wie man in einer fremden Stadt tolle Veranstaltungen findet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: