Sexismus am Arbeitsplatz:"Für Männer sind Frauen zu schüchtern oder zu tough"

Männer und Frauen im Büro, Arbeit, Sexismus

Männer und Frauen bei der Arbeit - das geht oft nicht  ohne Konflikte.

(Foto: imago stock&people)

Die Sexismusdebatte tobt. Vielerorts hat sie den Geschlechterkampf am Arbeitsplatz neu befeuert. Im Interview spricht Martine Herpers, Expertin für Gender-Fragen in Unternehmen, über klischeehafte Rollenbilder, Frauen, die sich zu wehren lernen - und intelligenten Flirt bei der Arbeit.

Von Artur Lebedew

Gräben ziehen sich durch viele Unternehmen und Betriebe. Sie verlaufen auch zwischen den Geschlechtern. Haben die Diskussion um die Frauenquote und die laufende Sexismus-Debatte sie noch verbreitert? Die Frage, wie man Frauen und Männer bei der Arbeit zusammenbringt, stellt sich für Martine Herpers, 50, täglich. Sie berät Unternehmen zu Gender-Fragen und ist Vorsitzende der Vereinigung "Erfolgsfaktor Frau". Herpers hat selbst jahrelang Erfahrungen in männerdominierten Domänen gemacht: Zunächst arbeitete sie als Informatikerin in der Wissenschaft, später als Managerin in internationalen Unternehmen.

SZ.de: Frau Herpers, müssen wir in Zukunft bei der Arbeit Frauen von Männern trennen?

Martine Herpers: Natürlich arbeiten Frauen gerne mit Frauen zusammen und Männer gerne mit Männern. Das sieht man häufig bei der Berufswahl. Aber wenn wir Frauen von Männern trennen würden, berauben wir uns aller Diversity-Vorteile.

Was meinen Sie damit?

Nehmen wir das Beispiel Auto. Es ist vorteilhaft, ein Produkt aus den Blickwinkeln beider Geschlechter zu betrachten. Wenn wir das perfekte Fahrzeug bauen wollen, brauchen wir die Perspektive von Männern und Frauen. Denn beiden sind unterschiedliche Dinge wichtig. Generell sind Frauen häufig risikoscheuer als Männer und überdenken eine Situation zweimal. Diese Eigenschaften stünden zum Beispiel auch den männerdominierten Führungsriegen von Banken oder Versicherungen ganz gut zu Gesicht.

Müssen wir Männer und Frauen zum gemeinsamen Arbeiten erziehen?

Männer müssen lernen, mit Frauen respektvoller umzugehen. Und Frauen müssen lernen, selbstbewusster zu werden, Dinge zurückzuweisen, wenn sie ihnen nicht gefallen. Frauen sprechen Probleme oft nicht an, weil sie Angst haben, aus dem Team ausgeschlossen zu werden. Und sie lassen Männern Sachen durchgehen, weil sie sie nicht gleich als diskriminierend erkennen. Sie wehren sich etwa zu selten bei abfälligen Bemerkungen. Aber wenn Frauen bei solchen Witzen immer nur mitlachen, obwohl sie als Frau herabgewürdigt werden, dann werden die Männer ihr Verhalten nicht ändern.

Wie wehrt man sich erfolgreich gegen sexuelle Belästigung von Vorgesetzten?

Da haben die Opfer kaum Chancen. Die einzige Möglichkeit ist ein mühevoller Rechtsweg - aber auch hier stehen die Erfolgsaussichten schlecht. Im Normalfall verlässt die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter am Ende die Firma.

Klingt sehr pessimistisch.

Leider ja. Natürlich hängt es davon ab, wie grob die Vergehen sind. Bei kleinen Neckereien reicht es oft, wenn man die Situation anspricht und Grenzen zieht. Wenn dann der Vorgesetzte allerdings nicht nachgibt, kann die belästigte Person nicht viel machen. In solchen Fällen wäre eine psychologische Beratung nötig, die die Vorgesetzten zur Selbstreflexion ihrer Verhaltensweisen bringt.

"Unternehmen müssen neue Bilder schaffen"

Wird die Sexismus-Debatte den Arbeitsalltag zwischen Männern und Frauen verändern?

Die Veränderungen passieren bereits. Zum einen gehen Arbeitskollegen und -kolleginnen bewusster miteinander um. Zum anderen wird aber auch Öl ins Feuer gegossen, wodurch sich der Graben zwischen Männern und Frauen weitet. Die Männer sagen dann: Typisch Frauen! Die Frauen antworten: Typisch Männer!

Martine Herpers

Martina Herpers hat mehr als 20 Jahre bei internationalen und mittleren Unternehmen in der Telekommunikations- und Automobilbranche gearbeitet. Die promovierte Informatikerin berät heute Unternehmen zu Gender-Fragen.

(Foto: privat)

Wie können solche Gräben zwischen den Geschlechtern geschlossen werden?

Hier sind die Vorgesetzten in der Pflicht. Wenn sich Missverständnisse zwischen Männern und Frauen verstärken, müssen sie eine professionelle Beratung dazu holen. In den meisten Firmen wird die Sexismus-Debatte allerdings wenig Einfluss haben. Dort scherzt man eher darüber und dann geht es weiter.

Was passiert bei einer solchen Geschlechter-Beratung?

Wenn Männer und Frauen ihr Verhalten reflektieren sollen, geht das nur mit Hilfe von Gender-geschulten Psychologen. Diese initiieren Gespräche zwischen beiden Geschlechtern und machen sie anschließend darauf aufmerksam, was sie wie sagen und wie das bei Kollegen des jeweils anderen Geschlechts ankommt. Die zweite Art des Trainings liegt auf der Wissensebene: Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen reflektieren über sich und ihre Rollenbilder und stellen sich der Frage: Wie kann ich im Arbeitsalltag verhindern, dass Stereotype hochkommen?

Es geht also um Klischees?

Rollenstereotype sind stark in unserem Denken verankert. Ich erwische mich selbst dabei, wie ich manchmal Frauen und Männer unterschiedlich beurteile. Die klassischen Muster sind, dass der Mann mächtig ist, gerne die Führung übernimmt. Die Frau hingegen möchte zu Hause bleiben und sich um das Zusammenleben kümmern. Dabei müssen etwa im Büroalltag beide Geschlechter alles können: Auch Männer müssen zuhören können, damit sie wissen, wo die Probleme liegen. Frauen dagegen müssen Befehle geben können, um Arbeit zu delegieren.

In der Realität unterscheiden sich Männer von Frauen aber schon. Männer prahlen gerne mit ihren Erfolgen.

Frauen halten sich da häufig zurück. Dabei ist es ein guter Tipp an die Frauen, sich besser darzustellen und von ihren Erfolgen zu erzählen. Sonst kriegt das doch keiner mit! Allerdings beginnt hier das Problem: Wenn Frauen dann doch die Marschroute angeben und sich anders verhalten, als ihre Rolle es zuschreibt, heißt es von Männerseite schnell: Was erlaubt sie sich eigentlich?

Wenn sich Frauen wie Männer verhalten, wird das nicht toleriert?

Richtig. Wenn eine Frau in eine männerdominierte Führungsebene aufsteigen möchte, ist sie für die Männer dort entweder zu schüchtern oder zu tough. Die optimale Balance dazwischen zu finden, gelingt fast keiner Frau.

Was können Unternehmen tun, um Klischeedenken abzubauen?

Sie müssen neue Bilder schaffen. Viele Unternehmen machen das inzwischen und zeigen etwa in ihren Broschüren mächtige Frauen. Oder Männer, die privat ihrem Hobby nachgehen, anstatt nur dem beruflichen Erfolg nachzueifern. Solche Bilder brechen alten Muster auf und bleiben im Kopf.

Flirten verboten? "Hat die Kirche auch nicht geschafft!"

Erst die Diskussion über die Frauenquote, jetzt die Sexismus-Debatte. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

Es findet ein Umdenken statt. Frauen sehen sich in Führungspositionen unzureichend vertreten und fühlen sich im männerdominierten Management häufig nicht wohl. Mir erzählen Frauen in leitenden Positionen, dass sie wie Sekretärinnen behandelt werden. Männer, aber auch wir als Gesellschaft ignorieren, dass Frauen diese Stellungen inzwischen haben. Deshalb brauchen wir eine Frauenquote und eine Debatte, wie man miteinander umgeht.

Machen Männer da mit?

Vor allem junge Männer sind heute nicht mehr bereit, 60 Stunden in der Woche zu arbeiten. Sie fordern Familienurlaub und eine stärkere Work-Life-Balance. Die Gesellschaft wandelt sich - allein unsere männlichen Strukturen und Rollenbilder haben sich daran noch nicht angepasst.

Macht die Sexismus-Debatte Führungspersonen unsicher, wie sie mit dem anderen Geschlecht umgehen sollen?

Unsicherheit ist der erste Schritt, etwas zu hinterfragen. Schlimm wäre es, wenn das dazu führen würde, dass Männer und Frauen nicht mehr miteinander reden. Aber eine gesunde Unsicherheit schadet niemandem, sondern kann dazu beitragen, dass Dinge angesprochen werden, die sonst verschwiegen würden.

Führt diese Unsicherheit vielleicht dazu, dass Männer und Frauen aufhören, am Arbeitsplatz miteinander zu flirten?

Das hat noch nicht einmal die Kirche geschafft! Und diese Debatte wird es auch nicht schaffen. Im Gegenteil: Gute und intelligente Sprüche werden dadurch noch beliebter.

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