Seminar für Führungskräfte:Wo Topmanager Schwäche zeigen dürfen

Die Welt des Topmanagements ist ein Haifischbecken. Normalerweise. In München können sich Führungskräfte ohne Konkurrenzangst austauschen - und dürfen auch mal unsicher sein.

Von Kathrin Steinbichler, München

Mehr als zwei Dutzend Topmanager haben sich an diesem Frühlingsnachmittag im historischen Firmensitz des Rückversicherers Munich Re am Englischen Garten versammelt. Draußen blühen die Bäume, drinnen klirren leise die Kaffeetassen, der hellbraune Teppich unter den sechs mächtigen Kronleuchtern schluckt jeden Schritt. Jeder der Anwesenden jongliert im Alltag mit Millionen von Euro, ringt um Märkte und Ideen, um Mitarbeiter und Aufträge, die Umgangsformen sind geschliffen. Doch plötzlich wird es sehr still im Saal. Klaus Eidenschink hat einen wunden Punkt getroffen.

"Mit wem streite ich, wenn ich einen Konflikt habe?", fragt der Managementberater in den Saal. "Nie mit einem anderen, immer mit mir selbst. Denn jeder Konflikt zeigt einem die eigenen Schwächen auf, man fühlt sich getroffen." Dabei müsse man unterscheiden lernen: "Es gibt persönliche Konflikte, die einen nur angreifen, wenn man sich angreifbar fühlt. Die meisten Konflikte aber sind Organisationskonflikte, die aus den Interessen im Arbeitsalltag entstehen. Bei denen geht es nicht um Sie, sondern um Abläufe und Vorgehensweisen, oft sind sie unvermeidlich. Sie können die unverkrampft angehen und Ihre Souveränität zurückgewinnen."

Ein leises Murmeln ist zu hören, viele Köpfe nicken: Solche Konfliktsituationen kennen alle Manager hier im Raum. Und alle sind begierig darauf zu hören, wie sie damit in Zukunft besser umgehen. Das Besondere allerdings ist: Hier, im geschützten Umfeld dieses speziellen Fortbildungsprogramms für 40- bis 50-jährige Topmanager, können sie offen über derartige Konflikte reden. Ohne einen Hintergedanken, dass ein Konkurrent mithört und den Austausch als Schwäche interpretiert.

Seltene Situation für die Führungskräfte

Ein gemeinsames Projekt fünf großer bayerischer Unternehmen macht es möglich: Die Munich Re, die Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH (BSH), BMW, Giesecke & Devrient sowie die Andreas Stihl GmbH fördern seit fünf Jahren jährlich je fünf ihrer Topmanager durch eine sogenannte "External Peer Reflection". Die fünf Unternehmen sind in völlig unterschiedlichen Märkten tätig und somit keine Konkurrenten - auch nicht als Arbeitgeber, die einem anderen die Führungskraft abwerben könnten.

Die 25 Teilnehmer eines Jahrgangs können so nicht nur ohne Druck über sich und ihre Arbeitsstrukturen reflektieren, sondern auch vorurteilsfrei eine Meinung der außenstehenden Kollegen einholen. Eine seltene Situation im Arbeitsalltag von Führungskräften.

"So ein Thema wie heute", sagt Michael Gerber, Leiter des internationalen Kundendiensts bei BSH, "das wollen Sie nicht unbedingt mit dem Kollegen in der Firma diskutieren." Erst recht nicht mit einem Marktkonkurrenten. Gerber, 49, ist einer dieser nachwachsenden Topmanager in Deutschland, die ähnlich dunkle Anzüge tragen wie die Generationen vor ihnen, die aber bereit sind, immer weiter dazuzulernen. Weil sie wissen, dass die entscheidenden Qualitäten im Topmanagement nicht nur auf Talent und Fachwissen basieren, sondern auch auf der Bereitschaft, sich und seine Fähigkeiten immer weiter zu optimieren.

Austausch über Probleme ist kaum möglich

Unter Führungskräften selbst aber ist der Austausch über konkrete Probleme kaum möglich. Die Welt des Topmanagements ist ein Haifischbecken, in dem nur der schwimmen kann, der sich durchzusetzen weiß. Schwäche oder Vertraulichkeit werden nicht geduldet - der Konkurrent könnte so einen Moment sofort für eigene Zwecke und Ziele ausnutzen. Innerhalb wie außerhalb der eigenen Firma.

Businessmen machen Pause

Einfach mal abschalten: Businessmänner bei der Mittagspause.

(Foto: Getty Images)

"Offizielle Zirkel, in denen ein Manager unterwegs ist und Kollegen trifft, sind oft politisch gefärbt und interessengetrieben. Das Besondere an unserer Maßnahme ist deshalb, dass wir einen Zirkel schaffen, in dem Interessenlandschaften keine Rolle spielen", sagt Wolfgang Hallama. Der 53-Jährige ist bei der Munich Re zuständig für die Personalentwicklung im Management. "Im Gegenteil: Die Teilnehmer stellen fest, dass sie Vertrauen aufbauen und sich austauschen können."

"Ein Gewinn für alle Beteiligten"

Zu Beginn des Programms verpflichten sich die Teilnehmer, nichts von den Inhalten und Gesprächen nach außen zu tragen. Nach einem Auftakttreffen in großer Runde finden sich dann Fünfer-Gruppen zusammen, je einer aus jedem Unternehmen, die sich während des Jahres öfter in kleiner Runde treffen. "Viele treffen sich auch nach Ende ihres Programmjahres, um sich ab und zu zu besprechen. Das ist ein Gewinn für alle Beteiligten", sagt Hallama.

Das klingt einleuchtend. Doch als Andrea Mehde, Personalchefin für die leitenden Angestellten bei BSH, vor fünf Jahren den Anstoß zur "External Peer Reflection" gab, waren die Zweifel groß. "Die Idee war, branchenübergreifend zu agieren, weil wir auch ein bisschen die Sorge hatten, dass einem die Leute sonst abgeworben werden", sagt die 37-Jährige. Inzwischen teilen sich die fünf Unternehmen nicht nur die Kosten und die Organisation für das Programm, sondern laden sich auch reihum - wie jetzt etwa die Munich Re - zu Veranstaltungen in ihre Firmensitze.

Dass das Austauschprogramm für alle Beteiligten ein Gewinn ist, glaubt auch Marcus Winter. Der 43-Jährige hat für die Munich Re in Australien das Geschäft mit Sach- und Haftpflichtversicherungen aufgebaut und ist inzwischen zum Executive Manager mit weltweiter Spartenverantwortung aufgestiegen.

"Man macht am Anfang der Karriere sehr viel Fachausbildung", sagt Winter, "später bekommt man andere Anleitungen: Wie man mit Konflikten umgeht oder mit Führungsverantwortung. Wenn Sie wie hier mit unternehmensfremden Kollegen sprechen, merken Sie, dass ein Vorgehen oft von der firmeneigenen Kultur abhängt, und können es besser einschätzen." In einer globalen Welt, meint Winter, ist es unabdingbar, seinen Horizont ständig zu erweitern. Und wenn es der im Haifischbecken ist.

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