Seit Bologna:Wachsendes Angebot

Graduation Day At HHL Business School

Ein Hut, ein Abschlusszeugnis und alle Berufschancen: Das wünschen sich wohl alle Studenten. Immer mehr erwerben das an einer privaten Hochschule.

(Foto: Jens Schlüter/Getty)

Immer mehr Studenten entscheiden sich für eine privat getragene Hochschule. Einen Schwerpunkt bilden dabei mit knapp zwei Dritteln der Studiengänge die Wirtschafts-, Sozial- und Rechtswissenschaften.

Von Christine Demmer

Für die Elterngeneration war es einfach: Abitur gemacht, Studienfach überlegt, Hochschule ausgesucht, und mit ein bisschen Glück führte die Bewerbung direkt auf einen Studienplatz. Das ist heute ähnlich. Nur haben Studierwillige heute viel mehr Wahlmöglichkeiten, und das bedeutet: Schon Abiturienten müssen gewichtige Entscheidungen treffen. Zum einen ist es seit dem Bologna-Abkommen vom Juli 1999 leichter geworden, im europäischen Ausland zu studieren. Zum anderen haben die öffentlichen Hochschulen in Deutschland rasant wachsende Konkurrenz bekommen. Fast jede dritte der im Wintersemester 2014/15 gelisteten insgesamt 427 Hochschulen und Universitäten steht inzwischen in privater Trägerschaft. Mit 135 Privathochschulen ist ein neuer Rekord erreicht. So viel ist sicher: Er wird gebrochen werden.

Entgegen einer landläufigen Fehlmeinung hat das dynamische Wachstum der privaten Hochschulen nicht direkt mit dem Übereinkommen von Bologna zu tun. Denn Hochschulen, die statt von Bund oder Land von einem privaten Verein oder Verband gegründet und finanziert wurden, gab es schon lange vor Bologna. Schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren wurden zum Beispiel mit der Rheinischen Fachhochschule in Köln und der Fachhochschule Wedel bei Hamburg erste Hochschulen im Eigentum gemeinnütziger Träger staatlich anerkannt. 1974 formierte sich die Fachhochschule Wedel offiziell als erste private Fachhochschule in Deutschland, 1982 folgte mit der Hochschule Witten/Herdecke die erste private Universität. Das entfachte jahrzehntelange Debatten um das Für und Wider von Studiengebühren, die von den Privathochschulen anders als von den Öffentlichen verlangt werden.

Doch erst das europäische Abkommen über die Vereinheitlichung der tertiären Bildung gab das hörbare Startsignal für den kommenden Boom. "Seit 1999 haben die privaten Hochschulen an Zahl und Anzahl der Studierenden kontinuierlich zugenommen", freut sich Peter Thuy, Vorstandsmitglied des Verbands der Privaten Hochschulen (VPH) und Rektor an der Internationalen Fachhochschule Bad Honnef-Bonn. "Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Studierenden beträgt unser Anteil etwa sieben bis acht Prozent, und den haben wir über die Jahre hinweg gehalten. Wir haben uns also mindestens so gut entwickelt wie alle anderen zusammen." Die Statistik bestätigt das. Bis 2010 hat sich die Zahl der Studienanfänger an privaten Hochschulen Jahr für Jahr verdoppelt, von 2729 im Jahr 1995 auf 26 449 fünfzehn Jahre später. Seither haben sie mit jährlich etwa zehn Prozent ordentliche, aber nicht mehr solch sensationelle Zuwächse wie in den Anfangsjahren.

Das wiederum hat direkt mit dem Bologna-Prozess zu tun. Denn angesichts des aufkommenden Wettbewerbs überschlugen sich die öffentlichen Hochschulen im Bemühen, moderner, innovativer und internationaler zu werden. Im Zuge der notwendig gewordenen Umstellung der Studiengänge auf das zweistufige System Bachelor und Master ergoss sich eine wahre Flut an neuen Bildungsangeboten über die Bundesrepublik. Viele Rektoren und neu installierte Hochschulmanager schienen zu glauben: Warum einfach nur das Diplom oder den Magister in einen Bachelor und Master verwandeln, wenn man die Studiengänge gleichzeitig in die Breite auffächern und damit ein attraktives Studienangebot schaffen kann?

Ein wichtiges Ziel, das mit dem Bologna-Abkommen erreicht werden sollte, war die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Also galt es, dem künftigen Bedarf des Arbeitsmarktes Rechnung zu tragen. Damit dachten die Rektoren der öffentlichen Hochschulen erstmals wie die Kollegen aus der Privatwirtschaft. Auch sie öffneten sich stärker der Wirtschaft, schufen insbesondere im Master-Bereich eine kaum übersehbare Flut an Spezialstudiengängen. Kritiker wie Hans Peter Klein, Professor am Lehrstuhl für Didaktik der Biowissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt sieht die Entwicklung so: "Es geht nur noch darum, wie nützlich das Gelernte für Alltag und Beruf ist. Das Wissen an sich hat keinen eigenständigen Wert mehr."

Dennoch scheinen die privaten Hochschulen stärker von der enorm gestiegenen Zahl der Studierwilligen zu profitieren. Zwischen 1995 und 2013 stieg der Anteil der an Privathochschulen studierenden jungen Leute sukzessive von 0,8 auf 6,4 Prozent. Im Wintersemester 2014/15 waren von den insgesamt 2,5 Millionen Studierenden etwa 180 000 an einer privaten Hochschule in Deutschland eingeschrieben - 7,2 Prozent aller Studenten. "Der nichtstaatliche Hochschulsektor ist ein zunehmend wichtigerer Bestandteil des tertiären Sektors", urteilte der Wissenschaftsrat in seinem Jahresbericht 2012. Auch deshalb, weil die Abbruchquoten an privaten Hochschulen mit knapp acht Prozent deutlich unterhalb derer an öffentlichen Hochschulen liegen (21 Prozent).

Die privaten Hochschulen verstehen sich dem VPH zufolge als Bereicherung der Hochschullandschaft. "Als Nischenanbieter verfügen wir über einen unschlagbaren Vorteil", sagt Hans Peter Thuy, "wir können dort innovativ sein, wo die staatlichen Hochschulen aufgrund ihrer Struktur und des Haushaltsrechts eingeschränkt sind." Nirgendwo sonst in Deutschland als am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam beispielsweise kann man "IT-Systems Engineering" studieren oder gemeinschaftlich mit der Stanford University im kalifornischen Palo Alto "Design Thinking" weiterentwickeln. Im Jurastudium an der Bucerius Law School in Hamburg ist eine fachspezifische Fremdsprachenausbildung integriert - das ist nicht Standard an anderen rechtswissenschaftlichen Fakultäten.

Auffällig ist: Drei Fünftel aller Studierenden an privaten Hochschulen entscheiden sich für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften. Auf diese Fächer konzentriert sich auch der Großteil des Angebots.

Allerdings sind auch privat geführte Hochschulen immer wieder in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Im Frühjahr 2015 musste die Private Hochschule Neuss ihre Tore schließen, im Jahr zuvor war die von der Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan gegründete Humboldt-Viadrina School of Governance pleite. Auch die European Business School in Wiesbaden kommt nicht aus den Schlagzeilen. Das macht deutlich, dass auch die von den privaten Hochschulen erhobenen Studiengebühren nicht vor Fehlkalkulationen schützen.

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