Schutz vor Benachteiligung im Job:"Nur weiße Männer um die 30"

Hochqualifiziert und trotzdem nur Absagen: In der Arbeitswelt werden Ausländer, Ältere und Frauen noch immer benachteiligt, klagt Christine Lüders. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle über den Erfolg anonymer Bewerbungen, die Generation Praktikum - und harte Strafen für diskriminierende Firmen.

Roland Preuß

Vor fünf Jahren trat das umstrittene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft, es verbietet Benachteiligung wegen Rasse, Herkunft, Geschlecht, sexueller Identität oder Alter. Christine Lüders leitet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, diese soll Benachteiligung verhindern und die Wirkung des Gesetzes erforschen.

Christine Lüders

Christine Lüders leitet seit Februar 2010 die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

(Foto: dpa)

SZ: In Spanien und Israel protestieren Tausende junge Leute, viele sind arbeitslos oder fühlen sich chancenlos im Wettbewerb um Jobs oder Wohnungen. Was kann da ein gesetzlicher Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters bewirken?

Lüders: Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von fast 50 Prozent reden wir weniger über ein Diskriminierungs- sondern eher über ein massives Arbeitsmarktproblem. Aber auch in Deutschland haben junge Leute oft Schwierigkeiten: Sie reihen Praktikum an Praktikum oder werden nur befristet beschäftigt ohne Aussicht auf ein reguläres Arbeitsverhältnis.

SZ: Inwiefern kann ein Diskriminierungsverbot überhaupt bei der Stellensuche helfen?

Lüders: Solch ein Gesetz muss gelebt werden, und jedes Land muss seinen eigenen Weg finden, wie es mit Diskriminierung umgeht. Nehmen sie das Beispiel anonymisierter Stellenbewerbungen. Was hat es für einen Aufschrei gegeben in Deutschland. Eine Umstellung sei viel zu aufwendig, hieß es aus der Wirtschaft. Doch unser Pilotprojekt hat gezeigt: Der Aufwand ist sehr übersichtlich. Und Studien zeigen: Die Unternehmen profitieren, etwa wenn in ihren Teams Menschen mit türkischen Wurzeln arbeiten, wenn da ein Homosexueller mit am Tisch sitzt und Ältere. Wer nur weiße Männer um die 30 einstellt, dem fehlt die Sensibilität im Umgang mit Zuwanderern und die Erfahrung von Älteren.

SZ: Wo wird in Deutschland am meisten diskriminiert?

Lüders: In der Arbeitswelt und bei Alltagsgeschäften, etwa Wohnungsvermietungen. Bei Einstellungen haben Bewerber mit fremd klingenden Namen oder anderer Hautfarbe deutlich schlechtere Chancen als der Durchschnitt, aber auch Ältere und Frauen, die Kinder haben oder Kinder bekommen könnten.

SZ: Verstehen Sie einen Arbeitgeber, der sagt: Ein strenggläubiger Muslim passt nicht in unser lockeres Team?

Lüders: Nein, das kann ich nicht nachvollziehen. Wenn der Muslim gut qualifiziert ist und mitarbeitet, dann besteht kein Grund, ihn zu benachteiligen.

200 Absagen - trotz bester Qalifikation

SZ: Bislang ist das Gleichbehandlungsgesetz weitgehend untauglich geblieben. Was muss sich ändern?

Hilfen bei Diskriminierung: Neues Gesetz nur selten genutzt

Viele Menschen wüssten nicht, wie sie sich gegen eine Diskriminierung wehren können, sagt Christa Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle.

(Foto: dpa-tmn)

Lüders: Das sehe ich anders. Ich halte das Gesetz durchaus für wirksam, aber der Gesetzgeber muss einige Punkte verbessern. Wir brauchen härtere Sanktionen, hier werden oft Persönlichkeits- und Freiheitsrechte massiv verletzt. Das schadet uns und unserer Wettbewerbsfähigkeit. Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein Mann hatte sich an die 200-mal beworben und nur Ablehnungen erhalten, obwohl er als promovierter Ingenieur bestens qualifiziert ist. Das hing offensichtlich mit seinem ausländischen Namen zusammen. Der Mann bewarb sich daraufhin in der Schweiz und bekam sofort eine Stelle. Solche hochqualifizierte Menschen darf sich Deutschland nicht entgehen lassen.

SZ: Wie weit wollen Sie bei Sanktionen gehen? Sprechen wir von Millionenstrafen wie in den USA?

Lüders: Nein, sicher nicht. Unsere Rechtssysteme sind zu verschieden. Es muss aber mehr sein als bisher. Die europäischen Vorgaben sprechen eine eindeutige Sprache: Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Wenn jemand illegal von Diskotheken oder Fitnessstudios abgewiesen wird, dann tun dem Betreiber 100 Euro Strafe nicht weh. Auch im Arbeitsrecht sollten Entschädigungen höher ausfallen. Bei schweren Diskriminierungen, beispielsweise einer offen rassistischen Ablehnung eines Stellenbewerbers, sollten mindestens sechs Monatsgehälter gezahlt werden müssen. Bisher orientieren sich die Gerichte an der Obergrenze von drei Monatsgehältern.

SZ: Glauben Sie, dass dann mehr Menschen gegen Diskriminierung vorgehen werden als bisher?

Lüders: Dafür müssten zwei weitere Punkte hinzukommen: Der Gesetzgeber muss die Fristen verlängern, in der jemand gegen eine Benachteiligung vorgehen kann. Bislang muss man binnen zwei Monaten die Ansprüche geltend machen, danach lässt sich nichts mehr ausrichten. Viele Menschen wissen aber gar nicht, was eine Diskriminierung ist oder wie sie sich wehren können. Sie brauchen mehr Zeit. Zudem trauen sich viele Leute nicht zu klagen, weil sie das persönliche Risiko eines Prozesses fürchten. Deshalb fordern wir für Verbände und auch für unsere Stelle das Recht, in solchen Fällen für den Benachteiligten zu klagen.

SZ: Wer soll das umsetzen? Union und FDP sind bislang sehr skeptisch gegenüber mehr Diskriminierungsschutz.

Lüders: Wir debattieren über Zuwanderung, aber sind de facto vom Einwanderungs- zum Auswanderungsland geworden. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir offen mit Vielfalt umgehen, um qualifizierte Menschen in Deutschland zu halten. Das wird mehr und mehr so gesehen - und zwar parteiübergreifend.

Interview: Roland Preuß

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