Schulstreit in Hamburg:Wo Leidenschaft an Grenzen stößt

Kampf gegen die Skeptiker: Wie Hamburgs Schulsenatorin Christa Goetsch trotz allen Widerstands für ein längeres gemeinsames Lernen kämpft.

Jens Schneider

Bevor es losgeht, mahnt die Lehrerin vor allem die Jungs lächelnd: "Hier wird kein Tischfeuerwerk gemacht." Dann legen die Grundschüler der Louise-Schroeder-Schule in Altona in Zweiergruppen los. Bedächtig die einen, forsch die anderen. Aber alle Kinder vergessen, dass der Rektor und die Politikerin samt Begleitung sie beobachten. Sie zünden Teelichter an, dann nehmen sie mit ihrer Zange nacheinander Holzwolle, ein Cent-Stück, Papier, Gummi und halten das Material in die Flamme. Penibel wird notiert, was brennt, schmilzt oder gar stinkt. Christa Goetsch hockt sich hin und sieht einfach nur zu. Die einstige Lehrerin für Bio und Chemie steht vor der Versuchung, mit ihnen weiter zu experimentieren. Hamburgs grüne Schulsenatorin fühlt sich wohl hier. So stellt sie sich Schule vor.

Schulstreit in Hamburg: Hamburgs Schulsenatorin Christa Goetsch kämpft dafür, dass Kinder in der Grundschule länger zusammen lernen.

Hamburgs Schulsenatorin Christa Goetsch kämpft dafür, dass Kinder in der Grundschule länger zusammen lernen.

(Foto: Foto: dpa)

Die Suche nach den richtigen Worten

Nebenan schauen die Kinder auf ein Bild von Pieter Breughel. Alle machen sich selbständig Notizen. Einer der zwei Lehrer nimmt sich gerade Zeit für einen Jungen, der mühsam Worte findet. Er sucht in seinem Kopf die richtigen Buchstaben. "Sehen Sie", erklärt der Lehrer kurz darauf im Büro des Rektors, "Serkan schafft drei Sätze, wenn er zwanzig Minuten Zeit hat. Aber er weiß, auch er kann schreiben." Dann nimmt er den Text eines Mädchens zur Hand. "Marthe hat jetzt schon drei Seiten. Sie hat mir gesagt: Ich muss zehn Seiten schreiben. Und das wird sie tun." Im traditionellen Unterricht wäre Marthe gebremst worden. "Hier bestimmt sie selbst ihr Tempo." Seine Kollegin ergänzt, dass die Kinder sich gegenseitig anfeuern.

Christa Goetsch weiß, dass sie selbst nichts sagen muss. Die Leidenschaft der Lehrer und Schüler spricht für sich: Wenn eine normale Grundschule wie diese so überzeugend die Schwachen und die Starken fördert, muss doch niemand Angst davor haben, wenn die Schwachen und die Starken länger zusammen lernen. Am liebsten würde Goetsch all die Skeptiker, die ihre Schulreform ablehnen, mit hierher nehmen. Wer nicht verbohrt ist, müsste gewiss erkennen, dass jedes Kind individuell gefördert wird, aber auch keines auf der Strecke bleibt. Dass sie auf dem richtigen Weg ist.

Kurpackung Schulbesuch

Für die Grünen-Politikerin selbst muss der Besuch wie ein Kraftquell sein, eine Kurpackung in einer Phase, in der sie einen unerwartet harten Kampf ausstehen muss. Goetsch war lange Zeit Everybody's Darling in der Hamburger Politik. Als charmante, leidenschaftliche Fraktionschefin der Grünen wurde sie selbst von Gegnern geschätzt.

Für ihre Konzepte für ein längeres gemeinsames Lernen aller Schüler bekam sie viel Lob. Sie waren durchdacht, das war kein oberflächliches Politiker-Geschwätz. Sie hatte seit mehr als einem Jahrzehnt mit Experten an diesem Konzept gearbeitet. Sie hatte große Teile der Fachwelt auf ihrer Seite. Sie sprühte vor ansteckender Leidenschaft. Nach der Bürgerschaftswahl vor zwei Jahren konnte sie auch Ole von Beust, den Christdemokraten, überzeugen. Gemeinsam beschloss die schwarz-grüne Koalition die Einführung der Primarschule, in der alle Schüler erst einmal sechs Jahre lang zusammen lernen sollen. Goetsch wollte eigentlich neun gemeinsame Jahre, aber immerhin.

"Gucci-Aufstand"

Bis zum Spätherbst 2009 lief alles nach Plan. Zwar gab es Widerstand. Aber das sollte nur ein sehr kleiner Teil der Hamburger sein, man sprach vom "Gucci-Aufstand": wenige bürgerliche Eltern aus den feinen Vierteln seien dagegen, hieß es. Niemand rechnete damit, dass die Gegner der Schulreform 184.000 Unterschriften sammeln würden. Ein Schock für die Schulsenatorin. Für einen kurzen Augenblick hätte sie dieses Ergebnis wohl am liebsten ignoriert und die Reform einfach weiter geplant, die im Sommer richtig losgehen soll. Gern hätte sie allen vorgerechnet, dass diese 184.000 Stimmen nicht mehr wären als 14 Prozent der Wählerstimmen in Hamburg.

Manchmal kann man ihr diese Haltung noch ansehen: Wenn sie auf Walter Scheuerl trifft, den Sprecher der Gegner ihrer Reform, wirkt ihr Handschlag fast widerwillig. Da treffen unvereinbare Welten aufeinander, beide wirken wie Stellvertreter eines großen Kampfs um die richtige Schule in Deutschland. Im Herbst kursierte ein böses Wort über sie in der Hamburger Bürgerschaft: Die Senatorin müsse "entgiftet" werden. Sie müsse ihre Ablehnung gegenüber dem Widerstand abbauen.

Keine leichten Zugeständnisse

Ole von Beust verteidigt sie nahezu fürsorglich gegen solche Bosheit: Wer leidenschaftlich brenne, werde von Rückschlägen schwerer getroffen. In enger Absprache kämpfen beide nun um einen Kompromiss mit den Gegnern der Reform. Sie wollen vermeiden, dass es im Sommer zu einem Volksentscheid kommt, der die Stadt spalten könnte. Zwei Mal haben sie schon mit Scheuerl verhandelt, Mittwoch soll das nächste Treffen sein. Es könnte das letzte sein, wenn sich nichts bewegt: Der Senat ist den Gegnern schon unerwartet weit entgegengekommen. Die Reform soll zeitlich gestreckt werden, viele Qualitätskontrollen sind eingeplant.

Für Goetsch sind das keine leichten Zugeständnisse. Aber es könnte die richtige Taktik für eine Frau sein, der die Kritiker zuletzt missionarischen Übereifer unterstellten: Wenn die Gegner sich selbst diesem Angebot verweigern, stünden sie als halsstarrige Blockierer da. Der schwarz-grüne Senat könnte einen Volksentscheid leichteren Herzens riskieren. Dann wird Goetsch - typisch Pädagogin - einfach so viele Skeptiker wie möglich durch Schulen wie die Louise-Schroeder-Schule führen. Im Vertrauen auf die Überzeugungskraft der Realität.

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