Annette Schavan über Schulpolitik:"Eltern und Kinder werden irre"

Bundesbildungsministerin Annette Schavan spricht über lästige Sonderwege in der Schulpolitik, die Probleme des Föderalismus und den Kampf um ein höheres Bafög.

Als sie noch Kultusministerin in Baden-Württemberg war, hat Annette Schavan (CDU) die Macht der Länder in der Bildungspolitik stets verteidigt. Als Bundesbildungsministerin zeigt sich die 55-Jährige nun enttäuscht vom föderalen Durcheinander bei den Schulen. Im Ergebnis des Hamburger Volksentscheids sieht sie auch ein Signal dafür, dass Sonderwege der Länder keinen Erfolg haben.

Annette Schavan

"Das G8 ist überall da kein Problem, wo auch der Lernstoff entsprechend angepasst wird": Annette Schavan über die Situation der Gymnasien.

(Foto: AP)

SZ: Die CDU verliert einen Spitzenpolitiker und Ministerpräsidenten nach dem andern. Was ist da los? Ist es so schwer, Politik zu machen?

Schavan: Christian Wulff ist Bundespräsident, Günther Oettinger EU-Kommissar geworden. Ole von Beust hat persönliche Gründe für seine Entscheidung angegeben. Und daneben gibt es die vielen, die weiterhin engagiert für die CDU Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik machen.

SZ: Manche sagen, Angela Merkel sollte den Parteivorsitz ablegen, Platz machen für jemanden, der emotionaler ist, der das Herz der Partei wieder wärmt.

Schavan: Ich stelle keinen Wärmeverlust fest. Angela Merkel ist die unangefochtene Nummer eins in der CDU und hält die Partei auch in schwieriger Zeit zusammen.

SZ: Merkel muss nichts ändern?

Schavan: Statt Stilfragen zu diskutieren, sollten alle miteinander an der Kommunikation mit den Bürgern arbeiten. Wir müssen die Politik besser erklären.

SZ: In Hamburg ist das offenbar nicht gelungen. Dort haben die Bürger gegen die Schulreform von Schwarz-Grün gestimmt. Viele in der Union sind darüber aber ganz froh, weil auch sie von einer Verlängerung der Grundschule nichts halten. Freuen Sie sich auch?

Schavan: Das Ergebnis von Hamburg kann heilsam sein. Es zeigt: Eltern und Kinder werden irre, wenn jede Landesregierung ihren Veränderungswillen vor allem in den Schulen auslebt. Es ist jetzt Zeit, dass sich die Länder wieder stärker auf ihre Gemeinsamkeiten konzentrieren.

Man muss die Gymnasien in Ruhe lassen

SZ: Viele Hamburger hat aufgeregt, dass den Gymnasien zwei Schuljahre genommen werden sollten. Die Gymnasien sehen sich schon durch den Wegfall der 13. Klasse (G8) unter Druck. Als Kultusministerin in Baden-Württemberg haben Sie einst das "Turbo-Abi" durchgesetzt. Sollte man die Gymnasien jetzt mal in Ruhe lassen?

Pressekonferenz zu Kabinettsbeschluessen

Bundesbildungsministerin Annette Schavan glaubt, dass der Bildungsföderalismus besser werden kann.

(Foto: ddp)

Schavan: Ja. Das G8 ist überall da kein Problem, wo auch der Lernstoff entsprechend angepasst wird. Im Übrigen: Das Gymnasium ist die verlässliche und weltweit anerkannte Konstante des deutschen Bildungssystems. Ich halte wenig davon, diese Schulform abzuwerten.

SZ: Was ist für Sie konservative Bildungspolitik?

Schavan: Sie geht vom Menschen, seinen Bedürfnissen und Talenten aus. Struktur -und Organisationsfragen stellen sich erst später. Die Politik darf nicht den Eindruck erwecken, dass die Schulstruktur das Entscheidende ist.

SZ: Aber für den Schüler macht es einen Unterschied, ob er eine Hauptschule besucht, eine Gesamtschule oder ein Gymnasium.

Schavan: Durch die demografische Entwicklung werden in Zukunft weniger Schulformen nebeneinander existieren. Das finde ich unspektakulär, das entwickelt sich vor Ort automatisch. Am wichtigsten sind die Inhalte, das Curriculum.

SZ: Müssen die Lehrpläne grundsätzlich reformiert werden?

Schavan: Ich halte nichts davon, Kinder und Jugendliche mit immer mehr Wissen zu überhäufen. Jedes Fach muss sich fragen, welche Inhalte wirklich bilden, ein Fundament legen und Neugierde wecken.

SZ: Noch immer hat jedes Bundesland eigene Lehrpläne. Und auch bei den Strukturen geht es wild durcheinander. Im Saarland plant die Jamaika-Koalition, die Grundschule auf fünf Jahre zu verlängern - bundesweit einmalig. Können Sie das den Bürgern überhaupt noch erklären?

"Ich halte die Sonderwege für falsch"

Zeugnissausgabe für Brandenburgs Schüler

Die Freude über die Ferien ist in allen Bundesländern gleich groß - die Schulsysteme nicht.

(Foto: dpa)

Schavan: Das kann und will ich ihnen nicht erklären. Ich halte die vielen Sonderwege ja selbst für falsch. Und ich glaube nicht, dass diese Zustände noch lange andauern werden.

SZ: Ihnen hängt der Föderalismus allmählich zum Halse raus?

Schavan: Nein. Aber ich bin sicher, dass er besser werden kann.

SZ: Wie kann es besser werden?

Schavan: Ich möchte ja gar nicht für 44.000 Schulen in Deutschland zuständig sein. Mein Vorbild ist die Schweiz. Dort gibt es starke Kantone, aber eine Zusammenarbeit mit dem Bund, wo es um national relevante Fragen geht. Das wünsche ich mir hierzulande auch.

SZ: Sie fordern das Ende des deutschen Kooperationsverbots, das es dem Bund verbietet, in die Schulpolitik einzugreifen oder eine Universität direkt zu finanzieren?

Schavan: Ja, das Kooperationsverbot ist nicht Ausdruck eines föderalen Selbstbewusstseins, sondern einer Blockade, die niemandem nützt.

SZ: Die Kulturhoheit und das Kooperationsverbot wurden aber in der jüngsten Föderalismusreform festgeschrieben. Sie waren zu der Zeit bereits Bundesbildungsministerin. Wann und wie wollen Sie das denn noch einmal aufrollen und neu regeln?

Schavan: Das Kooperationsverbot ging vor allem auf den Druck der Länder zurück. Eine neue Politikergeneration wird die Aufgabe der Verbindung von globaler Welt und Föderalismus annehmen, davon bin ich überzeugt.

SZ: Werden sie zu der Generation denn noch dazugehören?

"Es ist wichtig, dass die Bafög-Erhöhung klappt"

Annette Schavan über Schulpolitik: Die Bafög-Erhöhung soll kommen - dafür will Annette Schavan kämpfen.

Die Bafög-Erhöhung soll kommen - dafür will Annette Schavan kämpfen.

(Foto: AP)

Schavan: Ich habe dafür noch manche Idee, ja.

SZ: Wann also kommt die Reform des Föderalismus?

Schavan: Darüber möchte ich nicht spekulieren. Aber warum dürfen Bund und Länder zusammen nur Studien in Auftrag geben, um die Vergleichbarkeit des Bildungssystems "festzustellen"? Wir wollen die Qualität gemeinsam "sicherstellen". Schon diese kleine Grundgesetzänderung hätte große Wirkung, ohne dass den Ländern etwas weggenommen wird.

SZ: Reden wir über die Gegenwart: Der Bundesrat hat die Bafög-Erhöhung vorerst gestoppt. Wann können die Studenten nun mit mehr Geld rechnen?

Schavan: Hoffentlich bald, das Bafög ist für die Studentinnen und Studenten sehr wichtig. Und ein wichtiger Baustein für Bildungsgerechtigkeit.

SZ: Die Länder fordern vom Bund, einen höheren Anteil an den Bafög-Kosten zu übernehmen. Beim Stipendienprogramm sind Sie den Ländern bereits entgegengekommen. Ist Ihnen das Bafög weniger wichtig als die Stipendien?

Schavan: Das Bafög ist nicht nur genauso wichtig. Es ist gleichsam der große Tanker der Studienfinanzierung: Etwa jeder vierte Studierende erhält Bafög - und wenn die Erhöhung und die höheren Freibeträge kommen, werden es noch mehr.

SZ: Das heißt, Bafög ist die Pflicht und das Stipendienprogramm die Kür? Nur haben Sie zuerst die Kür gemacht...

Schavan: Stipendien sind nicht nur Kür. Sie sind eine Selbstverständlichkeit in attraktiven Wissenschaftsnationen, und deshalb war es wichtig, dass wir in Deutschland endlich ein solches Programm auf den Weg gebracht haben. Nun ist es ganz wichtig, dass auch die Bafög-Erhöhung klappt. Dafür werde ich kämpfen.

Interview: Johann Osel, Heribert Prantl und Tanjev Schultz

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