Schulklassen:"Die Obergrenze müsste bei 25 Schülern liegen"

Mehr Störfaktoren, schlechtere Lernergebnisse: ein Schulwissenschaftler über die Probleme in großen Klassen.

Eltern, Lehrer und Schüler klagen über große Klassen. Die Auswirkungen der Klassenstärke auf den Unterricht hat Fritz Haselbeck in einer groß angelegten Studie untersucht. Der Pädagoge und Didaktik-Dozent an der Universität Passau hat 800 Schüler und 400 Lehrer der Hauptschule befragt - und kommt zu klaren Ergebnissen.

Schulklassen: "Die Obergrenze müsste bei 25 Schülern liegen"

Erstklässlerin Angelina sitzt neben einer "Lärmampel", die die Schüler auf hohen Geräuschpegel aufmerksam machen soll.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Haselbeck, wie wirkt sich die Klassenstärke auf den Unterricht aus?

Haselbeck: Meine Resultate zeigen, dass große Klassen den Lernprozess stark negativ beeinflussen. Denn es gibt deutlich mehr und massivere Störfaktoren wie Unruhe und Lärm. Außerdem sind die Schüler unkonzentrierter. In Klassen mit mehr als 30 Kindern leidet auch das soziale Klima enorm.

SZ: Inwiefern?

Haselbeck: In großen Klassen werden Schüler häufiger ermahnt, Lehrer drohen ihnen und geben öfter Strafarbeiten auf. Das macht Lehrer wie Schüler auf Dauer unzufrieden und kann deren Beziehung dauerhaft schädigen.

SZ: Strafarbeiten, Drohungen - ist das Alltag in großen Klassen?

Haselbeck: Natürlich ist das nicht immer so, aber die Häufigkeit solcher autoritären Erziehungspraktiken nimmt in großen Klassen deutlich zu.

SZ: Welche Vorteile haben kleine Klassen?

Haselbeck: Kleine Klassen steigern die Lernmotivation und stärken das Miteinander. Sie entsprechen in der Regel gut koordinierten Lernteams. Schüler haben mehr Vertrauen zum Lehrer. Konflikte können dadurch rasch bereinigt werden. Störer können nicht in der Menge abtauchen. Weil Lehrer weniger reglementieren müssen, bleibt mehr Zeit für den Unterricht. Die Lernatmosphäre ist schlicht entspannter.

SZ: Realschulen haben in Bayern die größten Klassen mit bis zu 37 Schülern. Lassen sich Ihre Erkenntnisse auf andere Schularten übertragen?

Haselbeck: Eine definitive Antwort kann ich darauf nicht geben. Das müsste man gesondert untersuchen. Schließlich gehören Realschüler und Gymnasiasten nicht so bildungsfernen Schichten an wie Hauptschüler. Ich gehe aber davon aus, dass die Ergebnisse zum Teil auch für andere Schularten zutreffen.

SZ: In den 60er Jahren saßen zuweilen 40 Kinder und mehr in einer Klasse. Warum wird das heute zum Problem?

Haselbeck: Die gesamte Schulsituation hat sich grundlegend geändert. Kinder sind heute einer Flut von Reizen und Informationen ausgesetzt, sie sind unruhiger und mehr egozentrisch ausgerichtet. Deshalb brauchen sie eine stärkere individuelle Förderung sowie neue Wertbezüge und Lerninhalte, die ihnen in einer unsicheren Welt Orientierung bieten. Vor hohe Hürden stellt sie auch zu viel Lernstoff.

SZ: Die CSU hat sich vor kurzem verpflichtet, Klassen mit mehr als 33 Schülern zu verkleinern. Genügt das?

Haselbeck: Meine Forschungsergebnisse zeigen ganz klar, dass dies nicht ausreicht. Angesichts der veränderten Lernbedingungen und vielseitigen Belastungen der Lehrer und Schüler müsste die Obergrenze bei 25Schülern liegen.

SZ: Das Kultusministerium beruft sich gerne auf Studien, wonach die Unterrichtsqualität nicht von der Klassenstärke abhängt. Sind diese nun widerlegt?

Haselbeck: Politiker berufen sich oft auf veraltete Studien. Viele dieser Untersuchungen sind allein auf den Aspekt der kognitiven Leistung ausgelegt. Es reicht aber nicht aus, immer nur nach Noten zu fragen. Es geht ja nicht der Kopf allein zur Schule, sondern der ganze Mensch. Lehrern und Schülern ist es wichtig, dass sie gut miteinander auskommen und gemeinsam erfolgreich lernen können. Momentan ist das leider nicht immer so.

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