Schule:Nicht eingebettet

Von den Kultusministern umworben, von den Kollegen beschimpft: Es gibt Ärger um die Quereinsteiger an Schulen.

Marion Schmidt

(SZ vom 29.4.2003) Marietta Anton dachte, sie würde sich für eine gute Sache entscheiden, als sie vor kurzem beschloss, Lehrerin zu werden. Die 41-jährige Diplom-Betriebswirtin und Unternehmerin aus Nürnberg bietet seit sechs Jahren EDV-Dienstleistungen und Seminare zur Weiterbildung an. Die Schulungen laufen gut, der Rest weniger, weshalb sie jetzt einen beruflichen Neustart versuchen will - als Quereinsteigerin an einer Schule.

Klassenzimmer

Allein im vergangenen Jahr sind mehr als 1000 Quereinsteiger als Lehrer an die Schule gewechsel

"Ich würde da bestimmt frischen Wind reinbringen", glaubt sie. Mittlerweile hat sie jedoch eher das Gefühl, dass ihr von dort ein Sturm entgegen weht. Als sich Anton im Internet informiert und Kontakt zu Lehrern sucht, muss sie sich vorhalten lassen, sie wäre nicht qualifiziert für den Unterricht und nur an einer sicheren Stelle interessiert. Außerdem würde sie voll ausgebildeten Lehrern eine Stelle wegnehmen.

Ärger in den Kollegien

Der Unmut über Quereinsteiger an Schulen ist weit verbreitet. Der Maschinenbauingenieur Dirk Kettenbach, der vor zweieinhalb Jahren ins Lehramt quer einstieg, berichtet von "Frusterlebnissen" und "Konkurrenzdenken" im Studienseminar zwischen Quereinsteigern und Referendaren mit Staatsexamen. Denn die bekamen - im Gegensatz zu den Newcomern - nicht immer eine Stelle.

Teilweise seien sogar Quereinsteiger bevorzugt eingestellt worden, erzählt der 36-Jährige aus der Nähe von Wiesbaden. Und dies, obwohl andere Referendare bald fertig gewesen wären. Ein angehender Berufsschullehrer, der ungenannt bleiben möchte, berichtet, er selbst habe nach dem Vorbereitungsdienst keine Stelle bekommen, weil an der Schule, wo er sich beworben hätte, zuvor zwei Seiteneinsteiger eingestellt worden seien. Er habe dann in ein anderes Bundesland wechseln müssen.

Auch aus nordrhein-westfälischen Studienseminaren wird von Konkurrenz und schlechter Stimmung berichtet. Nicht nur fühlen sich Referendare mit zwei Staatsexamina um ihre längere Ausbildung betrogen, wenn Quereinsteiger mit fester Stellenzusage an ihnen vorbeiziehen.

Die geringer qualifizierten Newcomer verdienen in der berufsbegleitenden Nachschulungsphase auch bis zu drei Mal so viel wie Referendare. Das führt zu Ärger in den Kollegien, hat auch Günter Besenfelder, Vorsitzender des Berufsschullehrerverbands, registriert. "Da gibt es Verwerfungen", sagt er vorsichtig, aber die Not sei so groß, dass man mehrgleisig fahren müsse.

36 Prozent mehr Quereinsteiger

Weil bis zum Jahr 2010 etwa 300.000 Lehrer in Ruhestand gehen und die dadurch frei werdenden Stellen nicht durch voll ausgebildete Lehrer besetzt werden können, werben viele Bundesländer seit etwa zwei Jahren massiv Diplom-Absolventen an.

Allein 2002 wurden nach Berechnungen der Kultusministerkonferenz 1152 Seiteneinsteiger zu Lehrern. Das sind zwar nur 4,3 Prozent aller Neueinstellungen, aber die Steigerungsrate ist enorm: Im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 36 Prozent. In Nordrhein-Westfalen(NRW) ist bereits die Hälfte aller neu eingestellten Berufsschullehrer ohne Staatsexamen.

"Das ist einfach zu viel", sagt der Erziehungswissenschaftler Ewald Terhart von der Uni Münster. Damit würden alle Anstrengungen unterlaufen, die Lehrerausbildung zu verbessern. Denn um den Mangel möglichst schnell zu beheben, würden die Kultusminister die Einstellungsstandards senken. Sie seien zunehmend bereit, auf die notwendige pädagogische Qualifikation zu verzichten. In einigen Bundesländern unterrichten Quereinsteiger vom ersten Arbeitstag an, ohne jegliche Nachschulung.

Das verärgert nicht nur voll ausgebildete Lehrer, das hat zum Teil auch fatale Folgen für die Schüler. Denn die Quereinsteiger haben ihr Wissen im Studium nicht im Blick auf die Schule erworben, sie können es vielfach nicht aufbereiten und verstehen die Lernprozesse der Schüler nicht. In den Berichten aus NRW-Studienseminaren ist von "Steinzeitunterricht" die Rede, bis zur Hälfte der Kursteilnehmer sei am Ende der Nachschulung nicht fähig, Unterricht nach modernen didaktischen Prinzipien zu geben. Eine "Katastrophe" sei das, sagt der Ulmer Erziehungswissenschaftler Ulrich Herrmann, der langfristig erhebliche Qualitätseinbußen beim Unterricht sieht.

Hinzu kommt: Wenn es möglich ist, mit nur einem Diplom-Fach in den Schuldienst übernommen zu werden, und dies bisweilen schon im Referendariat zu vollen Bezügen, könnte der Anreiz sinken, zwei Fächer auf Lehramt zu studieren. "Da kann man dann irgendwann das Lehramtsstudium ganz abschaffen", moniert Torsten Fust von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. "Der Notfall wird kurzerhand zum Normalfall", kritisiert auch Terhart.

Ungeachtet dessen werben die Kultusminister weiter um Quereinsteiger. Um die Schule für Leute aus der Wirtschaft noch attraktiver zu machen, werden, wie in NRW, die Zugangskriterien für den Schuldienst weiter gelockert. Schulministerin Ute Schäfer (SPD) hat gerade einen Anerkennungserlass vorgelegt, wonach eine ganze Reihe von Magister- und Diplomabschlüssen kurzum als erste Staatsprüfung anerkannt werden.

Suche nach Apothekern

Auch Rheinland-Pfalz und Niedersachsen setzen weiter massiv auf Seiteneinsteiger. Niedersachsens Bildungsminister Bernd Busemann (CDU) will das Wahlversprechen, 2500 zusätzliche Lehrer einzustellen, einlösen, ohne aus anderen Bundesländern Lehrer abzuwerben und braucht deshalb ungelernte Kräfte. "Wenn ich nicht genügend Lehrer finde, die Fächer wie Mathematik, Physik oder Chemie unterrichten können, dann muss ich nach Ingenieuren oder Apothekern suchen, die für das Lehramt fortgebildet werden können", sagte er in einem Gespräch mit dpa: "Wir würden lieber einige Defizite in Kauf nehmen als gar keinen Unterricht zu erteilen."

Dabei ginge es auch anders. Der Erziehungswissenschaftler Terhart schlägt vor, vorübergehend voll ausgebildete Lehrer auch in Fächern einzusetzen, die den eigenen nahe stehen, also etwa einen Physiklehrer einstweilen auch zum Chemie-Unterricht zuzulassen.

Sein Kollege Herrmann fordert die Schulen auf, sich mehr um die Quereinsteiger zu kümmern. Die ersten zwei bis vier Jahre sollten die Neuen in eine Art Tandem mit einem erfahrenen Lehrer eingebunden werden, der sie durch kooperatives Unterrichten langsam an den Schulalltag führt. Dermaßen eingebettet würde auch den Kritikern im Kollegium der Wind aus den Segeln genommen.

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