Schulbegleiter:Starke Stütze

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Nicht alle Kinder können selbständig die Aufgaben erledigen, die ihnen ein Lehrer aufgetragen hat, oder sich im Unterricht konzentrieren. Manche benötigen einen Schulbegleiter, ohne dessen Hilfe sie keine Regelschule besuchen könnten. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Ohne die Hilfe von Betreuern könnten Kinder, die unter psychischen Störungen leiden, den Unterricht an Regelschulen nicht besuchen. Allerdings fehlen für die Qualifikation und Finanzierung dieser Helfer einheitliche Vorgaben.

Von Anne-Ev Ustorf

Heute Morgen hat Finn schon ein ganzes Arbeitsblatt in Deutsch geschafft. Eine super Leistung, schließlich ist er hyperaktiv und kann sich schwer konzentrieren, er leidet an ADHS. Aber jetzt braucht der sportbegeisterte Drittklässler dringend Bewegung. Er kippelt mit seinem Stuhl, stößt dabei versehentlich sein Federmäppchen vom Tisch, und schon fliegen seine Stifte quer durchs Klassenzimmer. "Wir gehen mal fünf Minuten raus", sagt sein Schulbegleiter Christoph. Die Lehrerin nickt dankbar. Schon seit drei Jahren begleitet Christoph den Achtjährigen in einer Grundschule im Norden Berlins. Der gelernte Erzieher hilft dem Schüler dabei, einigermaßen konzentriert am Unterricht teilzunehmen. Er passt also auf, dass Finn die richtige Seite im Buch aufschlägt, auf dem Tisch Ordnung hält und sich auf sein Arbeitsblatt konzentriert. Und er sieht, wenn Finn aus Überforderung die Klasse zu stören beginnt. Dann geht er mit ihm kurz auf den Schulhof, um ein Wettrennen um die Turnhalle herum zu laufen oder ein paar Bälle zu kicken. Für Finn eine große Erleichterung. "Für den Jungen ist das eine tolle Sache", sagt seine Klassenlehrerin Sabine Wagner. "Und auch für den Rest der Klasse. Wir alle profitieren von Christophs Arbeit."

In den vergangenen Jahren hat sich die Schulbegleitung bundesweit als wichtige Leistung im Schulwesen etabliert: Laut Bildungsbericht 2014 hatten im Jahr 2010 bundesweit mindestens 40 000 Schüler zwischen sechs und 18 Jahren jeweils eine individuell für sie zuständige Schulbegleitung. Und zwar in allen Arten von Schulen. Aktuellere Zahlen gibt es derzeit nicht, Experten gehen jedoch davon aus, dass die Zahlen seitdem gestiegen sind. Vorreiter ist aktuell Hamburg, wo inzwischen fast 1800 Kinder täglich begleitet werden. Vor allem durch die Umsetzung der Inklusion stieg der Bedarf an Schulbegleitern in den vergangenen Jahren so sprunghaft an. Obwohl viele Lehrkräfte das inklusive Lernen begrüßten, stellte sich erwartungsgemäß schnell heraus, dass die Pädagogen aufgrund ihrer knappen personellen Ressourcen eine gute und differenzierte Umsetzung der Inklusion für alle Kinder nicht gewährleisten konnten.

Während Schulbegleiter früher also eher selten waren und für beeinträchtigte Schüler vor allem pflegerische Leistungen erbrachten - Assistenz bei der Mobilität, beim Essen, beim Tagesablauf -, unterstützen sie heute nicht nur körperlich und geistig behinderte Kinder, sondern auch Schüler mit Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Erkrankungen. Also auch Kinder mit ADHS, mit autistischen Störungen und frühen Traumatisierungen. "Wir unterstützen die Schüler zum Beispiel beim Erkennen und Benennen eigener Bedürfnisse, beim Umgang mit Enttäuschungen, bei ihrer Motivation oder beim Setzen angemessener Ziele auf dem Weg zur Selbständigkeit", erklärt die Diplom-Pädagogin Anne-Katrin Thierschmidt vom Jenaer Verein Quer-Wege, der mehr als 100 Schulbegleiter an allen Schulformen in Jena unterstützt. "Ziel ist aber nicht nur die Teilhabe am Unterricht, sondern auch soziale Teilhabe. Aus unserer Sicht kann diese Integration nur gelingen, wenn alle in der Schule tätigen Berufsgruppen zusammen Bedingungen für schulische Inklusion schaffen."

Einige haben keine pädagogische Ausbildung und sind trotzdem als Helfer gut geeignet

Das Problem: In vielen Bundesländern wird zwischen den Landesregierungen und Schulträgern über Aufgaben und Finanzierung der Schulbegleitung erbittert gestritten. Bundesweit gibt es nämlich noch kein einheitliches Vorgehen, was die Finanzierung und Qualifikation von Schulbegleitern betrifft. Viele Schulbegleiter sind sogenannte FSJler, absolvieren also ein freiwilliges soziales Jahr, manche sind Erzieher oder Sozialpädagogen, andere wiederum Quereinsteiger. Für den Verein Quer-Wege zum Beispiel ist die Erfahrung der Integrationshelfer in der Arbeit mit jungen Menschen maßgeblich. Der Verein wägt besondere Kenntnisse, Berufsausbildung, soziale Kompetenzen und Zusatzqualifikationen zukünftiger Schulbegleiter vor dem Hintergrund des konkreten Unterstützungsbedarfs ab. Darauf bauen dann die internen Fortbildungen und Supervisionen des Vereins auf. Thierschmidt spricht sich gegen ein klares Berufsbild als Schulbegleiter aus, weil es bereits viele anerkannte Berufsgruppen gibt, die gut in diesem Feld tätig werden können - und auch immer wieder Quereinsteiger persönlich geeignet sind. Dennoch befürwortet sie eindeutig eine bundesweite Qualifizierungsoffensive, weil derzeit noch oft unqualifiziertes Personal in der Schulbegleitung arbeitet.

Wenn sich die Schulbegleitung in der deutschen Bildungslandschaft mittlerweile also etabliert hat - warum wird sie dann noch immer behandelt wie eine Interimslösung, ohne klare Finanzierungskonzepte und Qualifikationsanforderungen? "Es braucht eine Klärung, ob Schulbegleitung in diesem System langfristig einen festen Platz einnehmen soll oder ob sie vielmehr ein Übergang ist", sagt auch Thierschmidt. "Letzteres würde bedeuten, dass sich Schule so entwickeln muss, dass sie selbst über die Ressourcen verfügt, Lernort für alle Schüler zu sein. Unsere Fachkräfte würden dann zwar noch gebraucht, wären aber qualitativ und strukturell in unser Schulsystem eingebunden." Bis darüber eine Entscheidung getroffen wird, bleibt die Rolle der Schulbegleiter als Troubleshooter des Bildungssystems - die mal mehr, mal weniger qualifiziert, mal mehr, mal weniger integriert und meist schlecht bezahlt sind - undankbar.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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