Schulabschluss:Für Oxford geeignet, für Reutlingen zu schlecht

Ein Stuttgarter Fall stößt eine überfällige Debatte über die Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse an.

Von Wulf Reimer

(SZ vom 20.10.2003) Ein Jahr Auslandserfahrung ist heute schon Voraussetzung für einen interessanten Job, und es gilt dabei "je früher, desto besser". Auch Kultuspolitiker empfehlen Schülern, so früh und gründlich wie möglich Erfahrungen in anderen Ländern zu sammeln - am besten durch einen Schulwechsel.

Doch wenn die mobilen jungen Leute wieder hoffnungsfroh nach Deutschland kommen und hier studieren wollen, erwartet sie im bürokratisierten Bildungssystem oft ein windungsreicher Hindernislauf. Nicht wenige der Rückkehrer, selbst aus Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, straucheln an den zur Verteidigung des Abiturs errichteten Hürden der Bürokratie; einige scheitern.

Nicht mehr zeitgemäß

Die - kürzlich erfolgreich ausgegangene - Klage eines hochbegabten Oxford-Studenten vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart (SZ vom 11. Oktober) hat für die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan jetzt das Fass zum Überlaufen gebracht: Die Vize-Vorsitzende der Bundes-CDU hält die formalistische, vornehmlich auf Abwehr bedachte Linie der meisten Kultusbehörden "überhaupt nicht mehr für zeitgemäß".

Schavan will nun erreichen, dass anstelle der Kultusadministration die Hochschulen selbst über die Zulassung eines Bewerbers mit ausländischen Schulzeugnissen entscheiden. Dieses Verfahren läge in Zukunft ohnehin nahe, so die Koordinatorin der unionsgeführten Länder in der Kultusministerkonferenz (KMK). Denn der Trend in den Bundesländern geht dahin, den Hochschulen mehr Freiheit bei der Auswahl der Studenten einzuräumen. Schavan hat ihren Vorstoß für die KMK-Sitzung am 4. Dezember angekündigt.

Paragraphen-Parcours

Die zwar ständig beklagte, von den politisch Verantwortlichen jedoch achselzuckend hingenommene starre Anerkennungspraxis betrifft Zehntausende Jugendliche jedes Jahr. Diese werden auf einen Paragraphen-Parcours gezwungen. Dass 16 verschiedene Bundesländer für Schulen und Hochschulen zuständig sind, macht den Hindernislauf nicht einfacher. Zwar gibt es bei der KMK in Bonn eine Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, doch jedes Land hat in der Regel eine eigene Behörde, bei der alle mit der Bewertung von ausländischen Schulabschlüssen zusammenhängenden Aufgaben gebündelt sind.

In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel ist die "Zentrale Zeugnisanerkennungsstelle" bei der Bezirksregierung Düsseldorf angesiedelt. Dort ist im vorigen Jahr, schätzt der Leiter des Dezernats für Schulrecht, Regierungsdirektor Ralf Olmer, rund 5500 Mal die Gleichstellung eines im Ausland erworbenen Schulabschlusses mit der Hochschulreife beantragt worden. Tendenz steigend, denn im Jahre 2001 hatten erst 3500 deutsche Rückkehrer ihre ausländische Schulkarriere testieren lassen wollen.

Den meisten Anträgen wurde übrigens entsprochen. Ungefähr ein Prozent strittiger Fälle landete beim Verwaltungsgericht - und fast immer blieb die Behörde Sieger. Was seinen Grund auch darin haben mag, dass man im Rheinischen eher zur Großzügigkeit neigt. Allerdings können Schwarze Schafe unter den Bewerbern, solche also, die den grenzüberschreitenden Schulausflug nur unternommen haben, um zu einem "Billig-Abitur" zu kommen, auch in Düsseldorf auf wenig Nachsicht rechnen. Denn eines hat der freundliche Dezernent Olmer stets im Auge: "Es sollen natürlich im Ausland unsere Bildungsstandards nicht unterlaufen werden."

Die Befürchtung, es könnte ein deutscher Schüler auf einem bequemen Umweg das in Erz gegossene deutsche Abitur unterminieren, scheint im Oberschulamt Stuttgart besonders ausgeprägt zu sein. Die in Anerkennungsfragen für ganz Baden-Württemberg zuständige Verwaltungsbehörde hat, ähnlich wie die Bezirksregierung Düsseldorf, in den vergangenen Jahren eine Zunahme der Zahl der Anerkennungsanträge registriert: Von 7800 im Jahre 2001 auf fast 9500 im Vorjahr. Freilich war nur der kleinere Teil gekoppelt mit dem Wunsch auf Zulassung an eine Fachhochschule oder eine der neun Landesuniversitäten im Südwesten. Doch wer eines der in den so genannten Bewertungsvorschlägen der KMK enthaltenen Kriterien nicht erfüllte, hatte das Spiel mit der schwäbischen Bürokratie schon verloren.

So erging es auch Ralf Bader. Der aus Stuttgart stammende Absolvent der englischen Privatschule Abingdon legte den Beamten Bestnoten vor. Diese nützten ihm freilich wenig. Der Petent hatte die Schule in elf Jahren durchlaufen, doch zwölf Jahre hätten es mindestens sein müssen, hielten ihm die Prüfer den Katalog der "Bewertungsvorschläge" vor. Dem hochbegabten Bewerber, der bereits an der Fachhochschule Reutlingen in Konkurrenz mit 1200 jungen Leuten einen von hundert Studienplätzen ergattert hatte, wurde vom Oberschulamt die Hochschulzulassung versagt. Daraufhin klagte Bader beim Verwaltungsgericht Stuttgart. Das Paradoxe ist: Ein Engländer mit einem Abschluss aus Abingdon könnte in Deutschland ohne weiteres studieren.

Nobelpreis ohne Abitur

Die sture und geradezu EU-feindliche Haltung brachte im Gerichtssaal Johann Bader, Vater des Klägers und selbst Richter am Verwaltungsgerichtshof Mannheim, in Rage ("Den Nobelpreis kann einer kriegen, und trotzdem hat er nicht das Abitur!") - und anschließend die Ministerin Schavan auf die Palme. Als sie von der Sache erfuhr, hatte das Gericht der Klage Baders bereits stattgegeben. Das Oberschulamt wird nun die Gleichwertigkeit der hervorragenden Abingdon-Zeugnisse mit der hiesigen Hochschulreife feststellen. Weshalb Schavan sich zusätzlich echauffierte: Der in Baden-Württemberg abgewiesene Ralf Bader belegt nach einem Jahr an der Pariser Sorbonne - mit wiederum glänzenden Noten - den Studiengang "Philosophy, Politics and Economics" in Oxford.

Für europäische Elite-Universitäten gut genug, fürs Ländle zu schlecht? Der Zorn der Stuttgarter Kultusministerin ist groß. Hätte ihre angekündigte Initiative bei den Länderkollegen ein positives Echo, würden davon junge, motivierte und lernbegierige Menschen überall profitieren. Allzu viel Hoffnung ist jedoch nicht angebracht. Denn die Mühlen der KMK mahlen langsam.

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