Religion am Arbeitsplatz:Glaubenskampf in französischen Büros

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Eine Mitarbeiterin mit Kopftuch in einem Callcenter: In Frankreich prallen in vielen Unternehmen Laizismus und Islam aufeinander.

(Foto: Fred MARVAUX/REA/laif)
  • Wird ein Gebetsraum eingerichtet? Darf eine IT-Beraterin Kopftuch tragen? Was tun, wenn Muslime den Kolleginnen nicht die Hand geben wollen?
  • In Frankreich müssen Firmenchefs und Personaler häufiger heikle Entscheidungen treffen, welche Rolle Religion im Job spielen darf.
  • Die Regierung legt nun einen Leitfaden mit 39 Fragen und Antworten vor.

Von Leo Klimm, Paris

Lehrbuchmäßig wirkt es nicht, wie der Chef der Pariser Informatikfirma Ecodair mit der Sache umgegangen ist: Einem Mitarbeiter, der ihn um einen Raum zum Beten ersucht hatte, stellte er den Platz zur Verfügung. Einem anderen schlug er den gleichen Wunsch dagegen ab. Begründung: Der Angestellte sei "fordernd und aggressiv" aufgetreten und habe es zudem abgelehnt, nur in Arbeitspausen zu beten.

Es sind heikle Entscheidungen rund um den Rang der Religion in Unternehmen, mit denen Frankreichs Firmenchefs und Personalleiter immer häufiger konfrontiert sind. Einer Umfrage des auf diese Themen spezialisierten Instituts OFRE zufolge sieht sich die Hälfte der Personalverantwortlichen regelmäßig Fragen ausgesetzt, bei denen sie die Glaubensfreiheit ihrer Mitarbeiter mit den Interessen der Firma vereinbaren müssen.

Am Montag präsentierte das Arbeitsministerium in Paris deshalb sogar einen "Praktischen Leitfaden zum religiösen Umstand in privaten Unternehmen", der Entscheidungen erleichtern soll. Schon der gespreizte und verdächtig vage Begriff des "religiösen Umstands" lässt erkennen, dass es hier in Wahrheit um einen hochbrisanten Komplex geht: um den Umgang mit einem auch in Firmen teils aggressiv auftretenden Islam.

In der Praxis geht es meist um eher harmlose Dinge

Arbeitsministerin Myriam El Khomri ergriff die Initiative zum Leitfaden nach den Anschlägen von Paris, die sich Ende dieser Woche jähren. Schließlich waren die Mörder, die seit 2015 Attentate verübt haben, vor ihrer Karriere als islamistische Kämpfer teils in Firmen beschäftigt - etwa als Abfüller bei Coca-Cola oder als Busfahrer bei den Pariser Verkehrsbetrieben RATP.

Der OFRE-Umfrage zufolge müssen die Personaler in 95 Prozent der Fälle zu Fragen zur islamischen Religionspraxis entscheiden. "Es herrscht kein Glaubenskrieg in den Unternehmen", beschwichtigt die Leitung des Arbeitsministeriums. Sie verweist darauf, dass es einen großen Unterschied gebe zwischen gelebter Frömmigkeit am Arbeitsplatz und Radikalisierung. Tatsächlich geht es in der Praxis meist um eher harmlose Dinge wie den Wunsch nach angepassten Arbeitszeiten bei religiösen Feiertagen oder während des Fastenmonats Ramadan, bestätigt OFRE-Direktor Lionel Honoré.

Doch er registriert zugleich einen starken Anstieg von Vorfällen, die er als "übergriffiges Verhalten" bezeichnet - und die gegen Gesetze verstoßen. Etwa die Weigerung von Männern, mit Frauen zusammenzuarbeiten. Oder der Versuch, Kollegen am Arbeitsplatz zum radikalen Islam zu bekehren. Oder die eigenmächtige Inbesitznahme von Räumlichkeiten, um sie als Gebetsstätten zu nutzen. Neun Prozent der Fälle, in denen Personalmanager mit "dem religiösen Umstand" konfrontiert sind, fallen Honoré zufolge in diese Problem-Kategorie. 2014 waren es erst drei Prozent.

Die Konflikte häufen sich in Branchen mit hohem Anteil an gering qualifizierten Tätigkeiten, etwa am Bau oder im Putz- und Abfallgewerbe - aber auch in sensiblen Bereichen: Wegen Verdachts auf islamistische Radikalisierung stieg die Zahl der verweigerten oder entzogenen Zutrittsberechtigungen zum Gelände von Flughäfen und Atomkraftwerken zuletzt deutlich.

Autoritärer Islam trifft auf aggressiven Laizismus

Seit den Attentaten steht die gesamte französische Gesellschaft unter Hochspannung. Die Auseinandersetzung mit dem Islam ist allgegenwärtig. Das Land zählt den Laizismus - also die Behandlung von Religion als reine Privatsache - zu seinen Grundwerten. Umso heftiger fällt nun die Konfrontation aus: Einer breit angelegten Studie zufolge unterstützen 28 Prozent von Frankreichs Muslimen einen "autoritären Islam". Dem steht in der Mehrheitsgesellschaft ein zunehmend aggressiver Laizismus gegenüber, der mehr die Freiheit von Religion betont als die Freiheit, zu glauben.

Im heraufziehenden Wahlkampf zur Präsidentenwahl 2017 fordern einige Anwärter im rechten und konservativen Lager bereits ein Verbot religiöser Symbole in Firmen, so wie es im Öffentlichen Dienst im Namen der Neutralitätspflicht heute schon herrscht. Das zielt vor allem gegen das Kopftuch muslimischer Frauen.

Fragwürdige Kompromisse

Die Zerrissenheit der Gesellschaft spiegelt sich in den Unternehmen. Dort ist zwar "Diversity" als positiv besetzter Wert gewünscht - religiöser Eifer weniger. Jean-Paul Charlez, Präsident des Verbands französischer Personalleiter, drückt das Dilemma aus: "Die Personaler müssen dafür sorgen, dass nichts die Glaubensfreiheit eines Mitarbeiters behindert. Aber auch dafür, Diskriminierungen vorzubeugen."

Manchmal steht beides in Konflikt, etwa wenn sich männliche Mitarbeiter unter Berufung auf die Religion weigern, Kolleginnen die Hand zu geben. Bisher versuchen die Firmen meist, solche Probleme pragmatisch zu lösen - mit teils fragwürdigen Kompromissen: Bei RATP wurde vereinbart, dass die männlichen Handschlag-Verweigerer gar keine Kollegen mehr grüßen, um so die Diskriminierung aufzulösen.

In der OFRE-Umfrage geben 18 Prozent der befragten Manager an, überfordert zu sein mit dem "religiösen Umstand". Ob der neue Leitfaden der Regierung ihnen nun hilft, ist fraglich.

39 Fragen und Antworten aus der Praxis

Das Arbeitsministerium stellt keine Regeln auf, es legt nur anhand von 39 Fragen und Antworten aus der Praxis die Rechtslage dar. Angefangen dabei, dass ein Arbeitgeber einen Jobbewerber nicht nach seiner Religion fragen darf - ihn aber dafür sanktionieren kann, wenn er später unter Berufung auf die Religion bestimmte Tätigkeiten ablehnt.

Das Tragen religiöser Symbole dagegen kann nur untersagt werden, wenn etwa Kopftuch oder Kippa die Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Abläufe insgesamt behindern. Verboten ist nur die Vollverschleierung von Frauen - wenn sie an einem Ort mit Publikumsverkehr arbeiten, etwa einer Ladentheke. Ein neues Gesetz räumt Unternehmen darüber hinaus zwar die Möglichkeit ein, ein "Neutralitätsprinzip" zu erlassen und so religiöse Bekenntnisse zu verbieten, wenn damit der Betriebsfrieden gestört wird. Die betreffende Klausel ist aber schwammig. Ein französisches Gremium für Menschenrechte sieht in ihr auch einen Verfassungsverstoß.

IT-Beraterin mit Kopftuch?

Gerade das Kopftuch ärgert nicht wenige Unternehmen - weil es wirtschaftliche Nachteile bedeuten kann. Am Europäischen Gerichtshof (EuGH) wird bald das Urteil im Fall einer IT-Beraterin erwartet, die sich weigerte, während ihrer Einsätze bei einem Großkunden in Toulouse auf den Schleier zu verzichten. Bei dem Kunden fühlten sich Mitarbeiter durch das Tuch gestört. Die IT-Firma kündigte der muslimischen Mitarbeiterin daraufhin. Womöglich zu Unrecht: Dem Generalanwalt am EuGH zufolge hindert das Kopftuch die Frau "in keiner Weise", ihre Arbeit zu erledigen. Der vom Ex-Arbeitgeber befürchtete wirtschaftliche Schaden - der Verlust des Großkunden - rechtfertigt demnach keine Einschränkung der Religionsfreiheit.

Ein heikles Thema, das in Frankreich immer dringendere Fragen aufwirft und doch nur wenig eindeutige Antworten zulässt. Vieles ist Ermessenssache. So handelte der Chef der Firma, der dem einen Mitarbeiter einen Gebetsraum zur Verfügung stellte und dem anderen verweigerte, doch lehrbuchmäßig. Oder jedenfalls im Einklang mit dem juristischen Leitfaden. Dort heißt es zur Frage, ob ein Arbeitgeber den Wunsch nach Gebetsräumen ausschlagen kann: "Ja. Er muss nicht zustimmen. Allerdings ist es ihm auch nicht verboten."

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