Recht auf Feierabend:Stress, lass nach!

Ständige E-Mail-Flut, sogar im Urlaub: Der Feierabend braucht mehr Schutz, sagt Wirtschaftsminister Gabriel. Für die Diagnose Burn-out gibt es aber noch andere Erklärungen.

Von Guido Bohsem

Gemessen an der Zahl der Zeitungsberichte und Magazin-Titel hat sich der Burn-out inzwischen zu einer Art Volkskrankheit entwickelt. Immer mehr Menschen fühlen sich von ihrem Arbeitgeber derart gefordert, dass sie davon krank werden. Nach Feierabend, früh am Morgen oder sogar am Urlaubsstrand werden die betroffenen Mitarbeiter von Anrufen aus dem Büro oder von E-Mails ihrer Chefs belästigt. SPD-Chef Sigmar Gabriel nimmt diese Entwicklung zum Anlass, um nun ein "Recht auf Feierabend" zu fordern.

Gabriels (Arbeitszeit: 70 bis 80 Stunden in der Woche) Sorgen scheinen berechtigt zu sein. So verzeichnen die Krankenkassen seit Jahren einen Anstieg der psychischen Leiden. Bei den Krankschreibungen stehen sie inzwischen an zweiter Stelle - nach Rückenbeschwerden. Für Frühverrentungen sind sie der am häufigsten angeführte Grund.

Die Belastung für die Wirtschaft ist enorm

Noch rätseln die Wissenschaftler allerdings, ob der gestiegene Stress im Job tatsächlich die Ursache für die drastische Zunahme dieser Leiden ist. Manche argumentieren auch, dass Ärzte heutzutage einfach häufiger die Diagnose "Burn-out" stellen, weil sie für die Betroffenen angenehmer zu verdauen ist als "Depression". Andere führen an, das Thema sei aus der Tabuzone gerissen worden und werde nicht mehr so oft verschwiegen, wie das noch vor zehn, zwanzig Jahren der Fall gewesen sei.

Klar ist: Die Belastung für die Wirtschaft ist enorm, weil ein Ausfall wegen einer psychischen Erkrankung besonders lange dauert. Die Bundesländer schätzen die Kosten der Erkrankungen auf mehr als 43 Milliarden Euro. 2011 seien 59 Millionen Arbeitstage wegen psychischer Leiden angefallen. Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern Sportkurse zur Entspannung an. Bei anderen gibt es strenge Richtlinien, wer wen wann zu welcher Zeit anrufen oder anschreiben darf.

Vor allem die E-Mailerei nimmt überhand. So ergab eine Studie der Unternehmensberatung Bain & Company, für die 17 Konzerne in Europa und in den USA untersucht wurden, dass manche Führungskräfte pro Jahr inzwischen bis zu 30 000 E-Mails erhalten - das wären, auf 250 Werktage gerechnet, täglich 120 Nachrichten. Laut Aussage der Unternehmensberater lassen sich die Ergebnisse der Studie auch auf kleinere Firmen übertragen.

SPD-Chef könnte mit gutem Beispiel vorangehen

Die Nachrichtenflut ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen. In den Siebzigerjahren mussten die Manager nur 1000 Nachrichten pro Jahr bearbeiten. Schon mit der Erfindung des Anrufbeantworters in den Achtzigerjahren habe sich die Zahl dann vervierfacht. Explosionsartig verlief die Entwicklung aber erst, seitdem die E-Mail in den Neunzigern den Weg in die Firmen gefunden hat.

Gabriel fordert jetzt die Tarifparteien auf, für weniger Stress bei den Arbeitnehmern zu sorgen - Menschen würden krank, wenn sie unter Dauerdruck stünden, sagte er der Welt am Sonntag. Eine politische Initiative sei aus seiner Sicht jedoch nicht notwendig. Auch der Koalitionsvertrag sieht erst eine genauere wissenschaftliche Untersuchung der Zusammenhänge vor.

Immerhin: Der SPD-Chef könnte selbst schon mal mit gutem Beispiel vorangehen. Er überlege nicht bei jeder nächtlichen E-Mail an seine Generalsekretärin, ob die Nachricht wirklich sein müsse, gab er zu.

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