Quoten für ausländische Schüler:Gastfreundschaft mit Grenzen

Immer mehr asiatische Familien wollen ihre Kinder auf US-amerikanische, britische oder deutsche Internate schicken. Doch die Internate haben Kontingente eingeführt. Was sind die Gründe dafür?

Von Christine Demmer

Quoten für ausländische Schüler: Begehrliche Blicke gen Westen: Wohlhabende Eltern aus Fernost wollen ihrem Nachwuchs eine Ausbildung in einem britischen oder deutschen Internat ermöglichen. Das erregt den Unmut von Eltern einheimischer Kinder.

Begehrliche Blicke gen Westen: Wohlhabende Eltern aus Fernost wollen ihrem Nachwuchs eine Ausbildung in einem britischen oder deutschen Internat ermöglichen. Das erregt den Unmut von Eltern einheimischer Kinder.

(Foto: Mauritius Images)

Mehrere Male im Schuljahr umrundet Jaqi Liang die halbe Welt - mit dem Ziel, im Kolleg St. Blasien im Hochschwarzwald sein Abitur zu machen. "Meine Eltern wollten, dass ich selbständiger leben soll", antwortet der 17-jährige Elftklässler aus China höflich auf die Frage, warum er ausgerechnet in Deutschland zur Schule geht. Das hätte der junge Mann auch in den USA, in England oder in Kanada haben können. Zumal Internate in Deutschland im Mittelfeld rangieren, was ihre Beliebtheit bei chinesischen Eltern anbelangt. Dass der Nachwuchs aus Fernost trotzdem immer öfter in Schleswig-Holstein, Bayern oder Baden-Württemberg landet, hat andere Gründe.

Seit zwei Jahrzehnten ist ein großer Andrang von Kindern und Jugendlichen aus Südkorea, Malaysia, Thailand - und vor allem aus China - auf die Boarding Schools in der angelsächsischen Welt zu beobachten. Auf den britischen Inseln liegt der Anteil asiatischer Schüler mitunter bei 60 oder 70 Prozent - und verärgert die traditionsbewusste einheimische Klientel. Viele Schulen in England beschränken daher die Aufnahme chinesischer Schüler. Eltern aus Shanghai oder Beijing, die sich für ihre Kinder eine internationale Ausbildung leisten können, weichen daher nach Deutschland aus, das als Lernort in China einen guten Ruf genießt. Laut Angaben des Portals Statista studieren mehr als 37 000 Chinesen an deutschen Hochschulen. Bildungsexperten geben indes zu bedenken, dass manche von ihnen nur auf dem Papier studieren - sie gehen von 30 000 bis 33 000 Chinesen in deutschen Hörsälen aus.

Dorthin führt allerdings nur das deutsche oder das als gleichwertig anerkannte Abitur, zum Beispiel das International Baccalaureate (IB). Deshalb werden die international ausgerichteten Internate der Bundesrepublik seit einigen Jahren mit Anfragen aus China überrollt. Das IB und Deutschkurse für Ausländer bieten zwar nur ein paar Dutzend der hiesigen Internate an. Aber gerade die renommierten unter ihnen sind das Ziel der Eltern aus dem Nahen und Fernen Osten. Neben solidem Schulwissen erhoffen sie sich für den Nachwuchs Kontakte zur westlichen Elite.

Für die Internate ist die Nachfrage aus Fernost eine Versuchung. Denn die aufstrebende Mittelschicht in China zahlt die Jahresgebühr von etwa 25 000 bis 50 000 Euro meist bereitwillig und im Voraus. "Die Nachfrage aus China nach einem Platz im deutschen Internat wächst extrem", sagt Wenxin Zhang, deren Firma German Education Partners mit Sitz in Düsseldorf und Frankfurt am Main Internatsplätze für junge Chinesen vermittelt. Täglich, versichert die Betriebswirtin mit chinesischen Wurzeln und deutschem Hochschulabschluss, bekomme sie um die 20 Anfragen. Andere Vermittler bestätigen das. Yihong Mao aus Berlin betreibt in China eine Vorbereitungsschule für Internatszöglinge. Sie war einst für ihr Philosophiestudium nach Deutschland gekommen und promovierte in Berlin. "Wir haben dort 80 Schüler in vier Klassen und bekommen jedes Jahr um die 700 Bewerbungen", sagt sie. "Alle wollen in ein westliches Internat. Alle versuchen, über Agenturen einen Platz zu ergattern."

Gute Internate begnügen sich aber nicht mit einer schriftlichen Bewerbung, sondern wollen das Kind und seine Eltern kennenlernen. "Agenturen oder Partnerschulen in China können gern Vorschläge machen, aber ausgewählt wird erst nach persönlichen Gesprächen", erklärt Hubert Müller, Schulleiter im Kolleg St. Blasien im Schwarzwald. So geht auch die Internatsschule Schloss Salem vor. Auf keinen Fall will man den britischen Internaten in die Falle folgen. Auch in Deutschland gebe es Schulen und Internate, die nicht ohne russische und chinesische Kinder auskommen, sagt Salem-Gesamtleiter Bernd Westermeyer: "Sie nehmen unbesehen jedes Kind, das kommt." Weil aber bei einem zu hohen Ausländeranteil der Unterricht schwieriger werde und den Unmut der inländischen Eltern wecken könnte, vergibt Salem nur circa zehn Prozent der Plätze an junge Chinesen - zehn Prozent pro Klasse. Viele andere Internate haben sich dieser Politik angeschlossen.

Ihre Regeln sind somit strenger als die gesetzlichen Vorschriften. "Der Anteil von Schülern aus sogenannten Ländern mit Rückführungsschwierigkeiten, dazu gehört auch China, darf je Schule höchstens 20 Prozent ausmachen", erklärt Internatsberater Detlef Kulessa aus Wiesbaden. Die Auflagen der Behörden sind begründet. Denn unter Zuhilfenahme williger Privatschulbetreiber verwandeln Geschäftemacher gern die Wünsche chinesischer Eltern in eigene Profite. Eine Begrenzung der Anzahl ausländischer Kinder aus bestimmten Ländern je Schule heißt freilich noch nicht: je Klasse. Denn es gibt beispielsweise Schulen, die zwar die gesetzlich vorgegebene 20-Prozent-Grenze einhalten, aber für die bei Chinesen besonders beliebten Klassen zehn bis 13 einen Anteil von 50 Prozent zulassen. Im Gegenzug gibt es keine Chinesen in den unteren Klassen.

Die Quote, gemessen an der Klassenstärke, welche sich Internate selbst auferlegen, sei eine absolute Notwendigkeit, betont Kulessa. Mittlerweile kontingentieren alle namhaften Internate - Louisenlund (Schleswig-Holstein), das Landschulheim Grovesmühle (Sachsen-Anhalt), der Birklehof (Baden-Württemberg), Internat Schloss Stein (Bayern) und viele andere. Dem Gesetz, der Ausgewogenheit und den einheimischen Eltern zuliebe.

Internats-Pädagogen bereiten sich in interkulturellen Trainings auf den Unterricht vor

Früher habe es bei der Aufnahme von Schülern aus dem Ausland "eine gewisse Blauäugigkeit" gegeben, sagt Hartmut Ferenschild von der Internatsberatung Internate.de. Heutzutage seien die Pädagogen besser vorbereitet: "Inzwischen weiß man, wie wichtig interkulturelle Trainings sind. Es ergibt sich eben nicht aus der bloßen Intuition, wie man sich als Pädagoge in Unterricht und Internat auf Schüler sehr unterschiedlicher Herkunft einzustellen hat."

Bei einem seiner Besuche in China hat der Schulleiter des Kollegs St. Blasien den Internatsbewerber Jaqi Liang kennengelernt und sich von dessen Ambitionen überzeugt. Wenn er die Schule beendet hat, will der junge Mann in Deutschland bleiben und Architektur studieren. In St. Blasien sieht man sich dafür mit in der Verantwortung, dass er das Abitur schafft. "Für Chinesen, die eine Schule im Ausland besucht haben, gibt es kein Zurück in das dortige System", bemerkt Müller. "Wenn sie ohne Studienabschluss oder Abitur zurückkämen, hätten sie in der chinesischen Gesellschaft ihr Gesicht verloren."

Und wie kommen die Eltern aus China mit der strengen Schülerauslese klar? "Gut", sagt Wenxin Zhang fröhlich. "Sie sehen es ohnehin nicht gern, wenn ihr Kind im Ausland mit vielen anderen Chinesen in einer Klasse sitzt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: