Hochbegabt:"Manche Eltern führen ihr Kind wie ein Zirkuspferd vor"

Kein Verständnis für "Förderhysterie": Der Entwicklungspsychologe Detlef H. Rost über Familien mit falschem Ehrgeiz und die richtigen Förderinstrumente für hochbegabte Schüler.

Johann Osel

Eine "Förderhysterie" stellt der Marburger Psychologie-Professor Detlef H. Rost fest. Der Leiter einer Fachberatung für Eltern und Lehrer rät zum gelassenen Umgang mit dem Thema Hochbegabung.

Hochbegabt: Psychologe Detlef H. Rost plädiert für mehr Gelassenheit im Umgang mit hochbegabten Schülern.

Psychologe Detlef H. Rost plädiert für mehr Gelassenheit im Umgang mit hochbegabten Schülern.

(Foto: bildungsklick.de)

SZ: Bei Hochbegabung von Kindern denkt man sogleich an eines: Eltern mit falschem Ehrgeiz. Ein Klischee?

Rost: Es gibt viele Eltern, die vernünftig mit dem Thema umgehen. Sie lassen ihr Kind nur dann testen, wenn es einen wichtigen Anlass dafür gibt, wenn zum Beispiel eine Klasse übersprungen werden soll. Das ist absolut in Ordnung. Dann gibt es aber manche Eltern, die sagen, dass sie nur das Beste für ihr Kind wollen, in Wahrheit aber nur mit dem Kind renommieren und es wie ein Zirkuspferd vorführen. Diese vergessen, was ein Kind ausmacht - eben nicht nur Leistung, Leistung, Leistung. Da lässt sich in den vergangenen Jahren eine regelrechte Förderhysterie erkennen.

Wenn man sein Kind mit zweieinhalb Jahren zum Englisch-Frühkurs schickt, dann ist das keine entwicklungspsychologisch vernünftige Förderung, sondern grenzt schon an Kindesmisshandlung. Die Idee vom hochbegabten Kind, das sich früh einen Vorsprung in der Gesellschaft sichert, wird von Firmen propagiert, die schlichtweg Geld machen wollen. Die beste Begabtenförderung in den ersten Lebensjahren besteht darin, dass die Eltern mit ihrem Kind viel sprechen und ihm möglichst viele Anlässe bieten, selbst zu sprechen. Dazu braucht es keine teuren Förderprogramme, die Eltern aufgeschwätzt werden.

SZ: Dann müsste man Hochbegabte gar nicht einer Diagnose unterziehen?

Rost: Die Diagnose sollte kein Selbstzweck sein. Wenn ein Kind zufrieden mit sich und der Welt ist, Freunde hat und es in der Schule und zu Hause keine Probleme gibt, besteht kein Handlungsbedarf. Die Frage stellt sich dann, wenn es Auffälligkeiten gibt oder wenn anspruchsvolle Fördermaßnahmen anstehen. Man geht ja auch nicht aus Jux und Tollerei zum Arzt und lässt sich die Milz vermessen. Ich rate Eltern erst einmal zur Gelassenheit mit dem Thema.

Nicht jeder Klassenclown in hochbegabt

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Nicht immer ist ein Test zur Hochbegabung von Kindern sinnvoll.

(Foto: dpa)

Rost: Wenn Kinder auffällig sind, wenn sie keine Freunde haben, verfällt man gerne schnell auf den Verdacht Hochbegabung. Doch deswegen muss das Kind nicht unterfordert sein, es könnte genauso überfordert sein. Hochbegabte sind in der Regel gut sozialisiert, das zeigt uns die Forschung. Und Hochbegabung ist grundsätzlich auch kein Risikofaktor. Ab einem IQ von 130 fällt man in diese Kategorie, das sind etwa zwei Prozent der Schüler. Und von denen zeigen sich nur bei einem Bruchteil Probleme. Es gibt aber "Underachiever", wie wir sie nennen. Sie haben oft schlechte Noten, obwohl sie besonders intelligent sind. Die Ursachen können sehr vielfältig sein. Hier muss auf jeden Fall eine ausführliche psychologische Diagnose her, und es ist zu überlegen, was zu tun ist.

SZ: Und was ist zu tun? Spezielle Einrichtungen oder reicht die Regelschule?

Rost: Normalerweise halte ich die Regelschule mit einem engagierten Lehrer für den Königsweg. Eine heterogene Schülerschaft zwingt geradezu den Lehrer, die Kinder individuell ernst zu nehmen und zu fördern. Guter Unterricht nützt allen, das gilt für Hochbegabte wie für Durchschnittsschüler oder Minderbegabte. Dafür braucht es Pädagogen, die für individuelle Förderung sensibilisiert sind, die eine entsprechende Aus- und Fortbildung haben. Leider gibt es hier große Defizite. Und man bräuchte auch eine bessere Ausstattung der Schulen und ein Umdenken in der Lernkultur.

Von einer Separierung halt ich nicht viel, denn Schulen sozialisieren Kinder, man lernt den Umgang miteinander. Normalbegabte können erkennen, dass Hochbegabte keine seltsamen Eierköpfe mit Brille sind; und die Hochbegabten werden später im Berufsleben ohnehin nicht nur mit ihresgleichen zu tun haben, da ist die Abschottung eher kontraproduktiv. Man muss früh anfangen wertzuschätzen, dass jeder anders ist. Andersartigkeit ist dann eine Bereicherung, keine Last.

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