Projekt Selbstständigkeit:Der Meister mag es perfekt

Wie ein Restaurantbesitzer sein Alleinstellungsmerkmal entdeckte.

Christine Demmer

Mehr als 7000 Japaner leben in Dyusseru, hierzulande besser bekannt als Düsseldorf. Rund 450 japanische Firmen haben in der nordrhein-westfälischen Hauptstadt ihren Sitz und bilden mit ihren Angestellten und Besuchern die größte Nippon-Gemeinde Deutschlands. In Düsseldorf gibt es mehr japanische Restaurants als in jeder anderen deutschen Stadt, das erste machte schon 1905 mit Miso-Suppe und Sashimi Schlagzeilen.

Der Wettbewerb schraubt die kulinarischen Maßstäbe und den Eifer der Köche nach oben. Wer sich trotzdem dazwischendrängen und Gaumen und Gunst der anspruchsvollen Gäste gewinnen will, muss sich irgendwie von den Etablierten am Ort unterscheiden. Denn, mittlere Verbeugung, schmecken tut's fast überall. Insofern geht es in dieser Geschichte nur vordergründig um einen Japaner. Zehntausende Gastronomen, von der n Dönerbude bis hin zum Spitzenkoch, stehen vor dem selben Problem.

Als Yoshizumi Nagaya Ende 2004 beschloss, das Restaurant, in dem er seit zwei Jahren als Chefkoch angestellt war, in seinen Besitz zu nehmen, kam er erst mal ganz schön ins Grübeln. Fest stand für ihn nur, dass er das eingeführte Lokal nicht in eine Fast Food-Schleuder verwandeln wollte. Sushi-Bars gibt's in Düsseldorf wie Steine am Strand von Hokkaido. Überdies wollte er um jeden Preis an seinen Qualitätsvorstellungen festhalten. Wer sieben Jahre lang bei einem Großmeister der japanischen Küche in Tokio gelernt hat, darf stur sein.

Kunst in der Küche

Was also sollte sein Alleinstellungsmerkmal sein? Womit konnte sich Nagaya von all den anderen japanischen Gourmet-Tempeln in Fußnähe unterscheiden? Den von der Mailänder Japan-Szene ans Rheinufer geschwappte New Style - die Synthese zwischen abendländischer und asiatischer Küche - hatte die Konkurrenz längst breit getreten. Dass die Kochmesser perfekt geschliffen sind, dass der Fisch jeden Morgen frisch vom Flughafen geholt und der Chinakohl von Hand plissiert wird, ist in dieser Preisregion Branchen-Usus. Ebenso die Art der Inneneinrichtung (puristisch), die Landsmannschaft der Servicekräfte (japanisch) und die Gestaltung der Speisekarte (künstlerisch). Für ein Mehr vom Gleichen gibt es selbst bei der wohlhabenden Düsseldorfer Klientel keinen Bedarf.

Da fiel Nagaya wieder ein, warum er eigentlich nach Deutschland gekommen war. Auf seiner letzten Station in Mailand habe er viele deutsche Gäste bekocht. "Die klagten oft, dass es vergleichbares japanisches Essen nicht in ihrer Heimat gäbe." Sushi, Sashimi ja - aber eben nicht die von Nagaya geliebte und geprägte japanische Darreichungsform, die Esskunst. Diese angebliche Marktlücke wollte er doch mal genauer in Augenschein nehmen - in Düsseldorf, der größten japanischen Kolonie Europas.

Er fand sie tatsächlich, ließ sich aber zunächst als Chefkoch anstellen. Seine künstlerische Ader war in dieser Funktion weniger gefragt, und so pflegte der Japaner seine Arrangements nur privat, wenn er sich für Freunde in die Küche stellte. Die bestaunten den unendlichen Aufwand für eine Mahlzeit, machten erst große Augen und später Fotos und hielten Nagaya im übrigen für leicht verrückt. Kunst am Bau kannte Düsseldorf schon, aber Kunst in der Küche?

Mit japanischer Esskunst sind nicht etwa Tuschezeichnungen an den Restaurantwänden gemeint, sondern kunstvoll geschnitzte Tunfischscheibchen, deren Form entfernt an den Krönungshut des Tenno erinnert. Eiskugeln aus Grüntee, aufgetürmt im Longdrinkglas und dekoriert mit Pflanzenstielen und Blüten, wie man es sonst nur von einem geschulten Floristen erwarten würde. Liebevoll von Hand zu einem japanischen Schriftzeichen gedrechseltes Washimi - anderswo wird diese scharfe, grüne Brei-Beigabe zu rohem Fisch wie Mayo zu den Pommes an den Rand des Tellers geklatscht.

So wurde aus dem Koch Nagaya ein regelrechter Künstler. Der 36-Jährige bearbeitet selbst kleinste Filetpartikel einzeln mit einem Bunsenbrenner, damit jedes Teil tatsächlich die angestrebte Konsistenz und das perfekte Aussehen hat. Er fönt seine Gerichte und dekoriert Gläser, Teller und Platten mit der Akribie eines britischen Gärtners, der den Park von Windsor Castle mit dem Skalpell in Form hält. Denn der Meister mag es perfekt - für den Magen, für die Augen und für die Kasse, in der sich schon nach wenigen Monaten der gesuchte Unterschied zur Konkurrenz bemerkbar machte. Denn mit seinem künstlerisch-visuellen Zusatznutzen macht Yoshizumi Nagaya den Wettbewerbern vor Ort mindestens soviel Dampf wie in einem original japanischen Badehaus.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: