Privatschulen:Raus aus der Masse

Für jedes Kind das Beste: Weil sie oft moderner sind und stärker auf die einzelnen Kinder eingehen, sind Privatschulen sehr gefragt - nirgendwo mehr denn in München.

Tina Baier

Eigentlich wollte Andrea Neumann ihren Sohn nie auf eine Privatschule schicken. Michael ging ganz regulär in eine staatliche Grundschule im Münchner Süden. "Wir hatten Pech", sagt Neumann. Dabei hat die Schule einen guten Ruf. Fast alle Kinder gehen nach der vierten Klasse aufs Gymnasium. Der Anteil ausländischer Schüler ist verschwindend gering. "Genau das war das Problem", sagt Neumann.

Erstes Jenaplan-Gymnasium in Bayern

Elternbeiräte staatlicher Gymnasien schlagen Alarm: Sie fürchten das Ende der zusätzlichen sozialpädagogische Betreuung, die viele Schulen anbieten.

(Foto: dpa)

Viele Kinder in Michaels Klasse konnten schon am ersten Schultag lesen und schreiben. Das Lerntempo war atemberaubend. "Die Lehrerin war sehr ehrgeizig", sagt Neumann. "Sie hatte ihre Methoden, einen enormen Leistungsdruck zu erzeugen, obwohl es offiziell in der ersten Klasse noch gar keine Noten gab." Michael machte alles mit. Lernte schnell lesen und schreiben und erledigte an manchen Tagen sieben verschiedene Hausaufgaben. Doch die Eltern hatten bald das Gefühl: "Unserem Sohn wird die Kindheit genommen." Sie sahen sich nach Alternativen um. Heute besucht Michael die vierte Klasse der Waldorfschule in Wolfratshausen. "Es war keine leichte Entscheidung", sagt Neumann. "Aber für uns war es genau das Richtige."

Die Gründe, warum Eltern sich so entscheiden, sind so unterschiedlich wie die Schulen selbst. Gustav Huber, der Vorsitzende des Verbands bayerischer Privatschulen, formuliert es so: "Es gibt unterschiedliche Elternhäuser mit unterschiedlichen Erziehungsstilen. Und am besten ist es, wenn das Konzept der Schule mit dem Stil der Eltern zusammenpasst."

Dafür nehmen immer mehr Eltern auch Nachteile in Kauf, etwa weite Schulwege. Dass es in Bayern die meisten Privatschulen gibt, hänge mit der jahrhundertealten Tradition der katholischen Internate zusammen, sagt Huber. Hier besuchen 13,6 Prozent der Schüler eine Privatschule, der Bundesschnitt liegt bei acht Prozent. In der Landeshauptstadt sind es sogar gut 20 Prozent. "München ist traditionell eine Hochburg", sagt Huber.

Und es könnten noch viel mehr sein. Die meisten Privatschulen in der Region haben mehr Bewerber, als sie aufnehmen können. Auch die kirchlichen - trotz der Missbrauchsdebatte. Auf der Warteliste der Phormsschule im Stadtteil Bogenhausen zum Beispiel stehen 2800 Namen. Allein in die erste Klasse wollten dieses Jahr 270 Eltern ihr Kind einschulen; 30 wurden genommen. Drei neue Montessori-Schulen wurden in den vergangenen vier Jahren in München gegründet. Trotzdem müssen nach wie vor viele Kinder abgewiesen werden. "Wir könnten jedes Jahr zwei neue Klassen aufmachen", sagt Christl von Treuberg, Direktorin der Montessori-Schule in der Reutbergerstraße in Sendling. Für jede Klasse stünden fünf bis sechs Kinder auf der Warteliste; besonders groß sei stets der Andrang an Erstklässlern.

In den vergangenen drei Jahren haben im Großraum München allein elf Privatschulen den Betrieb aufgenommen. Für die existierenden ist das offenbar kein Problem: In den kirchlichen Realschulen von Markt Indersdorf und Weichs mussten so viele Bewerber abgelehnt werden, dass am Ende die staatliche in Dachau 50 Kinder aufnahm.

Ungerechtigkeit vom Staat

Die pädagogischen Ansätze der Träger sind sehr unterschiedlich. Doch fragt man Vertreter der verschiedenen Schularten nach den Stärken ihres Angebots, bekommt man immer wieder dieselbe Antwort: "Wir gehen individuell auf jedes einzelne Kind ein."

Zauberwort "Individualisierung"

Das war auch einer der Gründe, aus denen Elina von Byern ihre beiden Töchter an einer Montessori-Schule angemeldet hat. "Ich wollte keine Schule, in der alle Kinder im selben Tempo lernen müssen", sagt sie. "In den staatlichen Grundschulen füllen in der Regel alle Kinder zum gleichen Zeitpunkt dasselbe Arbeitsblatt aus. Und wer in der vorgegebenen Zeit nicht fertig wird, muss oft zu Hause nacharbeiten." Als Sonderschullehrerin im Landkreis München bekomme sie immer wieder Kinder in die Klasse, die psychisch nicht damit zurechtgekommen sind, ständig ihren Klassenkameraden hinterherzuhinken: intelligente Kinder mit Schulangst, mit Versagensängsten oder sogar mit Depressionen, die aufblühten, sobald sie in ihrem eigenen Tempo lernen durften.

In der Regierung hat man diese Schwäche des staatlichen Schulsystems erkannt und versucht gegenzusteuern. Gleich ob sich Kultusminister Ludwig Spaenle zu Gymnasien, Grund-, Mittel- oder Realschulen äußert - fast immer gebraucht er das Schlagwort "Individualisierung".

Bis zu 2000 Euro im Monat

Auch die Vorzüge eines Ganztagsangebots, das für viele Privatschulen seit Jahrzehnten selbstverständlich ist, hat der Freistaat inzwischen entdeckt. Im Detail haben sich die öffentlichen Schulen ohnehin schon viel von der privaten Konkurrenz abgeschaut. "Der Mathematiklehrplan an den Grundschulen enthält mittlerweile sehr viele Montessori-Elemente", sagt Christl von Treuberg. "Es steht nur nicht dabei. Aber wir freuen uns trotzdem darüber."

Als umso ungerechter empfinden es viele Vertreter von Privatschulen, dass sie vom Staat finanziell weniger unterstützt werden als die öffentlichen Schulen. "Der Staat gibt für einen Privatschüler nur etwa 60 Prozent der Kosten aus, die ein Schüler an einer staatlichen Schule verursacht", klagt Huber. Angemessen wären seiner Ansicht nach 80 bis 85 Prozent. Deshalb verlangen fast alle Privatschulen Gebühren. Am günstigsten sind die kirchlichen Schulen, da die Kirche selbst einen Teil der Kosten übernimmt. Am teuersten sind private Elite-Internate. Manche kosten mehr als 2000 Euro pro Monat. Viele Privatschulen wollen aber bewusst nicht nur Kinder aus reichen Elternhäusern aufnehmen. Sie verlangen einen relativ geringen Grundbeitrag und berechnen die Gebühren dann je nach dem Einkommen der Eltern.

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