Prävention:Wer krank wird, ist selbst schuld

Betriebssport

Betriebliche Gesundheitsförderung ist nur sinnvoll, wenn auch die Ursachen der Belastung bekämpft werden.

(Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Gesundheitsprogramme gibt es in immer mehr Firmen. Das hat nur Sinn, wenn auch die Ursache von Belastungen beachtet wird.

Betriebseigene Fitnesscenter, Vorträge über gesunde Ernährung und Workshops zur Stressbewältigung: Es gibt unzählige Maßnahmen, mit denen Firmen ihre Mitarbeiter zu einem gesunden Lebensstil bewegen wollen. Die Motivation dahinter ist klar kalkuliert: Mit jedem Euro, den die Firmen in Gesundheitsförderung investieren, können sie sparen, weil die Mitarbeiter seltener fehlen. Bei den Mitarbeitern soll darüber hinaus die Zufriedenheit steigen. Doch das Kalkül geht nicht immer auf.

90 Prozent von 145 befragten Unternehmen bieten Fitnessprogramme an, ergab eine Umfrage der Beratungsgesellschaft Towers Watson im vergangenen Jahr. Mehr als jede zweite Firma bietet Rückenschulen oder Burn-out-Präventionsprogramme an. Gut für die Mitarbeiter? Tatsächlich sehen Gesundheitsforscher den Trend kritisch: "Oft wird die betriebliche Gesundheitsförderung genutzt, um die Verantwortung für die Gesundheit komplett auf die Beschäftigten zu übertragen", sagt David Beck von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Die Programme propagieren einen gesunden Lebensstil, wer nicht mitmacht und krank wird, ist selber schuld.

Doch nach Einschätzung der beiden Organisationsforscher André Spicer und Carl Cederström sind Gesundheitsprogramme wenig effektiv. Sie könnten sogar negative Effekte auslösen, stellten sie in ihrem Buch "The Wellness Syndrome" fest. Die Mitarbeiter fühlten sich unter Druck gesetzt, noch attraktiver für ihren Arbeitgeber werden zu müssen. Halten sie sich nicht an die Empfehlungen, fürchten sie um ihren Job.

Dazu kommt der soziale Druck, der mit einem vermeintlich ungesunden Lebensstil einhergeht. Übergewichtige beispielsweise repräsentierten heutzutage "alles, was in der Leistungsgesellschaft als inakzeptables Verhalten gilt: Maßlosigkeit und Müßiggang", schrieb Gesundheitsforscherin Bettina Schmidt bereits 2010 in einer Analyse für das wissenschaftliche Institut der AOK.

Menschen schließen demnach vom vermeintlich ungesunden Verhalten automatisch auch auf andere Eigenschaften, etwa dass ein Übergewichtiger keine gute Arbeit leiste. So fangen laut Schmidt die "Gesunden" an, die "Ungesunden" sozial auszugrenzen. Ein Effekt, der durch Gesundheitsprogramme befördert werde und die Schuldgefühle bei einem nicht der Gesundheitsnorm entsprechendem Verhalten wie Rauchen steigere.

Dabei tragen noch viel mehr Faktoren dazu bei, dass ein Mensch krank wird - nicht alle haben die Mitarbeiter unter Kontrolle, wie der Arbeitssoziologe Beck betont. Wie hoch etwa das Stresslevel bei der Arbeit oder der Lärmpegel sei, wie häufig Überstunden anfielen, darauf könnten Arbeitnehmer nur begrenzt Einfluss nehmen. Dazu kämen persönliche Zielvorgaben, die auch ans Gehalt geknüpft sein können.

Wie Arbeitssoziologe Beck beobachtet, zielen viele betriebliche Gesundheitsprogramme aber nicht auf die Ursachen, sondern nur auf die Verhaltensprävention ab: "Die Mitarbeiter sollen härter gegenüber Stressbelastungen werden." Erholungsphasen - also schon Pausen - sollten "effektiver genutzt" werden. Gebe es vom Arbeitgeber nur Empfehlungen für Entspannungsübungen und das eigentliche Problem bleibe unangetastet, fühlten sich die Mitarbeiter allerdings nicht mehr ernst genommen.

Kein seltenes Phänomen, wie die Analyse von Towers Watson zeigt: Oft orientierten sich die Gesundheitsprogramme nicht an den Bedürfnissen der Mitarbeiter, seien unstrukturiert aufgebaut und würden nicht aktualisiert, erklärte die Beratungsgesellschaft. "Wenn betriebliche Gesundheitsförderung zynisch wird, kann das für die Mitarbeiter eine Ohnmachtserfahrung sein", sagt Beck. Die Unzufriedenheit steige.

Beck rät den Firmen zu sogenannten Multikomponentenprogrammen, die sowohl auf Verhältnis- als auch Verhaltensprävention setzen. "Die Firmen sollten nicht nur fragen: Wie können die Mitarbeiter effektiver mit Stress umgehen? Sie sollten auch fragen: Wie können wir stressige Situationen vermeiden?" Ein Angebot für alle reiche nicht, die Gesundheitsförderung müsse auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter eingehen.

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