Polizei in NRW:Jede fünfte Frau kann grundsätzlich nicht Polizistin werden

Zwölfjährige in Salzgitter angeschossen

Polizistinnen bei einem Einsatz in Salzgitter: Im Arbeitsalltag spielt die Körpergröße häufig keine Rolle. Trotzdem ist eine Mindestgröße für den Polizeidienst legitim, haben Gerichte entschieden.

(Foto: picture alliance / Julian Strate)

Geht es nach dem Verwaltungsgericht Düsseldorf, darf das auch so bleiben. Ein neues Urteil erklärt eine einheitliche Mindestgröße für den Polizeidienst in NRW für rechtmäßig.

Von Larissa Holzki

Die neue einheitliche Mindestgröße für Frauen und Männer, die in den Polizeidienst des Landes Nordrhein-Westfalen treten wollen, ist rechtmäßig, hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschieden - und damit in einer neuen Runde in diesem Streit die Hoffnungen vieler Polizeianwärterinnen geschmälert. Polizeidienstbewerber, Land und Verwaltungsrichter verschiedener Instanzen verhandeln seit Jahren darüber, ob die Körperhöhe ein Ausschlusskriterium sein darf und ob man Frauen und Männer dabei gleich oder unterschiedlich behandeln sollte. Dabei geht es auch um die Frage, wie das Recht auf unterschiedliche biologische Voraussetzungen - insbesondere für Männer und Frauen - im Hinblick auf berufliche Entfaltungsmöglichkeiten reagieren sollte.

Der aktuelle Stand: Eine Mindestgröße von 1,63 Metern für alle ist "sachgerecht und sehr nachvollziehbar". So sieht es Richter Andreas Müller, wohlwissend, dass Frauen damit schlechtere Chancen haben, für die Polizei arbeiten zu können. Aber der Reihe nach:

  • Das nordrhein-westfälische Innenministerium wollte alles richtig machen, als es 2006 verschiedene Mindestgrößen für Frauen (1,63 Meter) und Männer (1,68 Meter) festlegte. Es wollte damit einerseits geeignete Bewerber vorsortieren, andererseits Frauen nicht überproportional ausschließen.
  • Kleine Bewerber, Männer wie Frauen, fühlten sich durch diese Vorauswahl benachteiligt und Gerichte gaben ihnen auch recht: Denn die Mindestgröße war bis dato unbegründet.
  • Nachdem Untersuchungen der Sporthochschule Köln belegt hatten, dass die Körpergröße für den Polizeidienst relevant ist und 1,63 Meter für eine sinnvolle Grenze erachteten, entschieden die Gerichte, der unterschiedliche Maßstab sei nicht haltbar: Er diskriminiere alle Männer, die die körperlichen Voraussetzungen für den Polizeidienst erfüllten, ihn aus Gleichstellungsgründen aber nicht ausführen dürfen.
  • Nach einem neuen Erlass gilt jetzt also eine einheitliche Mindestgröße - mit den bekannten Nachteilen auf Seiten der Frauen.

Der Streit ist damit schon deshalb nicht entschieden, weil noch mehrere Verfahren am Oberverwaltungsgericht in Münster anhängig sind, schon am 28. Juni wird also weiter verhandelt, dann mit gleich vier Klägerinnen, die immer noch auf eine Polizeilaufbahn hoffen werden.

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Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht

Dass Frauen und Männer abwechselnd gegen die Regelung klagen, zeigt, woran es bei der Gleichstellung allgemein krankt: Es geht vielmehr darum, das Ungerechtigkeitsgefühl der Frauen zu beschwichtigen, als an den tatsächlichen Verhältnissen etwas zu ändern. Dafür wird auch mal in Kauf genommen, dass ein kleiner Teil einer privilegierten Gruppe diskriminiert wird, der die Benachteiligung einer anderen Gruppe nicht zu verschulden hat. Im vorliegenden Fall Männer mit einer Körpergröße zwischen 1,63 Metern und 1,68 Metern. Sie auszusortieren, hatte einzig das Ziel, Frauen zu zeigen: Die Männer dürfen auch nicht alle mitspielen.

Die Beobachtung, die der inzwischen gekippten unterschiedlichen Mindestgröße für Männer und Frauen zugrunde liegt, ist aber trotzdem richtig: Dass man im Polizeidienst Schnelligkeit, Kraft und eben eine gewisse Körpergröße haben muss, ist ungerecht - zwar für alle, die kurze Beine haben, aber besonders für Frauen, die durchschnittlich nun mal nicht so hoch wachsen wie Männer.

Die Polizei würde auch mit weniger Nachteilen für Frauen funktionieren

Tatsächlich schließt eine Mindestgröße von 1,63 Metern ein Fünftel der Frauen zwischen 18 und 25 Jahren vom Polizeidienst grundsätzlich aus, zeigen Daten aus dem Mikrozensus von 2013 (bei einer vorgeschriebenen Mindestgröße von 1,65 wie in Mecklenburg-Vorpommern sind es sogar fast 30 Prozent, die Länder dürfen ihre Messlatte auch nach den Untersuchungen der Sporthochschule weiter selbst legen). Wer jetzt sagt, das ist eben Biologie und das muss man auch mal akzeptieren, liegt falsch.

Was in dem ganzen Streit bisher kaum berücksichtigt wurde, ist die Frage, warum Frauen so groß sein müssen, wenn sie Polizistin werden wollen. Wer Polizist werden will, muss in allen Situationen einsetzbar sein - Anzeigen aufnehmen, Spuren sichern, Kriminalfälle aufklären, Diebe fangen, Schläger überwältigen, lautet die einfache Antwort. Und wer wollte das ungleich höhere Risiko verantworten, dass eine kleine Polizistin in einer Menschenmasse aus dem Sichtfeld des Streifenkollegen verschwindet oder in eine Schlägerei gerät, in der sie sich gegen die Kontrahenten körperlich nicht zur Wehr setzen kann? Dass die multifunktionelle Einsetzbarkeit nicht nötig wäre, sondern für den Dienstherrn schlichtweg einfacher ist, wird dabei unterschlagen.

Denn es gibt durchaus Polizeibeamte, die nicht bei Ausschreitungen wie beim G-20-Gipfel in Hamburg eingesetzt werden oder prügelnde Männer vor der Dorfdisco auseinanderbringen müssen. Auf Nachfrage, ob kleine Frauen nicht zumindest einen tollen Job in der Prävention gegen häusliche Gewalt, bei der Kriminalpolizei oder als Pressesprecherin machen könnten, wird jedoch abgewinkt: Diese Aufgaben müssten reserviert werden für ältere Polizeibeamte oder gar Kollegen, die im Einsatz verletzt wurden und deshalb nicht mehr rennen können. Wie viele der Bürostellen in Wahrheit mit Beamten besetzt werden, die keine Lust mehr auf Fitnessübungen hatten und zu dick für die Verfolgungsjagd geworden sind, bleibt das Geheimnis der Behörden. Nach der Verbeamtung müssen sich Polizisten in der Regel nämlich nicht mehr darum sorgen, dass sie kein Polizist mehr sein dürfen, weil die eine oder andere Mauer zu hoch für sie ist.

Der Europäische Gerichtshof hat im Fall einer Polizeianwärterin aus Griechenland bereits darauf hingewiesen, dass nicht für jede polizeiliche Tätigkeit eine bestimmte Körpergröße notwendig sei und das Funktionieren der Polizei auch mit Maßnahmen erreicht werden könne, die Frauen weniger benachteiligen. Nationale Gerichte sollen das überprüfen.

Darf Gleichstellung eine Frage der Kosten sein?

Frauen und Männer, die lediglich zur Eignungsprüfung der Polizei in verschiedenen Bundesländern zugelassen werden wollen, fordern deshalb noch viel zu wenig. Sie pochen darauf, dass man ihnen zumindest die Chance auf einen Test geben muss, der zeigt, ob sie ihre geringe Körpergröße mit Kraft und Wendigkeit kompensieren können. Was sie aber in Wahrheit kompensieren müssen, ist das Selbstverständnis und die unzulängliche Ausrüstung der Polizei. Die Einheitskleidung ist relativ gesehen für kleine Polizisten viel schwerer als für große. Im Einsatz müssen sie die Hälfte ihres Körpergewichts Treppen hinaufschleppen, Kollegen nur ein Drittel. Und die Waffen sind für große (Männer-)Hände konstruiert, mit denen sich der Abzug bequem erreichen lässt.

Gegen neue Ausrüstung lässt sich einwenden, dass internationale Firmen die Waffen in riesigen Mengen produzieren und es immense Kosten verursachen würde, neue Pistolen zu entwickeln und zigtausendfach anzuschaffen. Andererseits sollte man zu Bedenken geben, dass ohne diese Investitionen an einer Welt festgehalten wird, in der Waffen so gebaut sind, dass viele Frauen sie gar nicht bedienen können und darauf angewiesen bleiben, dass Männer sie beschützen.

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