PlanW:Medizinerinnen bleiben auf der Strecke

PlanW: Noch ist sie eine Ausnahme. Isabel Deisenhofer leitet die Abteilung für Elektrophysiologie am Herzzentrum der Klinik der TU München.

Noch ist sie eine Ausnahme. Isabel Deisenhofer leitet die Abteilung für Elektrophysiologie am Herzzentrum der Klinik der TU München.

(Foto: Catherina Hess)

Spitzenjobs in der Medizin sind fest in Männerhand. Das hat möglicherweise nicht nur für Frauen Nachteile, sondern auch für Patienten.

Von Andrea Rexer

- Wenn das Herz aus dem Takt gerät, ist man bei Isabel Deisenhofer an der richtigen Adresse. Die Professorin ist auf Herzrhythmusstörungen spezialisiert. Und gewissermaßen ist auch sie selbst eine Irregularität im deutschen Gesundheitswesen. Denn Deisenhofer ist eine der ganz wenigen Frauen in Deutschland, die eine Abteilung einer Universitätsklinik leiten. Nur zehn Prozent der Spitzenpositionen in der deutschen Universitätsmedizin sind mit Frauen besetzt.

Das ist nicht nur ein Problem für einzelne Frauen, die gern Karriere machen würden, sondern das Phänomen hat gesellschaftliche Tragweite: "Deutschland könnte eine bessere medizinische Versorgung haben, wenn es die besten Ärzte nach oben schaffen würden", sagt Gabriele Kaczmarczyk, Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Gemessen an den Studienabschlüssen müssten wesentlich mehr Frauen die Karriereleiter erklimmen, denn mehr als die Hälfte der Absolventen sind weiblich. Doch offensichtlich wird nicht das gesamte Pool an Talenten herangezogen, wenn es um die Topjobs geht. Viele hoch qualifizierte Medizinerinnen bleiben auf der Strecke.

Warum ist das so? Medizinerin Kaczmarczyk hat sich zum Ziel gesetzt, dieser Frage auf den Grund zu gehen. In einem ersten Schritt hat sie eine Bestandsaufnahme gemacht. Ihr Ergebnis ist ernüchternd: Zwar gibt es in Fächern wie der Frauenheilkunde einen respektablen Anteil von Frauen in Führungspositionen an den Universitätskliniken in Deutschland, aber in der prestigeträchtigen Chirurgie etwa sind gar nur drei Prozent der Top-Jobs in Händen von Frauen. Auch bei den Anästhesisten und den Intensivmedizinern schaffen es fast ausschließlich Männer nach oben.

In einem zweiten Schritt versucht Kaczmarczyk mithilfe groß angelegter Umfragen Karrierebarrieren für weibliche Ärzte aufzuspüren. Sie hat bereits mit den Gleichstellungsbeauftragten der Universitätskliniken gesprochen, die Befragung von Oberärztinnen und Oberärzten läuft gerade an. Kaczmarczyk vermutet, dass für die schlechte Repräsentation von Frauen ein ganzes Bündel an Gründen verantwortlich ist.

Wenn Ärzte Karriere machen, werden Ärztinnen schwanger

Eine unbestrittene Ursache ist der zeitliche Verlauf der Ausbildung: Wer das lange Medizinstudium abschließt, ist in der Regel schon 26 oder 27 Jahre alt. Wer weiterkommen will, muss daran eine sechsjährige Facharztausbildung anschließen - das ist genau in dem Alter, in dem Akademikerinnen an die Familiengründung denken. Diese Hürde nehmen viele Frauen nicht, nur 40 Prozent der Fachärzte sind weiblich - ohne diesen Abschluss gibt es kein Weiterkommen auf dem Karrierepfad.

So weit, so klar. Doch die weiteren Gründe für das Fehlen der Frauen in der Spitzenmedizin sind schwieriger auszumachen. "Niemand sagt, Sie bekommen die Stelle nicht, weil sie eine Frau sind. Das läuft subtiler ab", sagt Kaczmarczyk. "Zum Beispiel werden Frauen nicht ermutigt, sich auf höhere Positionen zu bewerben. Man traut ihnen vieles nicht zu, obwohl sie sich die Sporen schon verdient haben." Schon allein den Tonfall an den Unikliniken prangern viele als rau oder gar sexistisch an. "Wenn der Dienstplan gemacht wird, fallen schon mal Sätze wie: 'Die ist doch geeignet als Echomaus'. Man braucht ein dickes Fell", sagt Abteilungsleiterin Deisenhofer.

Sie ist Chefin von rund 50 Mitarbeitern, leitet gemeinsam mit zwei Kollegen, einem Mann und einer Frau, die Abteilung für Elektrophysiologie am Herzzentrum der Klinik der TU München. Sie beobachtet, dass sich Frauen seltener als Erstoperateure eintragen. "Mein Eindruck ist, dass Frauen mehr Angst davor haben, dem Patienten die eigene Lernkurve anzutun. Männer hinterfragen das nicht." Diese Vorsicht ist aus Sicht des einzelnen Patienten ein Vorteil - für die Karriere des Mediziners aber ein Nachteil.

Mehr Frauen an die Spitze? "Es wäre eine bessere Medizin"

Deisenhofer selbst hatte das Glück einen Chef zu haben, der ihr immer wieder einen Schubs gegeben hat, der ihr gesagt hat, dass sie sich habilitieren soll, der sie auf den nächsten Karriereschritt angesprochen hat - und der sie nach Operationen immer wieder beiseite genommen hat, um sie auf Details des Eingriffs aufmerksam zu machen.

Allein das Bewusstsein der Führungskraft dafür, dass Frauen mehr Ermutigung brauchen, führt zu Änderungen: "Ich mache es wie mein früherer Chef und spreche Nachwuchsmedizinerinnen gezielt an", sagt Deisenhofer. Das Ergebnis: "60 Prozent unserer Assistenzärzte unserer Abteilung sind Frauen - das ist außergewöhnlich."

Der Erfolg gibt ihr Recht. Die Abteilung trägt substantiell zum wirtschaftlichen Ergebnis der Kardiologie bei. Das lässt Kritiker verstummen. Doch als Deisenhofer und ihre zwei Kollegen 2014 die Abteilung gründeten, mussten sie einige Widerstände durchbrechen. "Eine Abteilungs-Leitung zu dritt, und dann auch noch zwei Frauen an der Spitze, das war vielen suspekt", sagt Deisenhofer lachend.

Kaczmarczyk ist überzeugt davon, dass Frauen an der Spitze andere medizinische und wirtschaftliche Entscheidungen treffen würden als Männer. "Es wäre eine bessere Medizin", sagt sie provozierend. Und begründet ihre Ansicht mit einer Beobachtung, die sie auf ihre Umfragen stützt: "Zum Teil sagen die Frauen, dass sie im gegenwärtigen Gesundheitssystem eine solche Verantwortung nicht übernehmen wollen. Sie scheuen den Zwang, bestimmte Therapien anzuwenden, nur weil diese Geld einbringen. Männer operieren gern, Frauen wollen nur operieren wenn es notwendig ist."

Eine Frauenquote ist nicht realistisch umsetzbar

Auch die Forschung würde sich ändern, wenn Frauen mehr zu sagen hätten. Erst vor zwanzig Jahren fiel einer breiteren Öffentlichkeit auf, dass Frauen auf viele Therapien und Medikamente anders reagieren als Männer. Hintergrund ist, dass kaum erforscht wurde, wie der weibliche Zyklus Wirkungen verändern kann - und dass viele Tests einfach an Männern durchgeführt wurden, um diese "störende" Wirkung auszublenden. "Gendermedizin ist immer noch kein Prüfungsfach, die Studenten können es sich als Wahlfach anhören - das ist zu wenig", sagt Kaczmarczyk.

Während der Gesetzgeber bei großen Konzernen im Aufsichtsrat eine Quote eingeführt hat, lässt sich so etwas im Gesundheitswesen kaum durchsetzen. Denn die Universitätskliniken sind der jeweiligen Landesregierung verantwortlich - nicht der Bundesregierung. Eine Frauenquote wird daher zwar immer wieder gefordert - realistisch umsetzbar jedoch ist sie derzeit nicht.

Eine Veränderung erreichen lässt sich im Moment nur so, wie es Deisenhofer vorlebt. Sie könnte auch männlichen Kollegen ein Vorbild sein. Denn schließlich ist ihre Abteilung wirtschaftlich so erfolgreich - trotz - oder gerade wegen? - der vielen Frauen in verantwortlichen Positionen.

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